Von Grit König - Uhr

Cytomegalie: «Da hat ein Händedruck gereicht»

Das Cytomegalie-Virus ist für Erwachsene harmlos. Doch wenn sich Frauen während der Schwangerschaft damit infizieren, kann es für das Kind gefährlich werden. Gehörverlust, Sehstörungen oder geistige Behinderungen können die Folgen sein.

Die Cytomegalie gehört zu den häufigsten Viruserkrankungen, die Kinder im Mutterleib schädigen können. (Foto) Suche
Die Cytomegalie gehört zu den häufigsten Viruserkrankungen, die Kinder im Mutterleib schädigen können. Bild: dpa

Carmina hatte einen schlechten Start ins Leben. Bereits früh in der Schwangerschaft hatte sich ihre Mutter Sabine Leitner mit dem zu den Herpeserregern zählenden Cytomegalie-Virus (CMV) infiziert. Über Blut und PlazentaPlazenta, auch Mutterkuchen und Nachgeburt genannt, ist ein dunkelrotes Zellgebilde, das wie ein Scdhwamm an der Gebärmutterwand hängt. Unter anderem produziert sie Hormone, die für die Schwangerschaft wichtig sind, und hält eine Art Luxusversorgung für das Ungeborene bereite: ein konzentriertes Angebot an mütterlichem Blut, aus dem sich das Baby über die Nabelschnur Sauerstoff und Nährstoffe holt. der Mutter wurde die Infektion auf den Fötus übertragen. In der 26. Schwangerschaftswoche wurde Carmina mit einem Notkaiserschnitt ins Leben geholt.

«Der Ultraschall offenbarte eine übergroße Leber, die bis zu den Oberschenkeln reichte», erinnert sich Sabine Leitner. Um das Leben des Mädchens zu retten und die Vermehrung des Virus zu hemmen, wurde Carmina sofort mit Virusstatika behandelt.

Die Infektion mit anderen Herpesviren, etwa am Mund oder im Genitalbereich, kommt sehr häufig vor und verläuft meist harmlos. Oft sind die Beschwerden gering oder grippeähnlich. 40 bis 70 Prozent der Menschen in den westlichen Ländern erwerben im Lauf ihres Lebens Antikörper gegen diese Viren. Meist haben sie sich unmerklich infiziert.

Gefährlich ist allerdings eine CMV-Erstinfektion in der Schwangerschaft. Sabine Leitner weiß nicht, wie sie sich vor sechs Jahren angesteckt hat: «Da hat ein Händedruck gereicht.» In Speichel, Urin oder Tränenflüssigkeit kann sich das Virus verbreiten. Besonders gefährdet sind Betreuerinnen von Kleinkindern, weil jedes fünfte Kind dieses Alters infiziert ist und das Virus über Monate hinweg ausscheidet.

Cytomegalie gilt heute weltweit als die häufigste vorgeburtliche Infektion und kann für ungeborene Kinder lebensgefährlich sein. 0,3 bis 2,4 Prozent aller Lebendgeborenen sind nach Angaben der Initiative zur Prävention konnataler Cytomegalieinfektionen (ICON) betroffen. Jährlich erkranken in Deutschland nach Informationen der Ärztlichen Genossenschaft GenoGyn etwa 1900 Ungeborene an dieser Infektion. Sie kann zu schweren Erkrankungen wie Meningitis, epileptischen Krampfanfällen, Wasserkopf, Leberentzündungen und Blutarmut führen.

«Etwa zehn Prozent der infizierten Neugeborenen weisen schon bei der Geburt schwere klinische Symptome bis hin zu Hirnschädigungen auf», sagt Matthias Meyer-Wittkopf, Pränatalmediziner vom Mathias-Spital in Rheine und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von ICON. «Auch von den 90 Prozent, die bei der Geburt unauffällig infiziert sind, entwickeln weitere fünf Prozent später Hör- sowie Sehschäden und sind vereinzelt sogar geistig behindert.»

Warum die Infektion in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist

Die Infektion ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Von den Frauenärzten wird die Gefahr nach Ansicht von GenoGyn oft unterschätzt. Bei der Schwangerschaftsuntersuchung wird zwar der Röteln- und Windpockenschutz abgeklärt. Auf die kostenpflichtige Untersuchung auf CMV-Antikörper weisen jedoch nicht alle Gynäkologen hin.

Experten fordern deshalb dringend, dass sich Frauen vor einer Schwangerschaft auf CMV-Antikörper untersuchen lassen. Der Test kostet 20 bis 30 Euro. Für Frauen ohne Antikörper gibt es derzeit zwar noch keine Impfung, durch strenge Hygiene kann das Risiko einer Erstinfektion in der Schwangerschaft aber eingegrenzt werden. Außerdem sollten die Bluttests bei Risikopatientinnen in dieser Zeit regelmäßig alle vier bis acht Wochen wiederholt werden.

Zur Therapie beziehungsweise Verhinderung einer CMV-Infektion beim Ungeborenen gibt es zurzeit noch kein zugelassenes Medikament. Hoffnung setzen die Mediziner auf die Hyperimmunglobulin-Therapie, eine passive Immunisierung mit CMV-Antikörpern. «Derzeit laufen Studien, die die gute Wirksamkeit des Medikaments belegen sollen», sagt Meyer-Wittkopf. Seit vielen Jahren werden solche Hyperimmunglobuline bei Organtransplantat-Empfängern erfolgreich zur Behandlung einer CMV-Infektion intravenös verabreicht.

Die kleine Carmina hatte Glück im Unglück. In ihrer Geburtsstadt Berlin erhielt sie von Anfang an die optimale Frühförderung. Zudem hatten die gefährlichen Viren ihr Gehirn verschont. Das Mädchen, das die Ärzte vor sechs Jahren fast verloren glaubten, wird ab Sommer die Schule besuchen. Es ist eine Körperbehindertenschule mit normalem Lehrplan.

«Ihr Handicap merkt sie vor allem, wenn sie mit ihren Gleichaltrigen nicht klettern und rennen kann», sagt die Mutter. Mit ihren 13 Kilogramm Gewicht fehlt ihr einfach die Kraft. Sabine Leitner hat in Berlin die bundesweit einzige CMV-Selbsthilfegruppe aufgebaut. Mehr als 300 Familien haben bislang ihren Rat gesucht.

car