Von news.de-Redakteurin Isabelle Wiedemeier - Uhr

Mafia: Organisiertes Verbrechen mit fünf Buchstaben

Anfangs deutete bei den Morden im Sittenser Chinarestaurant alles auf die Mafia hin. Letztlich handelte es sich wohl um einen Raubüberfall. Doch die internationalen Mafias agieren auch in Deutschland.

Mafia als Filmstoff: Toni Servillo spielte in «El Divo» den ehemaligen Ministerpräsidenten Andreotti. (Foto) Suche
Mafia als Filmstoff: Toni Servillo spielte in «El Divo» den ehemaligen Ministerpräsidenten Andreotti. Bild: dpa

Schutzgelderpressung und Triaden waren nach dem Gewaltverbrechen im Restaurant «Lin Yue» schnell in aller Munde. Aber nicht nur der Volksmund tippte gleich auf «Mafia». Auch die Kriminalisten zogen Parallelen zu den Morden durch die vietnamesische Zigarettenmafia im Berlin der 1990er Jahre. Bestrafung, Racheakt oder Machtdemonstration könnte dieser Mord gewesen sein, hieß es aus Fachkreisen.

Schon die Art und Weise, wie die Täter ihre Opfer gefesselt hatten, führte die Ermittler auf die Fährte der Mafia: Die Daumen waren mit Kabelbindern auf dem Rücken zusammengebunden. Die Exekution durch Kopfschüsse schien ebenfalls typisch Mafia. Auch, das als erste Verdächtige zwei Vietnamesen gefasst wurden, passte ins Bild. Laut dem Polizeiexperten für organisierte asiatische Kriminalität, Georg Thamm, sind die Vietnamesen die einzige asiatische Gruppe, die in Deutschland über gefestigte Strukturen verfügt. Als weitere Indizien um die Verdächtigen hinzukamen, wurde jedoch klar, dass es sich um einen Raubmord handelte und Verbindungen zu den Mafias nicht nachzuweisen sein würden.

Dass Triaden, die chinesische Mafia, hinter den Morden stecken könnte, hatten Thamm und andere Experten von vorherein bezweifelt. Tödliche Konflikte trügen diese nicht vor der nichtchinesischen Öffentlichkeit aus, sondern diskret unter sich. Zudem sei Deutschland bislang kein Triaden-Standort. Triade bedeutet auf Lateinisch Dreiheit: Die Verbindung aus Himmel, Erde und Mensch. Ihr Symbol ist der Drache, Zeichen für Weisheit und Kraft. Die Triaden selbst pflegen die Legende ihres Ursprungs aus Geheimgesellschaften des 17. Jahrhundert.

Geheimsymbole und Fingercodes sollen ein Überbleibsel dieser Tradition sein, eine tatsächliche Kontinuität ist aber fraglich. In China existieren rund 5000 Triaden, die bis zu 20.000 Mitglieder haben und auch außerhalb des Landes operieren. Als eine der mächtigsten gilt weltweit die Shih-Hai-Triade, auch bekannt als Four Seas Gang. In Großbritannien dominiert die «Wo»-Gruppe die chinesische Gemeinde, in den Niederlanden «Fourteen-K» und der «Big Circle» die in Paris.

In Deutschland sind die Triaden vor allem als Menschenschleuser aktiv. In Hamburg wurden Mitte der 1990er Jahre einige Fälle von Schutzgelderpressungen bekannt, und es wird davon ausgegangen, dass diese auch weiter stattfinden. Bekannt werden sie jedoch nur selten. Die rund 70.000 Chinesen in Deutschland treten kaum in Kontakt mit der deutschen Polizei.

Mafia ist heute Synonym für organisierte Kriminalität, dabei aber noch immer von Mythen umrankt. So, wie im Chinarestaurant ein Aquarium mit Goldfischen untrüglicher Beweis dafür sein soll, dass hier «Fischfutter» gekauft, also Schutzgeld gezahlt wird, hat Vito Corleone, auch bekannt als «Der Pate», das Bild vom Mafiaboss als familienbewusster Ehrenmann geprägt.

Die eigentliche Mafia hat im sizilianischen Feudalsystem ihre Wurzeln und trumpfte im 19. Jahrhundert durch ihr Monopol im Zitronenhandel auf. Das Wort entstand aus italienischen und arabischen Einflüssen und bedeutet irgend etwas zwischen eingebildet, mutig und Rüpel.

Mafias sind Clans, die sich traditionell über Schutzgelder, Schmuggel, Glückspiel, Waffen, Prostitution und Drogen finanzieren. Heute gehört auch die Subventionserschleichung zu ihren Aktionsfeldern, sie mischt in der Bauwirtschaft, beim Müll und im Finanzwesen mit. Wie eine Krake reicht sie in alle Gesellschaftsbereiche hinein – auch in die Politik.

Cosa Nostra, übersetzt Unsere Sache, heißt heute der sizilianische Strang der Mafia. In Neapel wird sie Camorra genannt, in Apulien Sacra Corona Unita, Heilige Vereinigte Krone. Mächtigste italienische Mafia ist inzwischen die Ndrangheta in Kalabrien. Sie kontrolliert den europäischen Kokainimport und macht einen geschätzten Jahresumsatz von 40 Milliarden Euro. In Deutschland soll sie 300 Pizzerias kontrollieren. Als Grund für ihren Erfolg gilt, dass die Ndrangheta noch immer ein wirklicher Familienbund ist.

Italienische Emigranten brachten die Mafia in die Vereinigten Staaten. Die amerikanische Prohibition der 1920er Jahre kam ihr gelegen: Der illegale Handel mit Alkohol machte die amerikanische Cosa Nostra mächtig. Erst in den 1980er Jahren gelang es dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani, damals noch Generalstaatsanwalt, die Mafiaclans Gambino, Colombo, Genoveses, Lucheses und Bonannos in ihre Schranken zu weisen.

In aller Munde ist auch die Russenmafia. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte die organisierte Kriminalität ihre Macht unbehelligt ausbauen. Dank der Privatisierung von Staatseigentum konnte sie sich gut positionieren. Ein Großteil der Bandenführer steht an der Spitze großer Unternehmen, von Aktiengesellschaften, Restaurants und Geschäften. Aber auch Duma-Mandate sind käuflich. In keinem Moment bot die Justiz der Mafia effektiv Paroli.

Über das Wirken der Russenmafia in Berlin hat das Landeskriminalamt im Januar 2009 erstmals Zahlen veröffentlicht. Zehn Gruppierungen aus Staaten der früheren Sowjetunion wurden demnach 2007 ermittelt, Berlin gilt neben London und New York als drittes Standbein der Mafia. «Die Mafia hat sich hier eingenistet, auch die großen Organisationen», sagt Mafiaforscher Jürgen Roth. Auch in Deutschland ist die Mafia ein unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführtes Unternehmen mit Verbindungen in die höchsten Wirtschaftskreise. Brutale Morde mit durchgeschnittenen Kehlen und zertrümmerten Schädeln wie in den 1990er Jahren sind hingegen passé. Man arbeitet sauberer.

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