Wirbel um Marcel Fratzscher: Empörung wegen Forderung nach sozialem Pflichtjahr für Deutschlands Alte

Wenn es nach DIW-Chef Marcel Fratzscher geht, sollen Deutschlands Rentnerinnen und Rentner künftig ein soziales Pflichtjahr absolvieren und für die Bundeswehr eingesetzt werden - ein brisanter Vorschlag, der Empörung an allen Fronten auslöst.

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Wenn es nach Marcel Fratzscher, seines Zeichens Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), geht, sollen Deutschlands Rentnerinnen und Rentner ein verpflichtendes soziales Jahr ableisten. (Foto) Suche
Wenn es nach Marcel Fratzscher, seines Zeichens Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), geht, sollen Deutschlands Rentnerinnen und Rentner ein verpflichtendes soziales Jahr ableisten. Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
  • Ökonom fordert soziales Pflichtjahr für Deutschlands Rentnerinnen und Rentner
  • Kontroverser Vorschlag: Senioren sollen auch bei der Bundeswehr eingesetzt werden
  • Heftige Kritik an Vorstoß von Marcel Fratzscher:"Schlag ins Gesicht unserer Ältesten"

Wer nach Jahren der Erwerbstätigkeit endlich das Rentenalter erreicht hat, kann seinen Lebensabend endlich mit angenehmen Dingen statt mit Arbeiten verbringen. Doch genau diesen Umstand will Marcel Fratzscher am liebsten sofort abschaffen: Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sorgt mit einer brisanten Forderung für Aufsehen: Alle Rentnerinnen und Rentner sollen dem Vorschlag des Ökonoms zufolge künftig ein verpflichtendes soziales Jahr ableisten. Im "Spiegel" begründet Fratzscher seinen Vorstoß mit harschen Worten gegen die ältere Generation. "Zu viel Ignoranz, Selbstbezogenheit und Naivität" wirft er den Senioren vor.

Auch diese Themen bewegen die ältere Generation aktuell:

Ökonom fordert soziales Pflichtjahr für Deutschlands Seniorinnen und Senioren

Die Boomer-Generation habe nach dem Kalten Krieg geglaubt, Deutschland müsse sich nie wieder verteidigen und die eingesparten Militärausgaben leichtfertig verprasst. Zudem hätten die zwischen Mitte der 1950er und Ende der 1960er Jahre Geborenen zu wenige Kinder in die Welt gesetzt. Während in den Sechzigerjahren noch sechs Beitragszahler einen Rentner finanzierten, seien es bald nur noch zwei. Fratzscher macht Deutschlands Rentnerinnen und Rentner für aktuelle gesellschaftliche Probleme verantwortlich. "Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen?", fragt er im "Spiegel". Die Boomer selbst würden sich seit 20 Jahren ihrer Verantwortung verweigern.

Marcel Fratzscher will Deutschlands Alte zur Bundeswehr und in den Sozialbereich schicken

Marcel Fratzscher wirft Deutschlands Seniorinnen und Senioren "zu viel Ignoranz, Selbstbezogenheit und Naivität" vor und hält ein verpflichtendes soziales Jahr für ältere Mitbürger für überfällig. (Foto) Suche
Marcel Fratzscher wirft Deutschlands Seniorinnen und Senioren "zu viel Ignoranz, Selbstbezogenheit und Naivität" vor und hält ein verpflichtendes soziales Jahr für ältere Mitbürger für überfällig. Bild: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Fratzscher konkretisiert seine Pläne: Die Senioren sollen sowohl im Sozialbereich als auch bei der Bundeswehr zum Einsatz kommen. "Warum sollten wir die nicht nutzen, gerade von Leuten, die früher bei der Bundeswehr ausgebildet wurden?", fragt der DIW-Chef im "Spiegel". Technische Fähigkeiten seien besonders gefragt.

Gesundheitliche Einschränkungen will der Ökonom dabei durchaus berücksichtigen. Wer körperlich nicht in der Lage sei, solle von der Pflicht befreit werden - ähnliche Regelungen gebe es schließlich auch für junge Menschen. Die ältere Generation müsse sich generell stärker in die Gesellschaft einbringen, fordert Fratzscher. Er plädiert für einen neuen Generationenvertrag und mehr "Solidarität der Alten mit den Jungen".

Empörung nach Fratzscher-Vorschlag: "Schlag ins Gesicht unserer Ältesten"

Die Reaktionen auf Fratzschers Vorstoß fallen ebenso empört wie vernichtend aus. Michaela Engelmeier, Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), bezeichnet die Idee als "respektlos". Viele Menschen der älteren Generation hätten sich aus finanziellen Gründen gegen mehrere Kinder entschieden, da beide Partner arbeiten mussten, um steigende Lebenshaltungskosten zu stemmen. "Ihnen nun daraus einen Strick zu drehen, dass man sich zur Strafe gefälligst im Rentenalter engagieren müsse", sei inakzeptabel.

Kritik kommt auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): "Ein Pflichtjahr für Rentner lehnen wir ab. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, hat seinen Ruhestand unbedingt verdient. Wir warnen davor, mit solchen Vorschlägen Generationen gegeneinander auszuspielen", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der dpa. "Die Frage, wer tatsächlich auf wessen Kosten lebt, ist in allererster Linie eine Frage zwischen Reich und Arm, also zwischen Kapital und Arbeit, und nicht etwa zwischen den Generationen."

AfD und BSW zetern wegen Forderung nach sozialem Pflichtjahr für Rentner

Aus der Politik hagelt es ebenfalls heftige Kritik an Fratzschers Vorstoß. AfD-Sozialpolitiker René Springer bezeichnet Fratzschers Vorstoß als "Schlag ins Gesicht unserer Ältesten". Menschen, die Deutschland aufgebaut hätten, verdienten Respekt und eine sichere Rente - keine Zwangsdienste, schreibt er auf X.

BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht findet noch deutlichere Worte: Der Vorschlag sei "an Zynismus kaum zu überbieten". Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet hätten und dafür oft nur Armutsrenten erhielten, nun noch ein Pflichtjahr aufzudrücken, sei unzumutbar.

Auch mit diesen Vorschlägen sorgte der umstrittene Ökonom für Wirbel

Das von Marcel Fratzscher vorgeschlagene Rentner-Pflichtjahr ist nicht der erste umstrittene Vorstoß des DIW-Chefs. Bereits Mitte Juli schlug sein Institut eine Solidaritäts-Sonderabgabe auf Alterseinkünfte vor - den sogenannten "Boomer-Soli". Diese Abgabe würde die reichsten 20 Prozent der Senioren treffen, einschließlich Beamter, Selbstständiger und Vermögender mit mehreren Immobilien. Die Einnahmen sollen den 40 Prozent der Rentner mit den niedrigsten Einkommen zugutekommen.

Der 81-jährige Generationenforscher Klaus Hurrelmann unterstützt ähnliche Überlegungen. Er sprach sich bereits im Juli für einen sozialen Pflichtdienst für Senioren "am Ende ihres Arbeitslebens" aus. Gesellschaftliche Herausforderungen wie die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit müssten von allen Altersgruppen gemeinsam bewältigt werden. Fratzschers neues Buch zur Generationengerechtigkeit erscheint kommende Woche.

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/news.de/dpa/stg

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