Von news.de-Redakteurin Ines Weißbach - Uhr

Sorben in Deutschland: «Minderheit ist Teil und Gegenteil der Mehrheit»

Ein reicher Folkloreschatz und mystische Erzählungen - Sorben sind vor allem für ihre Traditionen bekannt. Und sie sind Grundlage für die Forschung von Susanne Hose am Sorbischen Institut in Bautzen.

Dr. Susanne Hose arbeitet am Sorbischen Institut in Bautzen. (Foto) Suche
Dr. Susanne Hose arbeitet am Sorbischen Institut in Bautzen. Bild: Sorbisches Institut

Wer sind die Sorben?

Hose: Die Sorben in der Ober- und der Niederlausitz sind die Nachkommen zweier großer slawischer Stämme, die schon im 6. Jahrhundert hier eingewandert sind. In der Oberlausitz waren es die Myzener und die Lusitzer, die der gesamten Lausitz den Namen gegeben habe. In den beiden Gebieten in Sachsen und Brandenburg gibt es auch zwei verschiedene Sprachen, Nieder- und Obersorbisch. Wir verstehen, das Vorhandensein von zwei Schriftsprachen als besonderen Reichtum. Die Sprachen haben sich im Laufe der Jahrhunderte durch zwei verschiedene Bibelübersetzungen herausgebildet.

Wie haben die Sorben die deutsche Kultur beeinflusst?

Hose: Was ich ihnen aus meinen eigenen Forschungen sagen kann: Es gibt in der deutschen Umgangssprache viele Worte, die eindeutig slawischen Ursprungs sind. Zum Beispiel Plinsen, im sächsischen Raum sind das die Eierkuchen. Oder das sorbische Wort Karudel, das bedeutet Handwagen, also eine Karre, die ältere Leute vor sich herschieben. Ich habe 200 Worte gesammelt. Besonders in der Umgangssprache lassen sich viele Gemeinsamkeiten herstellen.

Die Sorben sind eine Minderheit in Deutschland. Haben sie die gleichen Probleme wie andere Minderheiten?

Hose: Man muss unterscheiden zwischen den ansässigen Minderheiten, die über Jahrhunderte hier siedeln und die eine eigene autonome Kultur haben. Das sind neben den Sorben auch die Friesen oder die Zigeuner. Die haben keine Mutterländer, diese Minderheiten müssen dort leben wo sie leben und sind von Deutschland abhängig. Wenn sie Geld brauchen, können sie sich nirgends hinwenden, so wie das die Dänen in Deutschland tun. Abgesehen davon, dass auch Sorben und Deutsche im interkulturellen Dialog stehen und sehr differenzierte Beziehungsgeschichten miteinander haben. Im Institut nennen wir das hybride Erfahrungen. Das heißt, wo eine Minderheitenbevölkerung mit einer Mehrheit lebt, gibt es Betroffenheiten auf beiden Seiten. Die Minderheit ist nämlich gleichzeitig Teil und Gegenteil der Mehrheit. Sorben verstehen Sorben aber auch als Teil des deutschen Staatsvolkes mit deutschem Pass.

Wo entstehen solche Betroffenheiten?

Hose: Wenn Sorben untereinander Sorbisch sprechen und es kommen Deutsche dazu, die das nicht verstehen zum Beispiel.

Ist das eine Art Fremdenfeindlichkeit, obwohl die Sorben, wie Sie es beschreiben fest in Deutschland verwurzelt sind?

Hose: Das kann man durchaus so interpretieren. Es existieren über Jahrhunderte gepflegte Vorurteile gegenüber der kleineren, der Minderheitenkultur. Die sind teilweise politisch gesteuert worden. Eine andere Kultur im eigenen Nationalstaat wird immer als etwas Störendes empfunden. Massive Germanisierungsversuche gab es Ende des 18. Jahrhunderts durch das Lübbener Konsistorium, indem man alle sorbischen Pfarrstellen mit deutschen Pfarrern besetzt hat. Das gleiche ist mit den Lehrern passiert, so dass die Kinder gezwungen waren, Deutsch zu lernen. Höhepunkt der Unterdrückung war natürlich der Nationalsozialismus.

Gibt es heute noch Vorurteile?

Hose: Im Moment wird eine Dissertation am sorbischen Institut geschrieben zu genau diesem Thema. Dazu sind über Jahre Menschen befragt worden. Ein Vorurteil ist die Vereinsmeierei. Die Sorben sind untereinander gut vernetzt und das deutet für einige darauf hin, dass sie unter sich bleiben wollen. Was eigentlich gar nicht stimmt. Sie sind sehr wohl an einem Dialog mit den Nachbarn interessiert. Es ist aber so, dass man die Minderheitensprache nur pflegen kann, wenn der andere sie spricht. Da ist es ja wohl ganz klar, dass man gern unter Sorben ist. Das führt zu Unmut bei der Mehrheitsbevölkerung, der sich in so einem Vorurteil manifestiert. Und der Vorwurf der Inzucht, weil alle angeblich nur untereinander heiraten, ist weit hergeholt. Lausitzer Jugendliche gehen sowieso meist erstmal raus aus der Region und studieren an allen Universitäten deutschlandweit und kommen dann wieder oder auch nicht.

Besonders die Jugend setzt sich angeblich für die sorbische Kultur ein. Warum ist das so?

Hose: Das müsste man die Jugend am besten selbst fragen. Unsere Beobachtungen in der Niederlausitz ist, dass es da besonders um die sommerlichen Bräuche geht, die vorwiegend etwas mit Wettkampf zu tun haben. Wer ist der beste Reiter? Wer reißt dem Hahn als erstes den Kopf ab? Das hat was mit sportlicher Betätigung zu tun. Zum Stolz der Mädchen gehört es, dass sie eine besonders gute, schöne Tracht haben. Sorbische Jugendliche nutzen einfach die Angebote, die in der Region existieren. Hier gibt es jede Menge Rockgruppen, die Englisch, Deutsch und Sorbisch singen. Das zeigt, dass die sorbische Kultur nicht nur auf Traditionen ausgerichtet ist. Sie lebt auch für die Jugend und entwickelt sich weiter. Für junge Menschen ist es einfach etwas besonderes, Sorbe zu sein, sie fühlen sich gut aufgehoben.

Hat sich für die Situation der Sorben etwas geändert, seitdem der Sorbe Stanislaw Tillich Ministerpräsident in Sachsen geworden ist?

Hose: Für einen Großteil der sorbischen Bevölkerung in Sachsen ist es ein sehr gutes Gefühl einen sorbischen Landesvater zu haben. Er muss aber auch für die Leipziger Region oder für das Erzgebirge da sein und nicht nur für die Heimatregion. Ich denke, dass der Vertrag zur Unterstützung der Stiftung des sorbischen Volkes zwischen dem Bund und den Ländern Brandenburg und Sachsen auch so zustande gekommen wäre. Aber durch Tillich ist es einfacher geworden, weil man ihn kennt und er in der Region beliebt ist.

Es gibt noch 60.000 Sorben in Deutschland. Muss man Angst haben, dass Sorbisch ausstirbt?

Hose: Das sieht jeder anders. Ich habe diese Angst nicht. Vorausgesetzt die Sprache wird wie bisher gefördert und stößt auf das Interesse der Eltern, ihr Kind zweisprachig aufwachsen zu lassen. Mittlerweile gibt es Studien, die besagen, wenn ein Kind zweisprachig aufwächst, erlernt es jede dritte, vierte oder fünfte Fremdsprache bedeutend einfacher. Die empirischen Beobachtungen von heute hatten wir schon vor 30 Jahren. Die Schüler der sorbischen Schulen, die zweisprachig aufgewachsen sind, waren immer diejenigen, die bei Russisch- oder Englischolympiaden die ersten Plätze abgesahnt haben. Erstens, weil die Sprachen sich ähneln und weil das Gehirn anderes trainiert wird, so dass jeder weitere Spracherwerb einfacher ist. Und das macht mir Mut. Es ist selbstverständlich, dass heute alle Englisch lernen, aber es ist nicht selbstverständlich, dass alle die Sprache der Minderheit lernen. Wenngleich das sehr wünschenswert wäre.

Dr. Susanne Hose ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sorabistik in Bautzen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Sprichwörter- und Erzählforschung sowie Volkskunde. Sie studierte Sorabistik und Russistik an der Universität Leipzig und ist Redaktionsmitglied des Lětopis: Zeitschrift für sorbische Sprache, Geschichte und Kultur.

che/news.de

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