Von news.de-Redakteur Andreas Schloder - Uhr

Stressjunkies: Adrenalin aus dem Alltag

Immer erreichbar? Tausend Notizen auf dem Schreibtisch? Ein Arbeitstempo wie ein Duracell-Häschen? Das ist der Stoff, den Stressjunkies brauchen. News.de zeigt, warum solch ein Adrenalinpegel auch gesund sein kann - und ab wann es gefährlich wird.

Vollgemüllte Schreibtische, dauernd erreichbar sein und ohne Social Networks nicht leben können - so holen sich Adrenalinjunkies ihren Kick. (Foto) Suche
Vollgemüllte Schreibtische, dauernd erreichbar sein und ohne Social Networks nicht leben können - so holen sich Adrenalinjunkies ihren Kick. Bild: ddp

Es muss nicht immer ein Bungee-Sprung oder ein Autorennen sein, um sich mit frischem Adrenalin zu versorgen. «Wahre Süchtige nutzen erst einmal mit offenen Augen, was der ganz normale Alltag ihnen bietet. Und da ergießt sich ein wahres Füllhorn an Möglichkeiten», erklärt Stress-Coach Doris Kirch, die sich seit mehr als zwanzig Jahren mit dem Phänomen beschäftigt. Ihr Fazit: Stress macht nicht nur süchtig, sondern auch glücklich.

Wie Mediziner bestätigen, setzt der Körper unter Stress Substanzen wie Adrenalin, Epinephrin und Glucocorticoide frei, die Glückszustände auslösen, für emotionale Erregung und weniger Schlafbedürfnis sorgen sowie zu Höchstleistungen antreiben. «Körperliche und seelische Missempfindungen werden gesenkt, Ängste rücken in den Hintergrund», schildert die Leiterin des Deutschen Fachzentrums für Stressbewältigung. Die chemisch hochgepuschte Aufmerksamkeit lasse Betroffenen das Leben intensiver und aufregender erscheinen.

Und da liegt der fatale Fehler: «Das Merkmal jeder Sucht ist es, dass der Kick nicht lange andauert», erläutert der Stress-Coach. Die Suche nach dem neuen Energieschub werde von Tag zu Tag intensiver. In einem Anti-Ratgeber hat die Expertin zusammengetragen, was man lieber nicht nachmachen sollte.

Chaos pflegen

«Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können», wusste bereits Philosoph Friedrich Nietzsche. Stressjunkies werden als Chaoten bezeichnet, was sich oft auf dem Bürotisch zeigt: überall Notizen auf Papierzettel.

Böse Zungen behaupten, dass dieser einiges über die Persönlichkeit verrät. «Da scheiden sich die Geister, denn das kann man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten», erklärt Kirch und zitiert Albert Einstein: «Wenn ein unordentlicher Schreibtisch auf einen unordentlichen Geist hinweist, worauf deutet dann ein leerer Schreibtisch hin?»

Doch Chaos ist auch eine Form von Organisation, wenn auch aus heutiger Sicht eine zweifelhafte. Stresssüchtige sehen in allem Negativen auch etwas Positives. Beispiel: «Das ist die letzte Mahnung. Gut, dass das endlich aufhört.»

Brandbeschleuniger Zeit

Mit Zeit falsch umzugehen, wirke laut Kirch wie ein Brandbeschleuniger im Großfeuer von Stress. Chaos zeige sich nicht nur auf dem Tisch, sondern vor allem im Kopf. Stresssüchtige kennen keinen Zeitplan. Und auch keine Prioritätenliste, die sie abarbeiten: Alles ist wichtig. Jedoch bestimme der Kopf und nicht der Verstand, was gerade besonders dringend ist.

«Spezialisten sagen, dass Stress durch Zeitmangel entstünde. Da drängt sich förmlich auf, diesen Zeitmangel künstlich zu vergrößern», sagt Kirch. Ein wesentlicher Faktor sei dabei, sich hohe und viele Ziele zu setzen,  aber nichts zu delegieren. Das bringt Kick pur.

Online oder tot

Wichtig ist für Stressfreunde, überall und ständig erreichbar zu sein. Doch es gibt Unterschiede: «Handy und Blackberry sind was für Anfänger», wird Kirch im Buch zitiert. Der wahre Stress-Junkie wird so geschildert: «Online oder tot.»

Dazu gehöre, erst den Fernseher einzuschalten, die Musikanlage aufzudrehen, sich dann vor den Computer zu setzen und ein Bad in den tagsüber eingegangenen Botschaften der verschiedenen sozialen Netzwerke zu nehmen, in denen man registriert ist. «Sie sorgen für ständig ungebremsten Feierabendspaß via Hochgeschwindigkeitsleitung», so Kirch. Was andere mit Facebook, Xing oder Twitter als Terror der Kommunikation bezeichnen, sei für den Stress-Junkie das wohltuende Gefühl eines Geschwindigkeitstaumels in seinem Hirn.

Ein Hoch auf den Choleriker

Sozialpsychologen der Iowa State University haben herausgefunden, dass derjenige, der öfter gepflegt auf den Tisch haut, größere Chancen hat, das zu bekommen, was er will. Wer seinem Ärger freien Lauf lässt, erscheint dominanter, stärker und klüger.

Doch wie wird man Choleriker? Am besten sich selbst ärgern, bevor man andere nervt. Dies erreiche man laut Kirch, in dem man sich über die Medien mit so vielen Nachrichten versorgt, die einen Inhalt aufweisen, über den man sich einfach ärgern muss. Und wer andere ärgern will, um sich selbst aufzuregen: Bitte, einfach ins Auto setzen und nur auf die Stresssituation warten.

Lesetipp: Doris Kirch, 12 goldene Regeln für Stressjunkies, Mankau-Verlag, 152 Seiten, 9,95 Euro.

ham/reu/news.de

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