Von news.de-Redakteurin Claudia Arthen - Uhr

Parkinson: «Den Kampf kann niemand gewinnen»

Fast 200 Jahre nach seiner Entdeckung gilt Parkinson immer noch als unheilbar. Ilona Börner ist eine von 400.000 Menschen in Deutschland, die unter der Krankheit leiden. Weltweit sind mehr als eine Million Menschen betroffen. Tendenz steigend.

Der Hirnschrittmacher wird unterhalb des Schlüsselbeins eingesetzt und ist mit Sonden verbunden, die zum Gehirn führen. (Foto) Suche
Der Hirnschrittmacher wird unterhalb des Schlüsselbeins eingesetzt und ist mit Sonden verbunden, die zum Gehirn führen. Bild: dpa

Das Kribbeln kommt völlig unerwartet. Ilona Börner sitzt mit Kollegen aus der Schule zusammen, es geht um Noten, Problemschüler und Lehrinhalte. Plötzlich zuckt es unter ihrer Gesichtshaut. «Ich habe einen Schlaganfall», sagt sie zu einer Kollegin. Angst überkommt sie.

Ilona Börner geht zum Arzt, der jedoch nichts feststellen kann. Die Angst, ernsthaft erkrankt zu sein, bleibt. Hinzu kommt das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. «Ich bin von Pontius zu Pilatus gerannt», sagt die 48-Jährige, doch auf eine eindeutige Diagnose wartet sie vergebens. Erst ein halbes Jahr später erfährt sie die bittere Wahrheit: Sie hat Parkinson.

Parkinson ist neben Alzheimer eine der häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Rund 400.000 Menschen in Deutschland sind nach Angaben der Deutschen Parkinson-Vereinigung davon betroffen. Geschätzte 100.000 Menschen haben erste Symptome, ohne es zu wissen. «Es ist daher sehr wichtig, dass die Parkinson-Krankheit mehr in die öffentliche Aufmerksamkeit rückt», heißt es auf der Internetseite der Vereinigung (www.parkinson-vereinigung.de).

Meist treten die ersten Symptome im Alter von 50 bis 60 Jahren auf. Fünf bis zehn Prozent der Patienten sind allerdings jünger als 40. Bisher ist es nicht möglich, einen an Parkinson erkrankten Patienten zu heilen. Die Therapie zielt daher auf die Krankheitszeichen und Begleiterscheinungen ab.

Ilona Börner ist seit Anfang 2000 Patientin von Professor Dr. Johannes Schwarz, Parkinsonspezialist an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universität Leipzig. Den Tag, an dem Professor Schwarz ihr erklärt, dass sie unter Parkinson leidet, kann Ilona Börner nicht vergessen. Es ist der 14. April 2000, der ihr Leben verändert. Ilona Börner ist gerade einmal 39 Jahre alt. «Entweder Du kämpfst oder Du lässt Dich gehen», sagt die Pädagogin. Sie unterrichtet Englisch und Biologie. Sie weiß, dass sie die Krankheit nicht mehr loswird. Muhammad Ali, der Boxer, hat auch Parkinson. Ihn sieht sie vor sich: hilflos, bewegungsstarr, sprachlos. Sie entscheidet sich für den Kampf. «Aber den Kampf kann niemand gewinnen», sagt sie.

Das macht Parkinson macht mit den Patienten

Parkinson verändert die Bewegungsabläufe der Betroffenen. Die Bewegungen verlangsamen sich (Akinese), die Muskulatur versteift (Rigor), die Hände zittern (Tremor). Die Patienten haben Probleme, das Gleichgewicht zu halten, sie sprechen leise, die Mimik erstarrt, der Gang ist schleppend. Ursache für diese Symptome ist eine Störung in einem kleinen Teil des Gehirns, der «schwarzen Substanz» (Substantia nigra).

In diesem Hirnareal wird bei einem gesunden Menschen der Botenstoff Dopamin gebildet, der ebenso wie die Botenstoffe Acetylcholin und Glutamat Informationen von einer Nervenzellen zur nächsten überträgt. Das Gleichgewicht dieser Botenstoffe ist Voraussetzung für gut koordinierte Bewegungen. Bei Parkinson-Patienten entsteht durch das Absterben von Nervenzellen ein Mangel an Dopamin in der Substantia nigra, womit die harmonische Steuerung der Bewegung gestört ist.

Es ist ein einsamer Kampf, den Ilona Börner auf sich nimmt. Kollegen, Schüler, Bekannte sollen nicht merken, dass sie Parkinson hat. Das geht eine Weile gut – mit Hilfe der Tabletten, welche die Leipzigerin einnimmt, um den Dopamin-Mangel in ihrem Gehirn auszugleichen. Solange sie wirken, erlebt sie fast normale, bewegungsreiche Stunden. Setzt die Wirkung aus, werden die Beine schwerer, Müdigkeit schleicht sich ein.

Beim Einkaufen im Supermarkt bleibt sie plötzlich wie festgewurzelt vor dem Lebensmittelregal stehen. Ein anderes Mal verspürt sie eine innere Unruhe, weiß nicht, wie sie Beine und Arme ruhig halten soll. Freunde reagieren genervt: «Nun zappele doch nicht so!» Ihre Schüler sind verwundert: «Frau Börner, nun bleiben Sie doch mal ruhig stehen!» Fremde schauen sie empört an, halten sie für eine Alkoholikerin. Parkinson erweist sich als der stärkere Kämpfer; um gegen diesen Gegner zu bestehen, muss Ilona Börner die Dosis ihrer Medikamente stetig steigern. Sie magert auf 50 Kilo ab. So kann es nicht weitergehen.

Wie Ilona Börner das Bohren in der Schädeldecke übersteht

Sie ist skeptisch, als Professor Schwarz das erste Mal von der Tiefen Hirnstimulation spricht. Zu riskant erscheint ihr der Eingriff in das Gehirn, den Sitz der Emotionen und der Sprache. «Was ist, wenn ich die Sprache verliere, wenn ich anschließend ein anderer Mensch bin?» Zweifel und Angst quälen Ilona Börner. Dennoch entschließt sie sich im Herbst 2007 zu der Operation. Endlich ist sie wieder optimistisch, kann den Termin kaum erwarten.

Am 27. Februar 2008 wird sie ein anderer Mensch. Der Eingriff dauert mehr als sieben Stunden. Ilona Börner ist bei vollem Bewusstsein; lediglich ihr Schädel wird lokal anästhesiert, damit die Ärzte den Erfolg der Operation jederzeit kontrollieren können. Sie hört das Klirren des OP-Bestecks, die Gespräche zwischen Ärzten und Schwestern, das Absaugen des Blutes aus ihrem Gehirn, das Bohren in die Schädeldecke, das ihren ganzen Körper vibrieren lässt.

Die Mediziner implantieren Elektroden in den Teil des Gehirns, der für die Bewegungsstörungen verantwortlich ist. Die dünnen Drähte werden von der Schädeldecke entlang der Halsmuskulatur mit einem Impulsgeber verbunden, der unter Ilona Börners Schlüsselbein sitzt. Dieser Schrittmacher gibt regelmäßig schwache Stromstöße ab, welche die Hirnregion reizen und die überaktiven Nervenzellen lahm legen. Er muss ständig nachjustiert werden. Eine Prozedur.

Ilona Börner sagt, sie sei nach der Operation ein anderer Mensch geworden. Aufbrausender, direkter, härter zu sich und anderen. Sie spreche leiser als vorher, sagt sie. Und das Schreiben will auch noch nicht klappen. Der Heilungsprozess braucht seine Zeit. Eine Narbe unter der linken Brust erinnert Ilona Börner an den Eingriff – und an die Schmerzen. Sie würde es trotzdem jederzeit wieder machen lassen und jedem Betroffenen empfehlen, sagt sie. Der Parkinson ist ihr kaum noch anzumerken. «Aber er ist noch da», sagt Ilona Börner. Der Kampf ist noch nicht zu Ende.

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