Von news.de-Redakteurin Claudia Arthen - Uhr

TV-Schocker: Die ARD lässt Jugendliche eiskalt morden

So brutal wurde Jugendgewalt noch nie in einem TV-Film thematisiert: Im ARD-Drama Sie hat es verdient prügelt eine Gang ein Mädchen zu Tode. Und der Zuschauer schwankt zwischen Erschrecken und Faszination.

Es ist der Albtraum aller Eltern: Ein Mädchen wird stundenlang misshandelt und gequält. Am Ende liegt es am Boden, aufgedunsen und blutig das Gesicht von den vielen Tritten seiner Peiniger. «Was machen wir jetzt mit ihr?», fragt einer die Anführerin. Die antwortet eiskalt: «Wir bringen sie um!» Die Täter sind Jugendliche, 16 Jahre alt. Ihr Opfer: eine Schulkameradin.

Die Szene stammt aus dem TV-Drama Sie hat es verdient. Es ist kein Film für zarte Zuschauerseelen. Wer sich dem 90 Minuten andauernden Schreckensszenario aussetzt und dabei auf ein Happy End hofft, wartet vergebens. Das Mädchen, Susanne (Saskia Schindler), überlebt die grauenvolle Tat nicht.

Linda ist kein Monster

Ein Jahr später: Die Mutter des Opfers (Veronica Ferres) besucht die Haupttäterin, Linda (überragend gespielt von Liv Lisa Fries), im Jugendgefängnis. «Warum? Warum hast du das getan?», fragt Nora, die ein «Monster» erwartet hatte. Doch das Mädchen, das ihr gegenüber sitzt, wirkt traurig und einsam. «Sie hat es verdient», ist seine kühle Antwort.

Warum? Die Frage stellt sich immer wieder nach solchen Taten. Warum wird ein Teenager in der Hamburger U-Bahn von Gleichaltrigen niedergestochen? Warum tötet ein Amokläufer seine Klassenkameraden in einer Schule? Warum erschießt ein junger Mann hilflose Kinder und Jugendliche in einem Ferienlager auf einer Insel bei Oslo? Warum nur?

Es ist nicht nur die Gewalt an jungen Menschen, die erschüttert, sondern deren Ausmaß, deren neue Dimension: Es sind Jugendliche, die Gleichaltrige quälen, misshandeln und sogar töten. Eigentlich wollten Linda und ihre Freunde Susanne nur einen Denkzettel verpassen. Doch die Situation gerät außer Kontrolle. Erst erniedrigen die Teenager ihr Opfer, dann treten sie zu. Immer wieder. Immer fester.

Sieben Jahre bis zur Verwirklichung

Den Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stiller hat die Frage nach dem Warum nicht losgelassen und dazu veranlasst, einen Film über die Eskalation von Gewalt zu drehen. Mit seiner Idee stieß er nicht überall auf offene Ohren. Er solle das Thema entschärfen und die Geschichte anders erzählen, verlangten einige Sender. Doch der Regisseur zeigte sich nur bedingt kompromissbereit. Erst als sich Veronica Ferres (die als Koproduzentin fungierte) einschaltete und auf einen großen Teil ihrer Gage verzichtete, gab die ARD grünes Licht für einen Film, der das Thema Gewalt unter Jugendlichen auf eine Art und Weise schildert, wie es bislang noch nicht zu sehen war im deutschen fiktionalen Fernsehen.

Stillers Drama trifft keine Schuldzuweisungen und liefert auch keine Antworten für die Tat, zeigt aber Möglichkeiten auf, wie es so weit kommen kann. Und deutet an, wo die Wurzel allen Übels ist: in der Familie. «Meine Eltern kümmern sich einen Scheiß um mich», klagt Linda vor der Tat. Der Vater (Oliver Mommsen) sitzt wortkarg am Frühstückstisch, später kommt heraus, dass er seine Tochter vergewaltigt hat. Da hängt er längst baumelnd von der Decke - um seinen Hals ein Strick.

Die Mutter (Jule Ronstedt) teilt Ohrfeigen aus, wenn Linda ihr frech kommt. Sie sieht sich selbst als Opfer - «Gott hat uns schon genug gestraft», sagt sie und meint damit ihr zweites Kind, das geistig behindert ist und all ihre Aufmerksamkeit braucht. Sie geht den denkbar einfachsten Weg, bricht mit ihrer Tochter, besucht sie nicht einmal im Gefängnis. «Es gibt Menschen, die sind einfach böse», ist ihre Meinung. 

Ein Puzzle an Bildern und Informationen

Doch dass es so einfach nicht ist, zeigen die gestaffelten Rückblenden des Films, die diesen von der üblichen Erzählchronologie lösen. Stiller mutet dem Zuschauer einiges zu, er springt hin und her zwischen den Zeiten, liefert ein Puzzle an Bildern und Informationen, die der Zuschauer selbst zusammensetzen muss.

Mal sieht man Linda als rebellischen Teenager, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Prügelnd, kiffend, sich unter der Dusche selbst befriedigend. Mal sieht man sie liebevoll mit ihrem kleinen behinderten Bruder Oskar (Oskar Schenck) kuscheln. Das Wechselspiel zwischen den Streicheleinheiten im bunten Kinderzimmer und den Grausamkeiten auf dem dunklen, kargen Dachboden ist bedrückend.

Dort oben liegt gefesselt und geknebelt die zusammengeschlagene Mitschülerin Susanne, die das komplette Gegenteil der renitenten Linda ist: glücklich, unbekümmert, von ihren Eltern geliebt. An ihrem 16. Geburtstag wird sie von Linda und deren unterwürfigen Mitläufer-Freunden Josh (François Goeske) und Kati (Sina Tkotsch) in eine Falle gelockt. «Du wolltest meinen Freund vögeln, du dumme Sau», wirft Linda ihr vor.

Am Ende schlägt Linda Susannes Schädel mehrmals gegen einen Pfosten. Das Geräusch brennt sich brutal ins Gedächtnis des Zuschauers ein. «Ich will nicht, dass die Leute abschalten und sagen: Das war nett, und jetzt trinken wir einen Chianti», sagt Stiller im Interview mit der Programmzeitschaft TV Spielfilm. «Meine Filme sollen wehtun.» Das Drama Sie hat es verdient tut verdammt weh. Es lässt den Zuschauer nachdenklich zurück, mit einem unguten Gefühl, das nur schwer auszuhalten ist.

Bestes Zitat: «Gefühle sind ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann.» (Linda)  

Lesen Sie hier das Interview mit Jule Ronstedt zum Film.

Titel: Sie hat es verdient
Regie: Thomas Stiller
Darsteller: Liv Lisa Fries, Veronica Ferres, Jule Ronstedt, Oliver Mommsen und andere
Sendetermin: Mittwoch, 14. September 2011, 20.15 Uhr, Das Erste

zij/news.de

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