Atomkraftwerke im Fadenkreuz: Was droht, wenn Bomben auf Reaktoren fallen
Was passiert, wenn ein Atomreaktor zur Zielscheibe wird? Eine Explosion könnte mehr Schaden anrichten als Tschernobyl – und der Schutz durch internationales Recht hat Schlupflöcher. Ein Blick auf ein reales Horrorszenario.
Von news.de-Redakteurin Anika Bube - Uhr
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- Atomkraftwerke sind verwundbar – trotz völkerrechtlichem Schutz wurden sie mehrfach bombardiert
- Bei einem gezielten Angriff drohen Kernschmelzen mit katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt
- Rechtlicher Schutz greift nicht immer – manche Szenarien erlauben militärische Schläge auf Reaktoren
Ein gezielter Raketenangriff – und es droht eine Katastrophe, schlimmer als Fukushima oder Tschernobyl. Weltweit wurden bereits mehrfach Atomkraftwerke bombardiert. Und obwohl internationales Recht solche Angriffe eigentlich verbietet, bleibt ein schockierendes Risiko: Die Schwachstellen sind bekannt – und die Konsequenzen könnten verheerend sein.
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Wie die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) schreibt, sind die meisten Atomreaktoren nicht für Extremereignisse wie Bombardierungen aus der Luft, Raketeneinschläge oder Flugzeugabstürze ausgelegt. Ein direkter Treffer und es droht eine nukleare Katastrophe. Zwar verfügen viele Reaktoren über massive Beton- und Stahlschutzhüllen. Doch genau dort, wo es besonders kritisch ist – etwa bei Abklingbecken oder Kühlsystemen – fehlt oft ausreichender Schutz. Ein gezielter Angriff auf diese Schwachstellen könnte fatale Kettenreaktionen auslösen.
Mögliche Folgen von Angriffen auf Atomanlagen
Bei Angriffen auf Abklingbecken droht eine besonders große Gefahr. Forscher warnen, dass die Freisetzung von Cäsium-137 aus brennenden Abklingbecken deutlich größer sein könnte als bei Reaktorunfällen wie in Tschernobyl oder Fukushima. Diese Katastrophen zwangen über 100.000 Menschen in der Ukraine und 160.000 in Japan zur Evakuierung.
Die Exposition gegenüber Cäsium-137 kann zu Verbrennungen, akuter Strahlenkrankheit und Tod führen. Abklingbecken sind oft dicht gepackt, was die Gefahr von Wasserstoffexplosionen erhöht, wenn die Kühlung ausfällt und sie Feuer fangen.
1957 ereignete sich ein Nuklearunfall in Windscale, Großbritannien, als ein Graphitreaktor in Brand geriet. Dabei wurden Jod-131 und Polonium-210 freigesetzt, der radioaktive Niederschlag verteilte sich über Großbritannien und Europa. Jod-131 kann Schilddrüsenkrebs verursachen, während Polonium-210 hochgiftig für Menschen ist.
Historische Angriffe auf Nuklearanlagen
Bereits mehrfach wurden Nuklearanlagen in der Vergangenheit zum Ziel militärischer Angriffe. Zwischen 1984 und 1987 bombardierte der Irak wiederholt iranische Atomkraftwerke im Bau aus der Luft. Israel zerstörte 1981 irakische Forschungsreaktoren durch Luftangriffe, die USA taten dies 1991 erneut. Weitere Vorfälle zeigen die weltweite Bedrohung: 1991 überflogen jugoslawische Kampfflugzeuge bedrohlich das slowenische Kernkraftwerk Krsko, kurz nach der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens. In Spanien wurden 1977 Reaktoren im Bau durch Bomben beschädigt, ebenso 1982 in Südafrika. Auch in Europa gab es Angriffe: 1982 trafen Panzerabwehrraketen ein französisches Atomkraftwerk im Bau. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Nuklearanlagen weltweit bereits mehrfach Ziel militärischer Gewalt wurden, sowohl im Bau als auch während des Betriebs.
Völkerrecht schützt Atomkraftwerke vor Bombenangriffen
Zwar enthalten die Zusatzprotokolle I und II der Genfer Konventionen von 1949 spezielle Bestimmungen zum Schutz von Atomkraftwerken und Artikel 56 des Zusatzprotokolls I verbietet grundsätzlich Angriffe auf Kernkraftwerke, doch dieses Verbot gilt nicht uneingeschränkt. Wenn die Anlage nachweislich auch militärische Operationen mit Strom versorgt und ein Angriff die einzige Möglichkeit darstellt, die Stromversorgung zu unterbrechen, kann sie angegriffen werden. Der Schutz der Zivilbevölkerung muss dabei weiterhin gewährleistet bleiben.
Das Zusatzprotokoll II für nicht-internationale bewaffnete Konflikte verbietet in Artikel 15 ohne Einschränkungen Angriffe auf Kernkraftwerke, wenn dadurch gefährliche Kräfte freigesetzt werden könnten. Die Protokolle erfassen allerdings nur Kernkraftwerke selbst, nicht andere Nuklearanlagen wie Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente oder Forschungsreaktoren.
Weitere internationale Schutzabkommen
Der afrikanische Pelindaba-Vertrag von 1996 verbietet ebenfalls Angriffe auf Nuklearanlagen. Zwischen Indien und Pakistan besteht ein bilaterales Abkommen, das gegenseitige Angriffe auf Atomanlagen untersagt.
Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) hat in mehreren Resolutionen erklärt, dass Angriffe auf friedliche Nuklearanlagen nach internationalem Recht verboten sind. Dazu gehören die Resolutionen von 1983, 1984 und 1985.
Im Juli 2024 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution, die die sofortige Einstellung russischer Angriffe auf kritische Energieinfrastruktur der Ukraine fordert. Die Resolution verlangt den Abzug russischen Militärpersonals aus dem Kernkraftwerk Saporischschja und die Rückgabe der Anlage an die Ukraine. Diese aktuellen Entwicklungen zeigen die anhaltende Relevanz des völkerrechtlichen Schutzes von Nuklearanlagen in bewaffneten Konflikten.
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