
- Union und SPD planen neues Ärzte-System
- Der Hausarzt soll dabei die erste Anlaufstelle sein
- Ärzte diskutieren heftig über den Vorschlag
Bessere Patientenversorgung, kürzere Wartezeiten und Entlastungen für das Personal in den Praxen - all das versprechen Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag. Ihr Vorschlag: Ein Primärarztsystem, bei dem erst nach dem Hausarztbesuch der Besuch eines Facharztes ermöglicht wird. So sollen unnötige Behandlungen bei Spezialisten vermieden werden. Der Vorschlag ist jedoch unter Gesundheitsexperten stark umstritten.
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Schwarz-rot will Belastung der Fachärzte senken
Das neue Konzept der schwarz-roten Regierung sieht vor, dass Patienten mit Beschwerden immer erst zum Hausarzt gehen. Ist eine Behandlung durch einen Facharzt tatsächlich erforderlich, legt der Hausarzt Termine in einem ausgewählten Zeitfenster fest. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) vermittelt diese Termine anschließend. Gelingt die Vermittlung nicht, können sich Patienten auch ambulant im Krankenhaus von einem Facharzt behandeln lassen. Ausnahmen sollen im neuen System nur in der Augenheilkunde und für Besuche bei der Gynäkologie gelten. Zudem sollen auch Lösungen für chronisch kranke Menschen gefunden werden. Im Koalitionsvertrag werden etwa "Jahresüberweisungen oder Fachinternisten als steuernder Primärarzt im Einzelfall" vorgeschlagen. Zur Einordnung: Laut der Stiftung Gesundheitswissen leiden etwa 40 Prozent der deutschen Bevölkerung unter mindestens einer chronischen Erkrankung.
Hausärzte sind für die Einführung des Primärarztsystems
Unter Ärzten sorgen die Pläne der schwarz-roten Regierung für jede Menge Diskussion. Der Bayerische Hausärzteverband sprach sich für die Einführung eines solches Systems aus. Nach Einschätzungen des Verbandes und der aktuellen Studienlage zufolge sei das System vorteilhaft: Nicht nur würden bessere Behandlungsergebnisse erzielt werden, sondern auch jede Menge Kosten gespart werden. Dem Verbandschef Wolfgang Ritter zufolge sei man mit diesem System "auf dem richtigen Weg". Ritter fordert allerdings, dass die Formulierung "verbindliches Primärarztsystem" aus dem Koalitionsvertrag keineswegs eine Pflicht für die Patienten mit sich bringen dürfe.
Fachärzte sehen bisher skeptisch auf den Vorschlag
Während das Konzept von Hausärzten weitgehend befürwortet wird, sind die Fachärzte deutlich weniger davon überzeugt. Der SpitzenverbandFachärztinnen und Fachärzte Deutschlands erklärte in einer Stellungnahme, dass das System nicht geeignet sei, Patienten adäquat zu versorgen und die hausärztliche Behandlung in der Regel zu kurz greife. "Es ist vielmehr angesichts der enormen Zahl der heute ohne ärztliche Überweisung in die Facharztpraxen strömenden Patientinnen und Patienten schlichtweg unmöglich, dass diese ausschließlich über Hausärztinnen und Hausärzte ihren Zugang zur ärztlichen Versorgung erlangen und gesteuert werden sollen", heißt es in der Mitteilung des Verbandes. Allein aus Kapazitätsgründen wären die ca. 55.000 in Deutschland ansässigen Hausärzte mit den schätzungsweise 112 Millionen zusätzlichen Arztfällen völlig überfordert. "Ein solcher hausärztlicher Flaschenhals wäre ein versorgungspolitischer Supergau", heißt es vom Verband.
"Hausarztverträge" als Vorbild für das neue System
Die Grundidee eines verbindlichen Hausarztbesuches findet sich auch in sogenannten "Hausarztverträgen", die Patienten mit gesetzlichen Krankenkassen abschließen können. Wer sich dort einschreibt, verpflichtet sich, vor dem Besuch eines Facharztes zunächst den Hausarzt aufzusuchen. In Bayern sind derzeit 1,3 Millionen Menschen in solche Verträge eingeschrieben, bundesweit sind es zehn Millionen. Das ist weniger als ein Siebtel der insgesamt 74 Millionen Kassenpatienten in Deutschland.
Anreiz zur Einschreibung ist derzeit vor allem eine besonders intensive Betreuung. Finanzielle Vorteile gibt es nur wenige oder gar keine, von einem Vertrag profitieren hingegen vor allem die Praxen und Ärzte, die höhere Honorare für die Betreuung eingeschriebener Patienten erhalten. Sanktionen für Patienten, die zwar eingeschrieben sind, aber dennoch zuerst zu Fachärzten gehen, gibt es dafür keine.
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