Von news.de-Redakteur Jan Grundmann - Uhr

Psychoterror: Wenn der Stalker zweimal klingelt

Permanente Anrufe, üble Nachstellungen, Gewalt: Tausende Deutsche werden jedes Jahr von Stalkern verfolgt. Manchmal endet der Psychoterror tödlich. In Leipzig wurde eine Studentin von ihrem mutmaßlichen Verfolger brutal ermordet. Ein Kriminalpsychologe gibt Tipps, wie Betroffene einen Stalker loswerden.

Es ist ein Mittwochnachmittag im November vergangenen Jahres, als Arabistik-Studentin Franziska S. über den Flur ihres Leipziger Studentenwohnheims läuft. Was sie nicht ahnt: Ihr Stalker wartet versteckt auf sie. Der 27-jährige Sebastian T. lauert ihr auf, schlägt ihr mit einem hammerähnlichen Gegenstand elf Mal auf den Kopf. Laut Staatsanwaltschaft wird ihr Schädel aufgrund der Wucht regelrecht zertrümmert. Die Blutspur im Treppenhaus zieht sich über zwei Etagen, die Ermittler gehen von einer Jagd aus. Gut zwei Wochen später stirbt die 25-jährige Studentin an den schweren Kopfverletzungen.

Sebastian T. wird einen Tag nach der Tat in Berlin verhaftet. Der mittlerweile 28-Jährige kannte sein mutmaßliches Opfer. Auch er wohnte im Leipziger Studentenwohnheim, studierte Chemie, allerdings erfolglos. Nach einigen fehlgeschlagenen Prüfungen wurde er exmatrikuliert und zog nach Berlin. Der mutmaßliche Täter und das Opfer haben sich laut Aussage der Anwältin von Franziskas Mutter, Ina Alexandra Tust, auch mal getroffen. Doch Franziska sei die aufdringliche Art von Sebastian suspekt gewesen, sie habe versucht, den Kontakt abzubrechen.

Vergeblich. Über zwei Jahre hinweg soll Sebastian der Studentin nachgestellt haben: SMS, Anrufe. Immer wieder kam er aus Berlin in das Leipziger Studentenwohnheim, übernachtete bei ehemaligen Kommilitonen - offenbar nur, um Franziska S. nahe zu sein. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass er die Studentin aus Rache ermordete, weil sie seine Gefühle nicht erwiderte. Nun hat der Prozess vor dem Leipziger Landgericht begonnen.

Wie wird ein Mensch zum Stalker?

Der mutmaßliche Stalking-Mord im Leipziger Studentenwohnheim ist kein Einzelfall. Knapp 27.000 Fälle verzeichnete die Polizei bundesweit im Jahr 2010. Meist bleibt es bei psychischem Terror. Laut Statistik werden Stalker jedoch zunehmend gewalttätiger gegenüber ihrem Opfer oder deren Umfeld. Gab es 2009 noch zwölf Todesfälle, verzeichnet die Statistik im Jahr 2010 bereits 19 Tode.

Stalker leiden meist an einer Persönlichkeitsstörung, sagt der Kriminalpsychologe Christian Lüdke. «Diese Menschen haben ein schwaches Selbstwertgefühl. Sie wollen andere Menschen unter ihre Kontrolle bringen, weil sie selbst Versager sind.». Stalker seien beruflich und privat meist gescheitert. «Es geht ihnen nicht um das Opfer selbst, sondern um die Ausübung von Macht», sagt Lüdke. Die meisten Stalker sind Männer, die von Frauen verlassen wurden und versuchen, sich zu rächen.

Was tun gegen Stalker?

In der Öffentlichkeit wird Stalking seit mehreren Jahren intensiv dikutiert. Im Jahr 2007 wurde es ins Strafgesetzbuch aufgenommen - Paragraph 238, Nachstellung. Wer einen anderen Menschen beharrlich aufsucht, Kontakt aufnimmt oder bedroht, muss mit bis zu drei Jahren Haft rechnen. Wenn körperliche Gewalt hinzukommt, können bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden.

Zudem können die Behörden sogenannte Kontaktverbote aussprechen. Dann darf sich der Stalker seinem Opfer nicht mehr nähern oder anderweitig Kontakt aufnehmen. Gegen Sebastian T. gab es zwar bereits in Vorjahren Verfahren, weil er die junge Frau immer wieder verfolgt hatte. Doch Franziska hatte es offenbar unterlassen, ein Kontaktverbot zu erwirken, obwohl ihr Präventionsbeamte der Polizei dazu geraten hatten. Ihr Angst war wohl nicht so groß, dass sie diesen Schritt getan hat.

Dabei sei der Schritt in die Öffentlichkeit für Stalking-Opfer der wichtigste Weg, um die Nachstellungen zu beenden. «Wenn ich weiß, wer dahintersteckt, ist es wichtig, mein Umfeld – Freunde, Arbeit – und die Polizei zu informieren», sagt Kriminalpsychologe Lüdke. Oftmals seien Opfer verunsichert, fürchteten, ihren Stalker durch Gegenmaßnahmen aggressiv zu machen. «Aber die Anzeige ist ein Muss.»

Selbstjustiz gegen Stalker?

Müssen die bestehenden Regelungen gegen Stalker verschärft werden? Nein, sagt Kriminalpsychologe Lüdke. Sie seien ausreichend. «Was manchmal fehlt, sind mutige Richter, die das ganze Spektrum an Möglichkeiten ausschöpfen. Manchmal wird hierzulande eher der Täter und nicht das Opfer geschützt.»

Manch ein Stalking-Opfer greift vielleicht auch deshalb zur Selbstjustiz. Hochspringerin Ariane Friedrich etwa erhielt kürzlich per E-Mail ungebetene Post eines Mannes. Im Anhang war ein Fotos seines Geschlechtsteils. Friedrich nannte den Namen des Mannes auf ihrer Facebook-Seite – und musste dafür viel Kritik einstecken.

Im Leipziger Stalking-Prozess muss sich Sebastian T. nun wegen Mordes aus Rache vor Gericht verantworten. Damit wäre, anders als bei einer Verurteilung wegen Nachstellung, eine lebenslange Haft möglich. Sechs weitere Verhandlungstage sind geplant, ein Urteil will das Leipziger Landgericht am 6. Juni fällen.

iwi/news.de

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