Von news.de-Mitarbeiterin Denise Peikert - Uhr

«Letzter Moment»: Emotionaler Inzest

Ein Mann schläft erst mit der Mutter, dann mit der Tochter. Dazwischen liegen 30 Jahre, aber seine Potenz sorgt dennoch für einen Todesfall. Ob das mit Absicht seltsam vergnüglich daherkommt? Wenn nicht, wäre der Film Letzter Moment mindestens einer zu viel, der diese alte Eifersuchtsgeschichte erzählt.

Isabel und Peter treffen sich beim Sport. (Foto) Suche
Isabel und Peter treffen sich beim Sport. Bild: Arte

Irgendwann scheint das Unangenehme nicht mehr steigerbar. «Wer hat Lust, die Sauna einzuweihen?», plappert Isabel und schafft es doch. Gerade ist Peter zu Besuch bei ihren Eltern. Peter ist Isabels neuer Freund und die Jugendliebe ihrer Mutter in einem, vor 30 Jahren brachen die beiden sich gegenseitig das Herz. Die Saunafrage zwingt die Ex-Geliebten zum stillen Geständnis. Und plötzlich ist Peter nicht mehr die süße Romanze, sondern ein äußerst potenter Täter, schuldig des emotionalen Inzests.

An genau dieser Stelle wird der Arte-Film Letzter Moment interessant. Zuvor gilt es, fast 45 Minuten lang zwei zu arg überzeichneten Figuren bei der Annäherung zuzusehen. Der fast 70-jährige Peter (Matthias Habich) schläft eines Nachts mit der Langzeitstudentin Isabel (Ulrike C. Tscharre), die danach einer plötzlichen Eingebung folgt und von ihrer eigenen Hochzeit zu dem neuen Mann flieht. Dabei gibt Tscharre in Gesellschaft des alten Mannes eine etwas zu naiv Verliebte («Willst du mit mir befreundet sein?») und Habich muss ein paar zu verknittert altmodische Sätze sagen («Heute gibt es doch nur noch Justins und Kevins»).

Allerdings beherrscht der Hauptdarsteller es perfekt, in alten Augen Jungenschelm aufblitzen zu lassen. Das ist Ausdruck dieser sturmfesten Lakonie, mit der das Leben Peter ausgestattet hat. Damit übersteht er offenbar jede Ausprägung von Dramatik: Die Tatsache, dass er die Knöpfe von Isabels Pyjama nicht aufbekommt, tropft an seiner Gelassenheit ebenso ab wie ihr zielloser Wutausbruch, als sie von der Liebelei zwischen ihm und ihrer Mutter erfährt.

Es dauert also ein paar herrliche Dialoge («Ich merk grad, das hört sich so blöd an» - «Hört ja keiner außer mir»), aber irgendwann ist es unübersehbar: Etwas passt nicht in Letzter Moment. Peter ist in der einen Szene der einsame Wolf, der zu melancholischem Gesang durch das nachtdunkle Hamburg spaziert, die Zigarette immer halb abgebrannt. Sobald es hell ist, schleppt er die neue Liebe, die Ex-Frau und den Sohn gemeinsam ins Kino. Die Familie hat zwar mit Isabel und dem gesamten Film nur wenig zu tun, aber die Szene ist zweifellos urkomisch. Doch weil das plötzlich wieder einsetzende Drama den Witz verschluckt, geht sie ratlos zu Ende.

Diese dramaturgischen Wechsel verblüffen, kommen aber immer wieder: «Ist der jetzt tot?», fragt Isabels Vater (schön liebevoll, trotz Bösewicht-Image: Thomas Thieme), nachdem er Peter in seiner Wut niedergeschlagen hat. Dieser unterschwellige Witz will nicht recht zur Katastrophe passen, die sich anbahnt: Peter schafft es nicht, alte und neue Liebe sauber zu teilen. Großartig schmerzhaft sind so die Szenen, in denen er mit Isabel Ringelnatz liest («Was willst du wissen?» - «Wer dir das Herz gebrochen hat»). Oder wie die noch unwissende Tochter ihrer Mutter (Gila von Weitershausen) deren Lebensunglück vorhält: «Beinah hätte ich ihn ziehen lassen, beinah hätte ich es nicht bemerkt.» Und auch das Crescendo, die Beerdigung des Todesopfers dieser dreiecksförmigen Liebe, gelingt. Aber wenn Isabel Peter einen Füller in die Nieren rammt («Keine Angst, du stirbst nicht»), stoppt der Witz das Desaster allzu abrupt.

Was tun wir also mit diesem Stück Film? Passt er unter das Label Drama, das Produktionsfirma und Sender ihm geben und mit allzu düsteren Inhaltsangaben beweisen wollen? Oder ist es doch nur komisch, wie Isabel über das Älterwerden sinniert («Vielleicht muss ich dich im Rollstuhl schieben. Wie sieht das denn aus?»)? Gut, dass es unsicher bleibt.

Letzter Moment ist, gewollt oder nicht, eine emotionale Achterbahnfahrt: in seinen komischen Momenten vergnüglich, in seinen tragischen so schwermütig wie die Ostsee bei schwachem Wind. Nur deshalb ist es Regisseur Sathyan Ramesh zu verzeihen, dass seine Geschichte schon viel zu oft erzählt worden ist. Nur deshalb ist es keine verschwendete Zeit, sie sich noch einmal anzusehen.

Titel: Letzter Moment
Regie: Sathyan Ramesh
Darsteller: Matthias Habich, Ulrike C. Tscharre, Gila von Weitershausen, Thomas Thieme, Ole Puppe
Produktionsland: Deutschland 2010
Ausstrahlungstermin: 17. September, 20.15 Uhr, Arte

car/ivb/news.de

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