Von news.de-Redakteurin Corina Broßmann - Uhr

Essstörungen: Dick trotz Bulimie?

Die Begriffe Magersucht und Bulimie werden immer wieder synonym verwendet. Wer allzu schlank ist, über den hört man schnell: «Die hat doch bestimmt Bulimie.» Worin sich die Krankheitsbilder unterscheiden und woran Sie beide Essstörungen erkennen, erklärt news.de.

Bulimiekranke müssen nicht zwingend abgemagert aussehen. Oft haben sie sogar Normal- oder Übergewicht. (Foto) Suche
Bulimiekranke müssen nicht zwingend abgemagert aussehen. Oft haben sie sogar Normal- oder Übergewicht. Bild: dpa

Warum ist es so schwierig, Magersucht und Bulimie voneinander abzugrenzen?

Conny Rabe: Hinsichtlich ihrer Symptomatik gibt es viele Gemeinsamkeiten bei Magersuchts- und Bulimiebetroffenen. Auch Magersüchtige können während der aktuellen Episode ihrer Erkrankung regelmäßig Fressanfälle haben und selbstinduziertes Erbrechen herbeiführen, was eigentlich typisch für Bulimie ist. Diese sogenannte bulimische Anorexie (Bulimarexie) hat zwar hinsichtlich der Symptomatik auch große Ähnlichkeit mit der Bulimie, wird aber aufgrund des geringen Körpergewichts der Erkrankten von ihr abgetrennt. Der restriktive Typus der Anorexie beschreibt dagegen eher die klassische Magersucht.

Was haben alle Essgestörten gemein?

Rabe: Wenn es um das Thema Essen, Nahrung und Gewicht geht, täuschen Betroffene meist andere und sich selbst. Dabei ist die Waage die beherrschende Instanz, die über Freude, Stolz und Zufriedenheit oder auch über Versagen, Enttäuschung und Panikgefühle entscheidet, abhängig von Gewichtsab- oder -zunahme.

Wer merkt eher, dass er krank ist - der Anorektiker oder der Bulimiker?

Rabe: Die Bulimiepatienten scheinen weniger zwanghaft im Vergleich zu Betroffenen der Magersucht zu sein. Mit einem meist ausgeprägten Krankheitsgefühl, vehementem Leidensdruck und größerer Unzufriedenheit mit ihrem Körper schämen sie sich aufgrund ihres Essverhaltens, welches sie meist selbst als pathologisch ansehen. Magersüchtige sind eher krankheitsuneinsichtig und zufriedener mit ihrem Körper.

Woran erkenne ich im Restaurant oder am Büfett einen Essgestörten?

Rabe: Allgemein fällt es Betroffenen schwer, vor anderen zu essen. Die Essatmosphäre kann dadurch gekennzeichnet sein, dass die Betroffenen andere beim Essen beobachten und analysieren. Sie vergleichen sich mit anderen aufgrund ihrer Unsicherheit bezüglich Mengen, Portionen, Tempo, Hunger und Sättigung, um nicht aufzufallen, sodass sie damit ihre Fassade aufrecht erhalten können oder auch, um mit anderen in Konkurrenz gehen zu können. Nach dem Motto «Wer isst am wenigsten?». Das Essen in Gesellschaft wird von Betroffenen meist hoch angespannt erlebt, was zu einem Fressanfall führen kann, der einerseits geplant sein kann oder sich durch kognitive Grenzen in Bezug auf Menge und Auswahl der Speisen im Laufe des Essens entwickelt. Befangenes Essverhalten kennzeichnet, dass sehr langsam gegessen wird, die vielleicht einzige Mahlzeit am Tag zelebriert wird, Nahrungsmittel sehr klein geschnitten werden, Beilagen und Nachtisch weggelassen werden, stark gewürzt wird, warme Mahlzeiten eher gemieden werden, stattdessen Vorspeisen oder Nachspeisen ausgewählt werden und vielleicht während des Essens viel getrunken wird.

Wie unterscheidet sich das Essverhalten in Gesellschaft bei Anorektikern und Bulimikern?

Rabe: Die Nahrungsaufnahme in Gesellschaft kann bei vielen Essgestörten durch eine kontrollierte Fassade gekennzeichnet sein, bei der augenscheinlich alles gegessen werden kann - wobei die Auswahl der Speisen meist kalorien-, fett- und kohlenhydratarm ist und mengenmäßig von normal bis sehr wenig schwankt. Dieses vordergründige Essverhalten kann durch Planung möglich werden, indem Betroffene vorher festlegen: «Wann esse ich wo, was, wie viel?» und sich so das Essen in der Situation erlauben können. Spontane Einladungen zum Essen sind so vor allem bei Anorektikern kaum möglich. Betroffene mit Magersucht (restriktiver Typ) vermeiden das Essen in Gesellschaft meist ganz.

Müssen Bulimiker zwingend Gewicht verlieren, um als ernsthaft krank zu gelten?

Rabe: Nicht unbedingt. Bei Betroffenen, die an einer Bulimie erkranken, liegt das Körpergewicht im Gegensatz zu Anorektikern gewöhnlich im Normal- beziehungsweise Idealbereich. Innerhalb dessen kann es aber - ausgelöst durch wechselnde Phasen des Hungerns und der übermäßigen Nahrungsaufnahme - sehr stark schwanken. Aufgrund körperlicher und hormoneller Zeichen einer Mangelernährung Bulimiekranker ist aber zu vermuten, dass viele Bulimiker ein höheres Set-Point-Gewicht (angeborenes Körpergewicht) haben und daher untergewichtig beziehungsweise chronisch unterernährt sind, obwohl sie auf den ersten Blick nicht so abgemagert wie Anorektiker erscheinen.

Conny Rabe ist Diplom-Trophologin, Ernährungstherapeutin und systemische Therapeutin. Sie praktiziert in der Praxisgemeinschaft Dr. Altmann und Herr Sieler in Leipzig.

ham/eia/rzf/news.de

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