Hitzige Gemüter: "Long Hot Summer"-Effekt: Darum werden wir bei Hitze aggressiver

Wissenschaftliche Studien belegen seit den 1970er Jahren den "Long Hot Summer"-Effekt: Hohe Temperaturen steigern nachweislich die menschliche Aggressivität. Welche Mechanismen im Körper wirken und wie Sie gegensteuern können.

Erstellt von - Uhr

Vielen gelingt es bei der Hitze nicht, einen kühlen Kopf zu bewahren - das kann zu Gefahrensituationen führen. (Foto) Suche
Vielen gelingt es bei der Hitze nicht, einen kühlen Kopf zu bewahren - das kann zu Gefahrensituationen führen. Bild: stock.adobe.com / Aliaksandr Marko
  • Hohe Temperaturen können Aggressivität steigern
  • Wissenschaftler nennen dies den "Long Hot Summer"-Effekt
  • Das Phänomen ist bereits seit den 70ern bekannt

Ob der Autofahrer, der einem die Vorfahrt nimmt, lautes Telefonieren in der Bahn oder der Partner, der beim Einkauf schon wieder was vergessen hat - Dinge, die uns im Alltag sonst nur nerven, können einen im Hochsommer fast zur Weißglut treiben. Studien zeigen: Hohe Temperaturen können die menschliche Psyche tatsächlich erheblich beeinflussen und aggressives Verhalten fördern.

Lesen Sie auch:

Bereits seit den 1970ern wird der Effekt wissenschaftlich untersucht

Wissenschaftler bezeichnen das Phänomen als "Long Hot Summer"-Effekt. Der Begriff entstand bereits in den 1960er Jahren, als es in den USA während einer großen Hitzewelle zu auffällig vielen Gewaltausbrüchen kam. Die ersten systematischen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Hitze und Aggressivität führten die US-Wissenschaftler Paul A. Bell und Robert A. Baron in den 1970er Jahren durch. In ihrem wegweisenden Experiment versammelten sie 64 Männer in einem Raum und teilten sie in zwei Gruppen auf.

Eine Gruppe sollte die andere kritisieren, während die kritisierte Gruppe mit Elektroschocks "zurückschlagen" durfte. Während des Experiments erhöhten die Forscher schrittweise die Raumtemperatur. Das Ergebnis war eindeutig: Je wärmer es wurde, desto häufiger griffen die Testpersonen zur Stromtaste. Diese Studie lieferte den ersten wissenschaftlichen Beweis für den "Long Hot Summer"-Effekt. Die Forscher konnten zeigen, dass steigende Temperaturen direkt mit einer Zunahme aggressiven Verhaltens korrelieren. Das Experiment legte den Grundstein für weitere Forschungen zu diesem Phänomen.

Aggressionen, Gewalt und Verbrechen steigen mit der Temperatur

In den 1980er Jahren untersuchten Forscher das Verhalten von Autofahrern an heißen Tagen. Testpersonen sollten an grünen Ampeln absichtlich stehen bleiben. An besonders heißen Tagen reagierten die Autofahrer deutlich aggressiver mit häufigeren Hupkonzerten, vor allem in Autos ohne Klimaanlage.

Der US-Psychologe Craig A. Anderson legte vor rund 20 Jahren eine Langzeitstudie vor. Diese zeigte, dass es besonders während Hitzewellen häufiger zu Gewalt- und Sexualverbrechen kommt. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2021 belegte, dass in Gefängnissen bei hohen Temperaturen signifikant mehr Gewalttaten unter Insassen registriert werden. Beide Studien untermauern den wissenschaftlich belegten "Long Hot Summer"-Effekt eindrucksvoll.

Körperliche Mechanismen der hitzebedingten Aggressivität

Hanns-Christian Gunga von der Berliner Charité erklärt gegenüber "Deutschlandfunk Nova" die körperlichen Vorgänge bei Hitze. Bei hohen Temperaturen wird vermehrt das antidiuretische Hormon (ADH) ausgeschüttet, um den Wasserhaushalt im Körper zu regulieren. Je mehr Menschen schwitzen, desto höher steigt der ADH-Spiegel. Tierexperimentelle Studien zeigen, dass ein erhöhter Hormonwert mit einem Anstieg aggressiven Verhaltens einhergehen kann. Erste Warnsignale sind dunkler Urin oder seltene Toilettengänge.

Weitere Faktoren verstärken die Hitze-Reizbarkeit

Neben den hormonellen Veränderungen gibt es weitere Faktoren, die die Reizbarkeit bei hohen Temperaturen verstärken. In heißen Nächten schlafen viele Menschen schlechter. Die Folgen sind Müdigkeit, erhöhte Reizbarkeit und eine geringere Toleranzschwelle im Alltag. Körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, übermäßiges Schwitzen oder Dehydrierung schlagen zusätzlich aufs Gemüt. All diese Faktoren zusammen können das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen.

Der Berliner Psychologe Dr. Wolfgang Krüger bestätigt gegenüber "Bild": Menschen sind gereizter und weniger tolerant, es kommt zu mehr Verkehrsunfällen und Ehestreitigkeiten. Tropische Temperaturen lösen einen Körperalarm aus und versetzen Menschen in einen absoluten Ausnahmezustand. Der Körper betrachtet diese Bedingungen nicht als normal und arbeitet ständig daran, sich zu regulieren. Experten betonen jedoch: Nur weil jemand durch Hitze und Hormone gestresst ist, geht er nicht automatisch auf andere los.

Was tun gegen die hitzebedingte Reizbarkeit?

Um hitzebedingter Aggressivität vorzubeugen, sollten Maßnahmen zur Hydration und Kühlung des Körpers getroffen werden. So ist es beispielsweise empfehlenswert, direkt nach dem Aufstehen zwei große Gläser Wasser zu trinken - diese sollten den nächtlichen Flüssigkeitsverlust ausgleichen. Bereits Bell und Baron konnten mit ihrem Experiment zeigen, dass ein kühles Getränk auch die Gemüter abkühlen kann. Bei hohen Temperaturen sollten körperliche Anstrengungen möglichst auf die kühleren Morgen- und Abendstunden verlegt werden. Konfliktsituationen gilt es im Idealfall zu meiden, da die Toleranzschwelle bei Hitze deutlich niedriger liegt.

Folgen Sie News.de schon bei WhatsApp, Facebook, Twitter, Pinterest und YouTube? Hier finden Sie brandheiße News, aktuelle Videos und den direkten Draht zur Redaktion.

/bua/news.de/stg

Erfahren Sie hier mehr über die journalistischen Standards und die Redaktion von news.de.