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"Markus Lanz" vom 30.01.2024: Diskussion über rechts: "Ich würde die AfD nicht so sehr in Schutz nehmen" 

Bei "Markus Lanz" ging es um die Schrecken des Holocausts und den wieder erstarkten Rechtsruck in Europa. Dabei diskutierten der ZDF-Moderator und seine Gäste über den Vergleich der AfD mit Nazis. Ein Autor hatte dazu eine eigene Meinung.

Markus Lanz sprach am 30. Januar über den Holocaust und die AfD. (Foto) Suche
Markus Lanz sprach am 30. Januar über den Holocaust und die AfD. Bild: picture alliance/dpa/ZDF | Markus Hertrich

"Willkommen zu unserer Sendung, wo wir heute die Chance auf eine Geschichtsstunde haben, wie es sie leider heute nicht mehr so oft gibt", eröffnete Markus Lanz am Dienstag, den 30. Januar, eine neue Ausgabe seines Polittalks. Der Holocaustüberlebende Leon Weintraub (98) erzählte seine Geschichte, gegen das Vergessen. Ein emotionaler Bericht eines Mannes, der die bestialischen Taten der Nationalsozialisten erleben musste. Danach dikutierte Lanz mit der Journalistin Nadine Lindner und Autor Harald Jähner darüber, wie man heute mit dem Rechtsruck umgeht.

Markus Lanz vom 30.01.: Holocaust Überlebender Leon Weintraub schildert Gräueltaten der Nazis

Am 27. Januar kehrte Leon Weintraub anlässlich des Holocaustgedenktages nach Deutschland zurück. Für ihn sei es wichtig ein inneres Anliegen, dass das Schicksal seiner Familienmitglieder nicht vergessen wird. Weintraub hat bereits an über 70 Schulen und in Gedenkstätten über die Gräueltaten der Nazis gesprochen. Ihn triebt, wenn man es so sagen darf, nicht nur das Andenken an seine Familie an, sondern auch die Tatsache, dass es Holocaust-Verleugner gibt und in seinem Geburtsland Polen Menschen mit NSDAP-Parolen durch die Straßen ziehen, während viele Familien diese grausamen Zeiten miterlebten. "Ur-Enkel von Nazis umgebrachten Polen nennen sich stolz Nazis", sagte der 98-Jährige. Er selbst überlebte Ausschwitz-Birkenau und drei weitere Lager. Bei Lanz erinnerte er sich. Er sprach über die "Entmenschlichung" durch die Nazis. Als er im Lager ankam herrschte "Todesstille", kein Wort war zu hören. Menschen wurden im Lager einfach aussortiert. "Der berühmte Daumen - rechts bedeutete Tod. Links Leben - auf Aufschub." Er kam in Block 10. Dort war er ohne seine Schwestern, seine Mutter wurde von den Nazis vergast, berichtete er. "Meine drei Schwestern waren zusammen. Wäre meine Mutter bei der Selektion durchgekommen, hätte sie eine Chance gehabt zu überleben, mit drei Töchtern [...]. Dann war ihm deutlich anzumerken, wie schmerzhaft diese Erinnerung für ihn ist. Dieser Gedanke quälte ihn, sagte er. Er schilderte auch, dass er im Lager wie "in einem Kokon eingeschlossen. Es ist ein Selbsterhaltungstrieb, der mich verschont hat, das richtig wahrzunehmen, was um mich geschieht. Sonst wäre ich durchgedreht." Er entkam Ausschwitz und entging der Vergasung aller Menschen aus seinem Block. Später wurde Weintraub bewusst Gynäkologe, um Leben auf die Welt zu bringen.

Die Sache habe er "nicht überwunden", aber in seinem Gehirn verarbeitet. Weintraub sei davon überzeugt, "dass es nützlich ist darüber zu sprechen. Die Wahrheit über den Alltag bei den Nazis zu berichten und das wahre Gesicht zu zeigen." Dann fügte er noch hinzu: "Es fängt an mit Abneigung gegen andere. Von oben herabschauen auf andere. Missachtung von anderen. Und das führt geradewegs in die Gaskammer."

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Markus Lanz lenkt Thema auf Rechtsruck in Europa

Nach dem emotionalen Gespräch richtete sich Lanz an Nadine Lindner. "Wenn man sich nach Europa umschaut, kommt immer wieder diese braune Soße hoch. Haben sie für sich eine Erklärung dafür?" "Sie haben angesprochen, dass es in Deutschland und anderen Ländern so ist Menschen in unterschiedliche Gruppen zu unterteilen, eigene Privilegien zu verteidigen und jetzt auf die AfD schaut und alle anderen als wir bezeichnet. "Es gebe einem in diesen Ungleichskategorien schon zudenken" und es zeigen sich rechte Strömungen in Ländern wie Schweden, Österreich oder den Niederlanden. Dennoch seien die Demokraten, wie in Schweden, nicht "auf dem absteigenden Ast". Was das aber politisch bedeutet, wird sich erst bei der Europawahl auf dem Wahlzettel zeigen", sagte die Journalistin.

"Markus Lanz": Zweifel an AfD-Vergleich

Lanz hat sich dann an Autor und Historiker Harald Jähner gewandt. "Unser Umgang damit, wenn wir ins hier und heute kommt, wenn man diese Geschichte hört und sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Geht es ihnen manchmal wie mir, dass sie sich fragen, ob wir das richtig adressieren", fragt ihn der ZDF-Moderator und ergänzt: "Wenn man hört, was wirkliche Nazis gemacht haben, wozu sie fähig waren, und wie schnell wir dann heute mit dem Begriff Nazis für alles Mögliche zur Hand sind, ist dann das nicht etwas, was das sozusagen inflationär gebraucht und am Ende nicht mehr das beschreibt, was wirkliche Nazis waren?"

Autor Jähner bei Lanz: AfD-Vergleich verharmlost "Verbrechen von damals"?

"Wie setzt man sich beispielsweise mit der AfD auseinander, kritisch, klar, aber ohne sie zu dämonisieren?", fragte der Moderator. "Man verharmlost im Grunde die Verbrechen von damals, wenn man sie allzu rasch vergleicht mit dem, was die AfD jetzt fordert", erklärt Jähner. Seiner Aussage nach sollte man diese Menschen "ganz genau" "und auch die Unterschiede" beschreiben. Menschen "pauschal als Nazis zu bezeichnen, dämonisiert sie und führt dazu, dass sie bei widerlichen Menschen an Respekt gewinnen". Das dränge die Leute nach rechts. Dem widersprach Lindner. "Mein Eindruck ist, dass die AfD sehr genau weiß, was sie tut und verantwortlich gemacht werden muss", entgegnete sie. "Wenn wir in Diskussion mit dem politischen Gegner [...] dahinter das viel Bösere sehen, statt ihm zu unterstellen, er meint es gut, vergeben wir alle Möglichkeiten, mit ihm ins Gespräch zu kommen." Weintraub sagte dazu: "Darum sollte man die Äußerungen auf Plakaten den Leuten vor Augen halten. Dieser Ausspruch von diesem sogenannten Fliegenschiss der Weltgeschichte, als den sie den Holocaust bezeichnet haben. Die glauben, jetzt ist wieder die Zeit gekommen, wo man frei und ohne Strafe zu befürchten, wieder Juden als Freiwild sehen und gegen Juden hetzen kann!" 

Braucht es einen anderen Umgang mit der AfD? Diskussion bei Markus Lanz

Im weiteren Gespräch warf Jähner unter anderem den Medien vor, dass sie mit die Unterschiede in der AfD verdeckten. "Wenn wir uns die letzten zehn Jahre anschauen, sieht man, wie sehr die mediale und liberale Öffentlichkeit dazu beigetragen hat, dass die Unterschiede in der AfD, die es gab, nicht mehr kenntlich wurden." Einige ehemalige und heutige Mitglieder, wie Bernd Höcke oder Frauke Petry seien in die Nazi-Ecke gedrängt worden. "Das führt dazu, dass irgendwann deren Anhänger sagen: O.k., dann sind wir eben Nazis". Lindner argumentierte dagegen. "Ich würde die AfD nicht so sehr in Schutz nehmen." Denn die AfD habe bestimmte Leute in die Partei aufgenommen um schnell Mitglieder zu sammeln. Den Extremismus in der Partei hätte Jörg Meuthen "glaubwürdig oder nicht" beschrieben, sagte Lindner. Zuletzt äußerte er sich auch über diese extremistischen Strömungen in einer AfD-Doku über AfD-Aussteiger. Lanz betonte, dass er nie an Meuthens Aussagen zweifelte. Jähner ging noch einmal auf das Erstarken der AfD ein und wiederholte seinen Vorwurf. "Was haben wir dazu beigetragen, dass die AfD immer stärker wird im Osten? Das ist ein großes Versagen auch der Medien. Die Leute wollen sich nicht in ihren Heizungskeller regieren lassen. Wenn wir selbst diese verrückten Aluhutträger in die Nazi-Ecke drängen, dann hat das Konsequenzen." Zudem sprach er von einem "Kampagnenjournalismus". So wurden während der Flüchtlingswelle 2015 die Probleme nicht benannt und auch das Unbehagen "der Corona-Maßnahmen im Osten" in eine gewisse Ecke geschoben. "Teilen Sie das?", fragte Lanz Lindner: "Wenn wir zu einem anderen Miteinander kommen wollen", wäre es nicht die Aufgabe der Medien zu differenzieren? "Ja und nein", meinte die Deutschlandfunk-Reporterin. Sie hielt sich beim Aufkommen der AfD 2013 bis 2015 in Sachsen auf. Seither wäre die Asyl- und Migrationspolitik restriktiver geworden. "Die AfD ist viel stärker und näher dran, diese Dinge auch umsetzen zu können, weil sie an der Macht kratzt."

Weintraub mit emotionaler Botschaft: "In Frieden miteinander leben kostet nichts"

Der Rechtsruck ist da. Gerade in diesen Zeiten erinnern Geschichten, wie die von Leon Weintraub daran, wie wichtig der Menschlichkeit sei. "In Frieden miteinander leben kostet nichts", sagte Weintraub am Ende. Ein Satz, der in diesen Zeiten wichtiger denn je ist. "Diesen Satz werden wir uns alle merken", so Lanz.

Die ganze Sendung "Markus Lanz" vom 30. Januar 2024 sehen Sie in der ZDF-Mediathek noch einmal als Video-on-demand.

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/gom/news.de

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