Von news.de-Redakteurin Corina Broßmann - Uhr

Telefonsex: Dirty Talking im Nebenjob

Marischa Sommer hat ein Buch über Ihren ungewöhnlichen Exnebenjob geschrieben: Sechs Monate lang finanzierte sie ihr Studium mit der Arbeit bei einer Sexhotline. Was sie dabei Perverses, aber auch Rührendes erlebt hat, erzählt sie news.de.

Die Autorin von Talking Dirty hat selbst sechs Monate bei einer Telefonsexhotline gearbeitet. (Foto) Suche
Die Autorin von Talking Dirty hat selbst sechs Monate bei einer Telefonsexhotline gearbeitet. Bild: droemer knaur

Frau Sommer, schämen Sie sich manchmal für Ihren ehemaligen Nebenjob?

Marischa Sommer: Nein, ich schäme mich nicht für diesen Nebenjob, auch wenn ich mich oft rechtfertigen musste. Ich habe das halbe Jahr auf der Hotline als Erfahrung verbucht und für mich abgehakt.

Warum haben Sie aufgehört?

Sommer: Ich hatte zu Beginn erst gar nicht geplant, überhaupt so lange auf der Line zu arbeiten. Eher war der Job als eine Übergangslösung angedacht. Letztlich war es wohl die späte Erkenntnis, dass einige der Worte den Filter zu meiner selektiven Wahrnehmung verstopft haben und dann doch ihre Spuren hinterlassen haben. Würde ich es unelegant formulieren, würde ich sagen, ich war nicht mehr bereit, mir jeden kranken Scheiß anhören zu müssen. Einige Gespräche haben mich nach Feierabend eben doch nicht mehr losgelassen. Ich dachte, ich könnte das alles auf Abstand halten, so ein bisschen nebenher telefonieren, ein bisschen flirten, ein bisschen in den Hörer stöhnen. Teilweise offenbarten sich da aber die Tiefen der menschlichen Psyche und damit hatte ich bei einer Flirtline nicht gerechnet.

Wie hat sich Ihr Blick auf die Männerwelt verändert?

Sommer: Während meiner sechs Monate auf der Line kam es vor, gerade vermehrt gegen Ende der Zeit, dass ich erst unbewusst, dann immer bewusster auch Männer, die mir im Alltag begegnet sind, kategorisiert und pauschalisiert habe. Dass ich auf den einen Blick in meine Richtung gewartet habe, der mir reichen würde, um mich bestätigt zu fühlen. Manchmal habe ich mich dabei erwischt zu denken: «Was sind deine wirklichen Absichten? Was wäre dein Motiv, um bei mir anzurufen? Wie hört sich die Stimme zu deinem Gesicht an?» Ich habe fremden Männer böse Absichten unterstellt, nur damit sie in mein vorgefertigtes Raster passen, damit sie für mich kalkulierbarer sind. Mittlerweile hat sich das natürlich wieder relativiert. Es gibt auch ganz bezaubernde Männer da draußen.

In welchen Momenten hatten Sie Mitleid mit Anrufern?

Sommer: Wenn der Anrufer für ein wenig Nähe und Aufmerksamkeit, ein wenig anonyme Menschlichkeit zahlen musste, weil er sie sonst nirgends bekommen hätte. Ich denke da an einen Mann, der auch in meinem Buch vorkommt, der zum Zeitpunkt seines Anrufes gerade seine Frau bei einem Autounfall verloren hatte. Er hatte seit Tagen nicht mehr geschlafen, weil er nicht alleine einschlafen konnte. Dem ging es auch gar nicht um Sex, dem habe ich irgendwann Kinderlieder vorgesummt am Hörer. Und dann auch manchmal mit denen, die wirklich so naiv sind und glauben, auf einer Sexhotline die große Liebe ihres Lebens zu finden. Das sind mehr, als ich es für möglich gehalten hätte.

An welchen Kunden erinnern Sie sich gern?

Sommer: Zu einem meiner Stammgäste habe ich einen fast freundschaftlichen Kontakt aufgebaut. Da ist es in keinem der vielen Gespräche auch nur einmal zum Telefonsex gekommen. Er hat mich fast jeden Tag angerufen, sodass ich für ein halbes Jahr zu einem wichtigen Bestandteil seines Lebens wurde. Einige der Gespräche mit ihm waren aber sehr gut und fast schon philosophisch. Dumm war der nämlich nicht, obwohl er so viel gezahlt hat.

Gab es auch Situationen, die sie selbst als erotisch empfunden haben?

Sommer: Ja, mit einem Kunden, den ich John genannt habe. Er hatte eine wahnsinnig tolle, tiefe Stimme. Er hat mir erzählt, er sei Musiker und genau wie meine Kunden, habe ich mir das passende Bild im Kopf vorgestellt. Wahrscheinlich war er hässlich und fett, trotzdem hat mir die Stimme für den Moment gereicht. Der erste Telefonsex, der echt war. Irgendwie hat da die Chemie gestimmt.

Was haben Sie mit dem Telefonsex verdient? Kann man davon leben?

Sommer: Ich kann immer nur von der Hotline reden, auf der ich gearbeitet habe. Überleben trifft es wohl besser. Die Frauen, die von zu Hause aus arbeiten, verdienen pro Liveminute etwa 28 Cent, aber da gibt es Unterschiede von Anbieter zu Anbieter, das heißt, über welche Nummer sich der Kunde einwählt. Ich habe, als ich als Supervisorin vom Büro aus gearbeitet und somit als Ansprechpartnerin für die Frauen fungiert habe, zusätzlich einen festen Stundenlohn von 5 Euro bekommen. Plus das, was ich durch Gespräche dazu telefoniert habe. Mein Stundenlohn schwankte somit zwischen 5 Euro und 12,13 Euro.

Sie arbeiten heute in einem Marketingbüro. Wie haben Ihre Kollegen auf Ihr Buch reagiert?

Sommer: Sie waren in erster Linie gespannt und haben sich mit mir gefreut. Gut, dass wir ein kleines Büro sind und untereinander ein eher freundschaftliches Verhältnis pflegen. In einem Großraumbüro hätte ich wohl meine Klappe gehalten und nichts von meinen Buchplänen erzählt. Die Resonanz war bisher durchgehend positiv.

Hat sich Ihr Sexleben durch die Erfahrungen am Telefon verändert? Sind Sie offener oder abgeklärter geworden?

Sommer: Vielleicht ist es tatsächlich so, dass ich schneller und deutlicher formulieren kann, was mir gefällt, aber auch, was mir nicht gefällt. Das ist aber nicht unbedingt auf den Sex reduziert, sondern auch auf alltägliche Situationen. Ich weiß jetzt ganz genau, wo meine Grenzen sind und dass sie nicht überschritten werden dürfen.

Wollten die Männer eher eine Sexbombe oder das Mädchen von nebenan?

Sommer: Natürlich gibt es eine breite, geile Masse an Klischeewichsern, die auf drall und blond stehen oder einen bestimmten Hollywood-Frauentyp präferieren. Das sind dann meistens die, die erstens schon sehr geil sind und zweitens eben ein bestimmtes Bild im Kopf, also eine Vorlage, haben. Die behandeln einen dann aber auch wie ein Objekt. Die, die es ernst meinen, also die Naiven oder die Netten, suchen eher das Mädchen von nebenan. Das ist für sie realistischer.