Wladimir Putin: Dolina-Effekt schürt Angst in Russland - geht der Kreml-Chef zu weit?

Ein Betrugsvorwurf, eine Immobilie, die verkauft werden soll und mitten drin die russische Sängerin Larissa Dolina. Was einst als Fall für die Justiz begann, entwickelt sich zum Ventil öffentlicher Regimekritik an Wladimir Putin.

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Wladimir Putin gemeinsam mit der russischen Sängerin Larisa Dolina (links).  (Foto) Suche
Wladimir Putin gemeinsam mit der russischen Sängerin Larisa Dolina (links).  Bild: dpa/Maxim Shipenkov/Pool
  • Was ist der Dolina-Effekt?
  • Streit um Immobilie entwickelt sich in Russland zum Politikum
  • Hat Wladimir Putin selbst eingegriffen?
  • Darum richtet sich der Hass der Bevölkerung nun gegen die Sängerin

In Russland sorgt ein neues Phänomen für Aufruhr: der sogenannte Dolina-Effekt. Benannt ist er nach der 70-jährigen Popsängerin Larissa Dolina, die seit den 1980er-Jahren im russischen Musikgeschäft aktiv ist. Aber was genau steckt dahinter?

Die Künstlerin Larissa Dolina steht derzeit im Mittelpunkt eines landesweiten Skandals – allerdings nicht wegen ihrer Musik. Ein Moskauer Gericht sprach ihr kürzlich eine Wohnung zu, die sie zuvor verkauft hatte. Das Brisante daran: Die Käuferin geht komplett leer aus. Sie erhält weder die Immobilie noch ihr gezahltes Geld zurück.

Das Urteil hat in der russischen Bevölkerung massive Empörung ausgelöst. Viele sehen darin ein Beispiel dafür, wie Prominente mit guten Verbindungen vom System bevorzugt werden.

Dubioser Wohnungsverkauf mit fatalen Folgen

Im Jahr 2024 wechselte Dolinas Moskauer Apartment für 112 Millionen Rubel – umgerechnet etwa 1,25 Millionen Euro – den Besitzer. Der Preis lag deutlich unter dem tatsächlichen Marktwert der Immobilie.

Nach Erhalt des Kaufpreises von der Erwerberin Polina Lurje behauptete die Sängerin jedoch, Opfer von Betrügern geworden zu sein. Diese hätten sie manipuliert und unter Druck gesetzt. Aus ungeklärten Gründen soll Dolina die gesamte Summe anschließend an die mutmaßlichen Täter weitergeleitet haben.

Am 28. November verurteilte ein Moskauer Gericht vier der beschuldigten Betrüger zu Haftstrafen zwischen vier und sieben Jahren. Für die Käuferin Lurje bedeutet das Urteil dennoch einen Totalverlust: Obwohl sie nachweislich nichts von dem Betrug wusste und ordnungsgemäß an Dolina zahlte, steht ihr keine Rückerstattung zu. Das Gericht verwies sie lediglich darauf, ihr Geld separat von den Betrügern einzuklagen.

Karriere im freien Fall - Russischer Mega-Star wegen Systemkritik angegangen

Die Konsequenzen für die Sängerin sind jedoch verheerend. Fans fordern ihr Geld für bereits gekaufte Konzerttickets zurück, Veranstalter streichen ihre geplanten Auftritte. Besonders symbolträchtig: Das renommierte Moskauer "Café Pushkin" lud Dolina von seiner Silvesterfeier aus. Ursprünglich sollte sie dort für Tickets zu je 95.000 Rubel – mehr als 1.000 Euro – auftreten. Nun übernehmen ein Streichquartett und eine Coverband das Programm, berichtet "t-online-de".

Auch die Filmbranche distanziert sich. Berichten zufolge könnte die 70-Jährige aus einem russischen Film herausgeschnitten werden, der am 11. Dezember in die Kinos kommt.

Hat Wladimir Putin hier höchstpersönlich eingegriffen?

Unterdessen kursieren Gerüchte, Kremlchef Wladimir Putin habe persönlich in den Fall eingegriffen. Belege dafür existieren nicht – doch das als ungerecht empfundene Urteil nährt solche Spekulationen.

Angst vor dem Präzedenzfall - Kreml reagiert auf Volksempörung

Der Skandal hat mittlerweile solche Ausmaße angenommen, dass sich die Politik einschalten muss. In der russischen Staatsduma werden bereits Gesetzesänderungen debattiert. Ein zentraler Vorschlag sieht vor, Immobilientransaktionen künftig mit einer siebentägigen Sperrfrist zu belegen. Innerhalb dieses Zeitraums könnten Geschäfte bei Verdacht auf Manipulation rückgängig gemacht werden.

Dolina-Effekt sorgt für Verunsicherungen in Russland

Rechtsexperten stufen das Urteil als Präzedenzfall mit weitreichenden Auswirkungen ein. Unter potenziellen Immobilienkäufern breitet sich Verunsicherung aus. Sie befürchten, selbst dem Dolina-Effekt zum Opfer zu fallen: eine Wohnung erwerben, den vollen Kaufpreis entrichten – und am Ende sowohl das Geld als auch die Immobilie verlieren, weil der frühere Eigentümer sie zurückfordert.

Gefahrloser Protest gegen das System - Darum richtet sich die Kritik eigentlich gegen Putin

Für viele Russen ist die Sängerin zum Blitzableiter für aufgestaute Frustration geworden, schreibt auch "t-online.de". Der Politologe Iwan Preobraschenski analysiert das Phänomen: "Der Grund für diesen massenhaften Hass liegt offensichtlich tiefer. Es ist die Frustration einer müden, eingeschüchterten und zersplitterten Gesellschaft."

Dolina verkörpere einen Knotenpunkt, an dem sich die Unzufriedenheit verschiedenster Bevölkerungsschichten bündele. Der entscheidende Unterschied zu anderen Zielen: "Kritisiert man Putin, kann man schnell hinter Gittern landen. Aber bei Dolina kann man der Unzufriedenheit freien Lauf lassen", erklärt der gebürtige Moskauer.

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