Von news.de-Redakteur Michael Kraft - Uhr

«Dunkle Materie»: 20 Dinge, die Sie nicht über Scheiße wussten

Scheiße ist um uns herum, jeden Tag. Sie ist in uns drin. Trotzdem spricht man nicht gerne darüber. Florian Werner bricht das Tabu. Er hat eine Kulturgeschichte der Scheiße geschrieben. Und zeigt darin: Ekel ist bloß eine Frage der Definition.

Scheiße alsDünger - das funktioniert auch mit menschlichen Fäkalien. (Foto) Suche
Scheiße als Dünger - das funktioniert auch mit menschlichen Fäkalien. Bild: dapd

Kinder lernen: «Scheiße» sagt man nicht. Heranwachsende merken: Hat man Scheiße gebaut, zieht das in der Regel mächtig Ärger nach sich. Und Erwachsene wissen: Wer Scheiße anfasst, erotisch findet oder gar verzehrt, steht sofort außerhalb des Bereichs, den wir als unsere Zivilisation abgesteckt haben. Scheiße ist das letzte Tabu.

Florian Werner, 1971 geborener Kulturwissenschaftler aus Berlin, bricht es. Er betrachtet in Dunkle Materie das menschliche Exkrement historisch, medizinisch, philosophisch, sprachwissenschaftlich, psychologisch, religiös – und dabei gelingt ihm ein faszinierendes, erhellendes und unterhaltsames Buch.

Wieso treiben unsere Ausscheidungen den Kapitalismus an und stellen ihn zugleich infrage? Warum sind Babys so fasziniert von ihrem Stuhlgang? Ist es natürlich, dass wir uns vor Exkrementen ekeln? Musste Jesus Christus kacken? All diesen Fragen geht Florian Werner nach, profund und kenntnisreich. Sein gewitzter Umgang mit der Sprache sorgt dabei für das dringend benötigte Augenzwinkern – und macht die 240 Seiten lange Beschäftigung mit einer derart ekligen Materie dennoch angenehm.

Werner wühlt so tief in, nunja, seinem Thema und bringt derart erstaunliche Erkenntnisse hervor, dass Dunkle Materie tatsächlich eine Kulturgeschichte wird – nicht nur der Scheiße, sondern der Menschheit. «Die menschliche Kultur gründet auf der Scheiße», heißt der erste Satz des Buchs, und kurz darauf folgt die Begründung: «Weil wir erst durch die Abgrenzung von der Scheiße wissen, was Kultur überhaupt ist. (…) Wir brauchen die Scheiße, um sie zu beseitigen und uns dadurch in unserer Kultiviertheit zu bestätigen.»

Das ist nur der erste Fall einer Argumentation, die zunächst gewagt bis albern wirkt, dann aber schnell einleuchtet. Werner fördert Unmengen an Überraschungen zutage. Dass er dabei ganz ungeniert von «Scheiße» spricht, deutet keineswegs auf eine schlechte Kinderstube hin. Stattdessen begreift er den Begriff völlig wertneutral, und beleuchtet ihn dann in all seinen Facetten. Wollen wir es ihm also gleich tun und 20 erstaunliche Fakten aus Dunkle Materie präsentieren.

Tierischer Gestank: Vegetarier scheißen mehr als doppelt so viel wie Fleischesser: im europäischen Durchschnitt 300 bis 400 Gramm pro Sitzung. Das liegt daran, dass sie mehr Ballaststoffe zu sich nehmen, die unverdaulich sind. Die Fleischesser sollten aber nicht zu früh triumphieren: Ihr Kot stinkt mehr, weil beim Abbau tierischer Eiweiße die chemischen Stoffe entstehen, die für den unangenehmen Geruch von Scheiße sorgen.

Ach du dickes Ei: Ein Stuhlgang kann bis zu 1,5 Kilogramm Kot hervorbringen. Pro Jahr scheißt jeder Mensch an die 100 Kilogramm. Allein die Einwohner Berlins produzieren 800 Tonnen Kot – pro Tag.

Amerikanische Gründlichkeit: Das Toilettenpapier wurde 1857 vom Amerikaner Joseph Gayetty erfunden. Seine Landsleute blieben Vorreiter auf diesem Gebiet: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab es in New York Klopapier mit dem Antlitz von Osama bin Laden zu kaufen.

Stilles Örtchen: Um das Geräusch beim Stuhlgang zu übertönen, ist in Japan ein Gerät namens Otohime sehr beliebt – es kommt im Bad zum Einsatz und klingt wie eine laufende Wasserspülung.

Kunst ist kacke: Der britische Künstler Marc Quinn hat 1997 eine Büste seines Gesichts geformt – aus seinem eigenen Kot. Das Werk heißt «Shit Head».

Besetzt: Jeder Mensch verbringt im Durchschnitt ein knappes Jahr seines Lebens mit dem, was der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel das «abstrakte Abstoßen seiner von sich selbst» genannt hat. Seit etwa 1600 ist man dabei am liebsten alleine. Aber erst ab 1900 wurde es üblich, dass man die Badezimmertür von innen abschließen kann.

Der weiße Stuhl: Menschlicher Kot kann auch weiß sein. Das passiert beispielsweise, wenn man Röntgenkontrastmittel schluckt oder an einer bestimmten Lebererkrankung leidet. Salmonellen können den Stuhl hingegen grün färben. Blaubeeren machen ihn schwarz.

Katzenkackekaffee: Der teuerste Kaffee der Welt kostet pro Kilo bis zu 1000 Euro. Für den sogenannten Kopi Luwak werden nur Kaffeebohnen benutzt, die vorher den Verdauungstrakt einer bestimmten Schleichkatzenart durchlaufen haben.

Wenn das die Gewerkschaft wüsste: Als es in gutbürgerlichen Häusern noch Hausangestellte gab, mussten diese nach Ende ihres Angestelltenverhältnisses noch unbezahlt weiterarbeiten. Mit den «Scheißtagen» wurde die Zeit abgegolten, die sie zuvor während der Dienstzeit auf Toilette verbracht hatten.

Schlechte Erziehung: In Florida wurde im Jahr 2009 eine Frau verhaftet, weil sie ihrer Tochter ein Stück Seife so tief in den Mund gesteckt hatte, dass sich das Mädchen übergeben musste. Die Kleine hatte vorher, zum Ärger der Mutter, «Scheiße» gesagt.

Popo-Porno: «Du bist, was du isst» lautet nicht nur ein beliebter Slogan für bewusstere Ernährung. Unter ganz ähnlichem Titel erschien 2009 auch ein Porno für Kot-Fetischisten: Du bist, was du isst – Scheiße.

Mief oder nicht Mief?: Amerikanische Forscher haben eine «Stinksuppe» als biologische Waffe entwickelt. Sie soll mit ihrem penetranten Gestank Gegner in die Flucht schlagen, ohne sie zu verletzen. Das Rezept war allerdings schwierig zu finden. Denn was unserem Geruchssinn missfällt, hängt von kultureller Prägung ab. Was für Mexikaner übler Gestank ist, kann für Vietnamesen durchaus angenehm sein. Erst nach mehreren Jahren hatten die Forscher eine universell ekelhafte Dosierung gefunden.

Schöner Scheiß: Im spätantiken Rom wurden menschliche Ausscheidungen als Gesichtscreme benutzt, um straffe Haut zu bekommen.

Selbstschutz für die Sinne: Selbst die schlimmste Kloake stinkt nur etwa 15 Minuten lang. Danach hat sich unser Geruchssinn normalerweise an die Umgebung gewöhnt und nimmt den Mief nicht mehr wahr. Nur neu hinzukommende Gerüche reizen die Nase dann noch.

Wohl bekomm’s: Erdhörnchen, Ratten, Mäuse, Hunde, Schweine, Elefanten, Chinchillas, Biber und Meerschweinchen fressen ihre eigenen Exkremente. Für einen gesunden Menschen wäre das zwar nicht besonders bekömmlich, aber in geringer Dosis auch nicht gefährlich.

Arschtrologie: Unter Koproskopie versteht man den Versuch, aus den Exkrementen eines Menschen seinen Charakter und sogar seine Zukunft abzulesen. Vor allem in der Antike war dieser Glaube verbreitet.

Holy Shit: Während der Aachener Heiligtumsfahrt wird auch eine Reliquie angebetet, die als Windel Jesu Christi gilt.

Exkrement-Energie: In Indien gewinnt man fast die Hälfte der in Privathaushalten verbrauchten Energie aus Kuhmist. 700 Millionen Tonnen Kuhfladen werden dort unter anderem zum Heizen eingesetzt, das entspricht dem Brennwert von 64 Millionen Tonnen Steinkohle.

Fäkalien für den Fiskus: Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Eignung menschlicher Exkremente als Düngemittel wiederentdeckt wurde, war Kot plötzlich eine gefragte Währung. Der französische Philosoph Pierre Leroux schlug sogar vor, man solle seine Exkremente sammeln und sie dann dem Staat anstelle von Steuern geben.

Scheiße zu Gold machen: Der italienische Künstler Piero Manzoni verkaufte 1961 seinen eigenen Kot, fein säuberlich verpackt in Konservendosen und etikettiert als «Künstlerkacke». Für eine Dose mit 30 Gramm Kacke verlangte er den Preis von 30 Gramm Gold. Heute ist eine Dose rund 30.000 Euro wert.

Viele weitere faszinierende Fakten rund um die menschlichen Fäkalien finden sich in Florian Werners Buch. Auf die Idee für Dunkle Materie kam der Autor übrigens durch die Geburt seiner kleinen Tochter, wie er im Interview mit Cicero erzählt: «Dadurch war ich Tag für Tag unweigerlich mit dieser ansonsten ja eher verdrängten Materie konfrontiert.»

Sein Buch, an dem Florian Werner zwei Jahre lang gearbeitet hat, lebt auch davon, dass er sich intensiv und seriös einem Thema widmet, das nicht ordinärer sein könnte. Das sorgt immer wieder für Verwunderung und Witz - und für die Erkenntnis, dass Scheiße tatsächlich unsere Kultur, unser Leben und vor allem unsere Moral in entscheidendem Maße geprägt hat.

Bestes Zitat: «In demselben Maße, in dem die tatsächlichen Exkremente aus unserem Leben verschwunden sind, so könnte man sagen, hat die industriell und medial erzeugte Scheiße zugenommen.»

Autor: Florian Werner
Titel: Dunkle Materie. Die Geschichte der Scheiße
Verlag: Nagel & Kimche
Umfang: 240 Seiten
Preis: 18,90 Euro
Erscheinung: 7. Februar 2011

kas/reu/news.de

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