Erdogan-Regierung: Bizarrer Kampf gegen Übergewicht - Öffentliche "Fett-Kontrollpunkte" in der Türkei
Das türkische Gesundheitsministerium wendet eine umstrittene Methode an, um Übergewicht in der Bevölkerung zu bekämpfen. Auf offener Straße heißt es: "Rauf auf die Waage".
Erstellt von Anika Bube - Uhr
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- Türkische Regierung lässt Millionen Bürger öffentlich wiegen – selbst Minister betroffen
- Kritik an Demütigung im öffentlichen Raum und hohen Lebensmittelpreisen
- Kampagne fällt mit Markteinführung von Abnehmspritzen zusammen
In der Türkei greift der Staat jetzt ganz öffentlich zum Maßband. Millionen Bürger werden einfach auf der Straße gewogen – freiwillig ist das nur bedingt. Die Kritik wächst, doch Gesundheitsminister Kemal Memişoğlu bleibt unbeeindruckt. Auch wenn er selbst ein paar Kilos zu viel hat.
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Türkei kämpft mit bizarrer Kampagne gegen Übergewicht
Die Kampagne des Gesundheitsministeriums mit dem Titel "Lern dein Idealgewicht kennen, lebe gesund" soll dabei helfen, Übergewicht in der Bevölkerung zu bekämpfen. Kritiker werfen der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan allerdings Demütigung vor.
Mit der Aktion sollen zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger innerhalb von zwei Monaten erreicht werden, wie Memişoğlu angab. "Unser Gesundheitspersonal wird an öffentlichen Plätzen und Aktivitätspunkten, an denen sich unsere Bürger aufhalten, Messungen von Körpergröße, Gewicht und Body-Mass-Index (BMI) vornehmen", schrieb Memişoğlu auf der Social-Media-Plattform X, ehemals Twitter. "Wir wollen das Bewusstsein für die Schäden von Übergewicht schärfen und eine Kultur der gesunden Lebensweise verbreiten", hieß es weiter.
Öffentliche Gewichtskontrollen in der Türkei
Die Kampagne findet nicht hinter verschlossenen Türen statt: Stadtzentren, Einkaufszentren, Parks – überall taucht medizinisches Personal mit Waagen auf. Auch Menschen auf dem Weg zu Fußballspielen oder beim Einsteigen in Busse werden angehalten. In Einkaufszentren gibt es provisorische Stände, an denen Kunden direkt zum BMI-Check gebeten werden. Selbst Hausbesuche stehen auf dem Plan – dokumentiert durch offizielle Kampagnenfotos.
Das Programm startet am 10. Mai und soll bis zum 10. Juli laufen. Gesundheitsmitarbeiter wurden in allen 81 Regionen mit Waagen und Maßbändern ausgestattet, um Body-Mass-Index (BMI)-Kontrollen durchzuführen. Die Kampagne wird von offizieller Seite als "nationaler Kampf" gegen Übergewicht bezeichnet. Mit den Daten werden Menschen mit hohen Body-Mass-Index-Werten ab 25 zu Gesundheitszentren verwiesen. Dort werden dann Ernährungsberatungen und Nachsorge durch Diätassistenten angeboten. Der Body-Mass-Index errechnet sich aus Gewicht und Größe.
Der Generaldirektor für öffentliche Gesundheit, Muhammed Emin Demirkol, sagte nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, dass sechs von zehn Bürgern in der Türkei übergewichtig oder adipös seien. Als fettleibig (adipös) gilt, wer einen BMI von 30 oder mehr hat. In der Türkei ist der Anteil der Menschen mit Fettleibigkeit nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im europaweiten Vergleich hoch.
"Fett-Kontrollpunkte" in der Türkei: Netz amüsiert sich über Kampagne
Die Reaktionen in den sozialen Medien ließen nicht lange auf sich warten und reichen von Scham bis Spott. Die Psychiaterin und Akademikerin Gökben Hızlı Sayar schrieb auf X, sie sei am Üsküdar-Platz in einen "Fett-Kontrollpunkt" geraten. Glück im Unglück: "Sie haben mich nur ein wenig gescholten und gehen lassen", schrieb sie. Drei "mollige" Bekannte habe sie anschließend gewarnt und zur "Solidarität unter fetten Kameraden" aufgerufen. Gesundheitsminister Memişoğlu zeigte Humor: "Liebe junge Leute, ich lese, was ihr schreibt. Ihr seid sehr unterhaltsam – aber das Thema Übergewicht ist ernst."
Kritik an der Anti-Übergewicht-Kampagne – und ein merkwürdiger Zufall
Immer mehr Stimmen werden laut: Warum müssen Menschen in aller Öffentlichkeit gewogen werden? Ist die Scham Teil der Strategie? Hinzu kommt die wirtschaftliche Realität: Kritiker werfen der Regierung unter Präsident Erdogan vor, die steigenden Lebensmittelpreise und stagnierenden Löhne zu ignorieren. Gesunde Ernährung werde so zum Luxus – für viele schlicht nicht bezahlbar. Ein Detail sorgt zusätzlich für Stirnrunzeln: Just in der Woche der Kampagnen-Einführung kam in der Türkei eine neue Generation von Abnehm-Injektionen auf den Markt. Zufall?
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