Eklatanten Lücken im Schutzkonzept: Experten warnen vor Anschlägen auf Weihnachtsmärkten

Nach der Festnahme eines mutmaßlichen Terroristen in Berlin wächst die Angst vor Anschlägen auf Weihnachtsmärkten. Während die Innenminister beschwichtigen, warnen Sicherheitsexperten vor eklatanten Lücken im Schutzkonzept.

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Sicherheitsexperten warnen vor gravierenden Sicherheitsmängeln auf Weihnachtsmärkten. (Foto) Suche
Sicherheitsexperten warnen vor gravierenden Sicherheitsmängeln auf Weihnachtsmärkten. Bild: picture alliance/dpa | Roberto Pfeil
  • Sicherheitswarnung: Weihnachtsmärkte gelten als "weiche Ziele" für potenzielle Attentäter.
  • Billig-Wächter statt Profis: Viele Sicherheitskräfte sind schlecht geschult – und unaufmerksam.
  • Kostenstreit eskaliert: Kommunen und Betreiber schieben sich Verantwortung zu.

Anfang November wurde in Berlin ein 22-jähriger Syrer festgenommen, weil er einen Anschlag geplant haben soll. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bezeichnete die Terrorgefahr daraufhin als "abstrakt, aber dennoch hoch". Experten sehen diese Wortwahl als Hinweis auf eine konkretere Bedrohungslage.

Sicherheitsexperten warnen vor Anschlägen auf Weihnachtsmärkten

"Nach meiner Einschätzung heißt das: Man muss annehmen, dass die Bedrohung etwas konkreter geworden ist", sagte Sicherheitsexperte Stefan Binz gegenüber dem "Merkur". Mit Beginn der Weihnachtsmarktsaison rücken diese als "weiche Ziele" in den Fokus radikalisierter Einzeltäter. Die Sicherheitsanforderungen wurden nach den Anschlägen in Magdeburg und Solingen verschärft.

Die nach den Anschlägen installierten Betonblöcke an Zufahrten bieten jedoch nur begrenzten Schutz. Bisanz übt scharfe Kritik: "Die weichen Ziele sind in den letzten Jahren kaum gehärtet worden." Die kostspieligen Absperrungen würden ausschließlich Fahrzeugangriffe mit Autos blockieren. Ein gravierendes Sicherheitsloch bleibt bestehen: Zweiräder können die Barrieren problemlos umfahren. "Die Sperren sind teuer, aber der Mehrwert ist nur bedingt gegeben", bemängelt der Sicherheitsexperte gegenüber dem "Merkur".

Trotz erhöhter Sicherheitsanforderungen bleibe ein erhebliches Risiko bestehen. "Weihnachtsmärkte können und sollen ja keine Festungen sein", gibt Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler vom Berliner Counter Extremism Projectzu bedenken. Die einseitige Fokussierung auf physische Barrieren vernachlässige andere potenzielle Gefahrenquellen.

Sicherheitspersonal "daddelt am Handy" statt aufzupassen

Das Kernproblem liegt bei den Sicherheitskräften selbst. Marktbetreiber engagieren bevorzugt Billiganbieter, deren Mitarbeiter zum Mindestlohn arbeiten. Die Qualifikationsanforderungen sind erschreckend niedrig: Eine 40-stündige Unterweisung bei der IHK genügt, eine Prüfung gibt es nicht. "Wenn Sie Sicherheitsmitarbeiter werden wollen, brauchen sie nur eine Unterrichtung bei der IHK. Das ist ein 40-Stunden-Sitzschein", erklärt Bisanz.

Die Folgen dieser Sparmaßnahmen sind auf den Märkten sichtbar. Statt wachsam das Geschehen zu beobachten, beschäftigen sich viele Sicherheitskräfte mit ihren Smartphones. "Die daddeln nur am Handy, statt aufzupassen", kritisiert der Sicherheitsexperte. Diese mangelnde Professionalität gefährdet die Besucher zusätzlich zur ohnehin angespannten Bedrohungslage.

Kostenstreit gefährdet Sicherheit auf Weihnachtsmärkten

Die gestiegenen Sicherheitsauflagen führen zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Marktbetreibern und Kommunen über die Finanzierung. Bislang tragen die Veranstalter die Verantwortung allein. In Nordrhein-Westfalen mussten bereits erste Märkte aufgrund der explodierenden Kosten ihre Pforten geschlossen halten.

"Veranstalter von Weihnachtsmärkten wollen wirtschaftlichen Ertrag. Nach meiner Erfahrung haben viele die Einstellung: Es wird schon nix passieren", analysiert Bisanz die Problematik. Diese Haltung führe zu gefährlichen Sparmaßnahmen bei der Sicherheit.

Die Differenz zwischen qualifizierten Fachkräften (33 Euro pro Stunde) und Mindestlohnpersonal (25 Euro) erscheint gering, summiert sich aber bei mehrtägigen Veranstaltungen zu erheblichen Beträgen. Viele Betreiber entscheiden sich daher für die günstigere, aber riskantere Variante.

Zivilstreifen statt Uniformen: Experten fordern neue Sicherheitskonzepte

Die derzeitigen Sicherheitsstrategien weisen erhebliche Schwächen auf. Uniformierte Doppelstreifen ermöglichen potenziellen Tätern, Überwachungslücken sofort zu erkennen. Bisanz plädiert für einen Strategiewechsel: Zivile Sicherheitskräfte sollten sich unter die Besucher mischen und das Treiben unauffällig beobachten.

Zusätzlich empfiehlt der Experte den Einsatz von Sprengstoffspürhunden. "Das kann auch ein unauffälliger Dackel sein", erklärt Bisanz. Solche Maßnahmen erfordern jedoch professionell geschultes Personal statt ungelernte Hilfskräfte.

Die Lösung des Sicherheitsproblems liegt in höheren Investitionen. "Wenn es sicherer werden soll, müssen Betreiber investieren oder Kommunen Kosten übernehmen", fordert Bisanz. Angesichts der verschärften Terrorlage durch den erstarkenden Islamismus weltweit erscheint eine Neuausrichtung der Sicherheitskonzepte dringend geboten.

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