1.100 Menschen sind bei einem Erdbeben an der afghanisch-pakistanischen Grenze gestorben. Augenzeugen berichten von schrecklichen Szenen in der Krisenregion. Papst Franziskus betete in Rom für die Opfer.
Seit Jahren leiden die Menschen in Afghanistan unter kriegerischen Auseinandersetzungen oder der Schreckensherrschaft der Taliban. Als ob das Elend in dem asiatischen Land nicht schon groß genug wäre, kam es am Dienstag (22.06.2022) auch noch zu einer verheerenden Naturkatastrophe.
Nach Erdbeben in Afghanistan: Zahl der Todesopfer auf 1.100 gestiegen
Nach dem verheerenden Erdbeben in Afghanistan ist die Zahl der Todesopfer auf 1.100 gestiegen. Mehr als 1.600 Menschen in den betroffenen Gebieten im Osten des Landes seien zudem verletzt worden, berichtete der afghanische Sender "Tolonews" unter Berufung auf den Katastrophenschutz am Freitag.
Das UN-Nothilfebüro OCHA hatte die Totenzahlen nach der Katastrophe am Donnerstag (23.06.2022) auf 770 geschätzt. Die Zahlen könnten laut OCHA aber noch steigen. Besonders besorgniserregend sei die Gefahr eines Cholera-Ausbruchs in den betroffenen Provinzen.
Das Erdbeben hatte nach Angaben der US-Erdbebenwarte eine Stärke von 5,9 und ereignete sich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (Ortszeit). Regen erschwerte die Rettungsarbeiten zusätzlich. Viele Hilfsorganisationen sicherten dem Land Unterstützung zu. Auch deutsche Hilfskräfte hatten sich am Donnerstag auf den Weg ins Katastrophengebiet gemacht.
Naturkatastrophe in Afghanistan: Schweres Erdbeben tötet mehr als 1.000 Menschen
Einen solchen Horror habe er noch nie erlebt, sagte Chalid Sadran, Polizeisprecher der amtierenden Taliban-Regierung, am Donnerstag. "Obwohl wir unser Leben mit Bombenexplosionen verbracht haben." Und weiter: "Es war nicht zu ertragen. Wir haben für sie Essen vom Armeekorps vorbereitet. Sie waren hungrig, müde und verängstigt. Dann begann es zu regnen."
"Viele Leichen sind noch nicht geborgen worden. Einige befinden sich in den Häusern und einige unter den Trümmern", sagte ein Bewohner der betroffenen Gebiete im Osten des Landes dem TV-Sender Tolonews. "Wir brauchen Kräne, sie sollen unsere Häuser aufbauen, und sie sollen uns Zelte bringen. Wir haben die Nacht draußen in den Bergen verbracht", klagte der Mann.
Mehrere Hilfsorganisationen sicherten dem Land unterdessen Unterstützung zu. "Es wird erwartet, dass die Zahl der Opfer noch steigen wird, da die Such- und Rettungsmaßnahmen noch andauern", teilte das UN-Nothilfebüro (OCHA) mit. UN-Generalsekretär António Guterres sprach den Opfern sein Beileid aus.
"Das Erdbeben in Afghanistan erschüttert ein Land, in dem rund 20 Millionen Menschen nicht mehr wissen, wie sie sich ernähren sollen", sagte der Welthungerhilfe-Landesdirektor in Kabul, Thomas ten Boer. "Die lokalen Behörden haben bereits signalisiert, dass Hilfe von außen willkommen sei. Das zeigt, dass aus eigener Kraft die Katastrophe, deren Ausmaß noch nicht genau bekannt ist, kaum zu bewältigen ist", so ten Boer.
Beben in Afghanistan: UN braucht 15 Millionen und redet mit Nachbarn
Nach dem verheerenden Erdbeben in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion brauchen die Vereinten Nationen 15 Millionen Dollar sofortige Hilfe. Diese Zahl gelte nur für die durchgeführten Hilfsmaßnahmen am Mittwoch und werde steigen, sagte der stellvertretende UN-Sonderbeauftragte für humanitäre Angelegenheiten in Afghanistan, Ramiz Alakbarov. Die Vereinten Nationen hätten bereits zehn Tonnen an medizinischen Hilfsgütern in die betroffenen Regionen gebracht sowie Chirurgen und Ärzte.
Man sei zudem in Gesprächen mit Ländern der Region wie der Türkei, um diese möglicherweise um humanitäre Unterstützung zu bitten. Dabei gehe es auch um größeres Gerät und Logistik: "Wir haben, wie gesagt, nicht die Kapazitäten, Menschen unter den Trümmern hervorzuholen." Schätzungen zufolge seien 2.000 Häuser zerstört worden. Das Erdbeben sei auch deutlich in der Hauptstadt Kabul zu spüren gewesen.
Augenzeugen berichten von hunderten Leichen auf den Straßen
Ein Augenzeuge berichtete der Deutschen Presse-Agentur von der Zerstörung in den betroffenen Gebieten. "Überall herrscht ein großes Chaos. Ich habe in einer Stunde hundert Leichen gezählt", sagte der Journalist Rahim Chan Chushal. "Das Grauen ist groß. Die Eltern können ihre Kinder nicht finden und die Kinder ihre Eltern nicht. Jeder fragt sich, wer tot ist und wer lebt. Die Häuser sind aus Lehm, und deshalb wurden sie alle durch die starke Erschütterung zerstört."
Durch das Erdbeben in Afghanistan wurde ein ganzes Dorf zerstört
Die Taliban-Führung sprach den Opfern ihr Mitgefühl und Beileid aus. Nach Regierungsangaben wurden Dutzende Häuser in den Provinzen Paktika und Chost zerstört. Auch zahlreiche Tiere kamen ums Leben. Afghanische Medien berichteten, ein Dorf sei komplett zerstört worden. Die Bauweise in der armen und wirtschaftlich schwachen Region ist aus Kostengründen nicht erdbebensicher, viele Familien leben dicht zusammen. Zudem dürfte das Beben die Bewohner in der Nacht überrascht haben.
Taliban riefen Notsitzung zusammen
Der Katastrophenschutz befürchtet unterdessen eine noch höhere Opferzahl. Erschwert wurden die Rettungsarbeiten durch den Zugang zur abgelegenen Bergregion. Die militant-islamistischen Taliban, die seit August 2021 wieder in Afghanistan herrschen, riefen eine Notsitzung des Kabinetts zusammen. Mehrere Hubschrauber wurden in die Unglücksregion geschickt, um den Menschen vor Ort zu helfen. Ein Regierungssprecher rief Hilfsorganisationen zur Unterstützung auf. Bereits am Mittwoch trafen Helfer des Roten Halbmonds ein.
Afghanistan-Erdbeben hatte eine Stärke von 5,9
Die US-Erdbebenwarte (USGS) vermeldete für das Beben kurz vor 23.00 Uhr am Dienstag (Ortszeit) die Stärke 5,9 sowie ein etwas schwächeres Nachbeben. Demnach befand sich das Zentrum des Bebens rund 50 Kilometer südwestlich der Stadt Chost nahe der Grenze zu Pakistan in rund zehn Kilometern Tiefe. Pakistanische Behörden hatten das Beben mit einer Stärke von 6,1 registriert.
Erschütterungen waren auch in Pakistan zu spüren
Pakistanischen Angaben zufolge waren die Erschütterungen in weiten Teilen des angrenzenden Landes - so auch in der Hauptstadt Islamabad und selbst in Lahore im Osten des Landes - zu spüren. Mancherorts brach Panik aus, über Schäden oder Verletzte in Pakistan war nach ersten Angaben jedoch nichts bekannt. Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif drückte im Internet seine Betroffenheit aus und stellte Hilfe für die Menschen im Nachbarland in Aussicht.
Papst Franziskus betete für Opfer und deren Familien
Papst Franziskus betete in Rom für die Opfer. "Ich drücke den Verletzten und denen, die vom Erdbeben betroffen sind, meine Nähe aus", sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Mittwoch am Ende der Generalaudienz vor Gläubigen und Besuchern auf dem Petersplatz. Er bete besonders für diejenigen, die ihr Leben verloren hätten und für deren Familienangehörige, erklärte der 85-Jährige.
Bereits in der vergangenen Jahren gab es Tausende Tote durch Erdbeben in der Region
Immer wieder kommt es zu schweren Erdbeben in der Region am Hindukusch und den Nachbarländern, wo die Arabische, die Indische und die Eurasische Platte aufeinandertreffen. 1998 erschütterte einBeben den Norden Afghanistans, mehrere Tausend Menschen starben. In Pakistan starben 2005 bei einem gewaltigen Erdbeben mehr als 75.000 Menschen, über 3,5 Millionen Menschen wurden obdachlos. Im Nachbarland Iran starben bei einem Beben 2003 mehr als 40.000 Menschen, die historische Stadt Bam wurde größtenteils zerstört.
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gom/kns/news.de/dpa