Pflegegrad 1 bald abgeschafft?: Bundesregierung werkelt an nächstem Spar-Hammer - SPD widerspricht

Der Spar-Zoff bei Schwarz-Rot schwelt weiter: Nun stehen Gerüchte im Raum, zur Kosteneinsparung in der Pflegeversicherung sei die Abschaffung von Pflegegrad 1 geplant. Aus den Reihen der SPD kam prompt Dementi.

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Mit dem Pflegegrad (Stufen 1 bis 5) wird der jeweilige Unterstützungsbedarf pflegebedürftiger Menschen festgelegt. Laut Bundesgesundheitsministerium hatten Ende 2024 rund 4,8 Millionen Menschen einen Pflegegrad, davon 861.000 Pflegegrad 1. (Foto) Suche
Mit dem Pflegegrad (Stufen 1 bis 5) wird der jeweilige Unterstützungsbedarf pflegebedürftiger Menschen festgelegt. Laut Bundesgesundheitsministerium hatten Ende 2024 rund 4,8 Millionen Menschen einen Pflegegrad, davon 861.000 Pflegegrad 1. Bild: picture alliance/dpa | Tom Weller
  • Berichte über Sparpläne bei der Pflegeversicherung
  • Bundesregierung will angeblich Pflegegrad 1 streichen - SPD dementiert
  • CDU-Ministerin Nina Warken hält sich Optionen bei Pflegegrad-Reform offen

Deutschlands Pflegeversicherung steckt in einer chronischen finanziellen Krise, während die Zahl derer, die pflegebedürftig werden, immer weiter steigt. Nun machen Berichte die Runde, in der Bundesregierung werde die Abschaffung von Pflegegrad 1 diskutiert, um Kosten zu sparen. Von einer solchen Streichung wären etwa 861.000 Menschen in Deutschland betroffen.

Deutschlands Pflegeversicherung am Limit: 2-Milliarden-Euro-Loch muss gestopft werden

Nach Informationen der "Bild" wird eine solche Sparmaßnahme derzeit in der schwarz-roten Koalition diskutiert. Hintergrund sind massive Finanzlöcher in den Sozialversicherungen: Der Pflegeversicherung fehlen im kommenden Jahr zwei Milliarden Euro, der gesetzlichen Krankenversicherung vier Milliarden. Menschen mit Pflegegrad 1 erhalten monatlich 131 Euro für Alltagshilfen wie Putzdienste oder Einkaufshilfen. Zusätzlich gibt es Zuschüsse für barrierefreie Umbauten und Pflegehilfsmittel. Die Zahl der Betroffenen steigt rapide an - allein 2024 kamen 81.500 Menschen neu in diese Pflegestufe. Ohne schnelle Gegenmaßnahmen drohen ab Januar Beitragserhöhungen in der Sozialversicherung. Eine Streichung würde laut Berechnungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung etwa 1,8 Milliarden Euro jährlich einsparen.

SPD dementiert Einsparpläne in der Pflegeversicherung: Pflegegrad 1 soll nicht abgeschafft werden

Die Sozialdemokraten lehnen eine Streichung des Pflegegrads 1 kategorisch ab. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Christos Pantazis, erklärte, seine Partei verwahre sich entschieden gegen Leistungskürzungen in der Pflegeversicherung. Die Union habe diesen Vorschlag bereits während der Koalitionsverhandlungen eingebracht, doch die SPD habe ihn damals klar zurückgewiesen. "Als Verantwortungskoalition haben wir die Pflicht, Orientierung zu geben, statt mit immer neuen Kürzungsdebatten Verunsicherung zu schüren. Denn Verunsicherung ist das Einfallstor für Populisten", betonte Pantazis. Die Diskussion um mögliche Kürzungen sei nicht neu. Nach den deutlichen Äußerungen aus der SPD erscheint es unwahrscheinlich, dass die Überlegungen zur Abschaffung des Pflegegrads 1 weiter vertieft werden. Die Sozialdemokraten signalisieren damit klaren Widerstand gegen Sparmaßnahmen auf Kosten der Pflegebedürftigen.

Trotz SPD-Dementi: Gesundheitsministerin Warken hält sich alle Optionen offen

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) reagierte indes deutlich zurückhaltender auf die Diskussion. "Wir werden den Menschen nicht über Nacht etwas wegnehmen", erklärte sie gegenüber RTL/ntv. Eine Abschaffung des Pflegegrads 1 schloss die Ministerin jedoch nicht aus. Das Pflegesystem sei eine große Errungenschaft, aber man müsse notwendige Änderungen vornehmen, um es generationengerecht zu gestalten.

Warken steht unter enormem Finanzdruck. Bei einem Treffen im Kanzleramt mit Friedrich Merz und Finanzminister Lars Klingbeil forderte sie vier Milliarden Euro für die Krankenkassen. Das Ergebnis: Die Ministerin muss bis 2026 konkrete Sparvorschläge vorlegen, bevor zusätzliche Haushaltsmittel fließen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet derzeit Vorschläge zur nachhaltigen Finanzierung der Pflegeversicherung. Diese befasst sich auch mit der Ausrichtung der Pflegegrade. Erste Zwischenergebnisse werden im Oktober erwartet.

Patientenverbände reagieren empört auf mögliche Pflegegrad-Abschaffung

Patientenschützer und Sozialverbände laufen Sturm gegen die vermeintlichen Sparpläne der Bundesregierung. Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz warnte eindringlich vor den Folgen: "Wenn die Bundesregierung diesen Pflegegrad abschaffen will, wäre das ein schwerer Schlag für die Betroffenen." Der Pflegegrad 1 sei ursprünglich eingeführt worden, um demenziell erkrankte Menschen in die Pflegeversicherung einzubeziehen.

Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband bezeichnete die Überlegungen als fatales Signal an Menschen mit leichten Einschränkungen und ihre pflegenden Angehörigen. Der Sozialverband Deutschland kritisierte, solche Vorschläge verunsicherten Millionen Pflegebedürftige.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann forderte alternative Finanzierungsquellen: Die Regierung solle versicherungsfremde Leistungen aus dem Bundeshaushalt bezahlen und sechs Milliarden Euro Corona-Mehrkosten an die Pflegekassen zurückzahlen.

Was bedeutet Pflegegrad 1 und wer bekommt ihn?

Mit dem Pflegegrad (Stufen 1 bis 5) wird der jeweilige Unterstützungsbedarf pflegebedürftiger Menschen festgelegt, unter anderem abhängig davon, wie selbstständig jemand im Alltag etwa beim Anziehen, Toilettengang oder der Verpflegung noch ist. Pflegegrad 1 steht für geringe Beeinträchtigungen, Pflegegrad 5 für einen sehr hohen Unterstützungsbedarf. Laut Bundesgesundheitsministerium hatten Ende 2024 rund 4,8 Millionen Menschen einen Pflegegrad, davon 861.000 Pflegegrad 1.

Betroffene, denen Pflegegrad 1 zugesprochen wird, haben Anspruch auf monatlich bis zu 131 Euro als Entlastungsbetrag, der für Haushaltshilfen, Einkaufsdienste oder zur Unterstützung pflegender Angehöriger verwendet werden kann. Pflegende Angehörige bekommen zudem kostenfreie Pflegekurse vermittelt. Zusätzlich finanziert die Pflegeversicherung Zuschüsse für barrierefreie Wohnungsumbauten wie den Einbau behindertengerechter Duschen. Auch Pflegehilfsmittel wie Betteinlagen und ein Hausnotruf werden bezuschusst. Pflegende Angehörige erhalten kostenlose Schulungen.

Die Einführung 2017 revolutionierte das Pflegesystem: Aus drei Pflegestufen wurden fünf Pflegegrade, wodurch auch kognitive Einschränkungen wie Demenz besser berücksichtigt werden. Der Pflegegrad 1 ermöglicht vielen Menschen mit beginnenden Einschränkungen erstmals Zugang zu Unterstützungsleistungen - eine Errungenschaft, die nun zur Disposition steht.

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