Sommer in Siena: Das traditionsreichste Pferderennen Italiens erleben
Wenn das Palio di Siena den muschelförmigen Hauptplatz der Stadt in einen Schauplatz erbitterten Wettstreits verwandelt, steht die ganze Toskana Kopf. Das traditionsreichste Pferderennen Italiens ist kein touristisches Spektakel, sondern gelebte Identität.
Erstellt von Cori Brossmann - Uhr
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Die mittelalterlichen Gassen flirren in der Sommerhitze, historische Fahnen wehen von den Fensterbänken, Trommelklänge erfüllen die Luft. Siena im Juli und August verwandelt sich in eine Bühne lebendiger Geschichte. Wenn das Palio di Siena den muschelförmigen Hauptplatz der Stadt in einen Schauplatz erbitterten Wettstreits verwandelt, steht die ganze Toskana Kopf. Das traditionsreichste Pferderennen Italiens ist kein touristisches Spektakel, sondern gelebte Identität. Es ist tief verwurzelt im Stolz und Gemeinschaftsgefühl der Stadtviertel, den Contrade. Wer das Palio einmal miterlebt hat, versteht, warum dieses Ereignis seit Jahrhunderten Menschen in seinen Bann zieht.
Das Palio di Siena - gelebte Tradition mit Gänsehautmomenten
Das Palio ist mehr als ein Pferderennen. Es ist Ritual, Identifikation und leidenschaftliche Rivalität zugleich. Seit dem 17. Jahrhundert findet es zweimal jährlich auf der Piazza del Campo statt. Dem Herz Sienas, das sich für diese Tage in eine Arena verwandelt. Die Wurzeln reichen noch weiter zurück, bis ins Mittelalter, als erste Formen des Palio bereits dokumentiert sind.
Zehn Reiter, jeder für eine der 17 Contrade der Stadt, kämpfen um den Sieg für ihr Viertel. Die Pferde werden dabei nicht von Jockeys im modernen Sinne geritten, sondern von Fantini, die ohne Sattel antreten. Das ist ein Zeichen der Ursprünglichkeit und Herausforderung. Was folgt, sind drei nervenaufreibende Runden um die Piazza, gesäumt von Tausenden Zuschauern. Der Lärm, die Emotionen, das historische Setting, der Palio gleicht eher einem antiken Drama als einem Sportereignis.
Termine, Ort und Bedeutung der Contrade
Der Palio findet jedes Jahr am 2. Juli und am 16. August statt. Der erste Lauf, der Palio di Provenzano, ehrt die Madonna von Provenzano, während der Zweite, der Palio dell'Assunta, der Himmelfahrt Mariens gewidmet ist. Beide Feste haben tief religiöse Wurzeln und die Vorbereitung beginnt Wochen im Voraus.
Entscheidend für das Verständnis des Palio ist die Rolle der Contrade. Diese Stadtviertel sind nicht nur geografische Einheiten, sondern emotionale Heimaten mit eigener Fahne, Hymne, Kirche und jahrhundertealter Geschichte. Jede Contrada fiebert dem Rennen entgegen, bereitet festliche Bankette vor, organisiert Umzüge in historischen Gewändern und begleitet ihr Pferd wie ein Familienmitglied.
Der Ablauf - zwischen Ritual und Rausch
Die Tage rund um das Palio sind minutiös durchorganisiert. Drei Tage vor dem Rennen beginnen die Proberennen (prove), bei denen die Pferde auf den anspruchsvollen Rundkurs vorbereitet werden. Am Vortag des Palio findet das Cena della Prova Generale statt. Dabei handelt es sich um ein großes Festmahl innerhalb der Contrade, bei dem sich Anspannung und Hoffnung die Hand reichen.
Am Renntag selbst beginnt der Höhepunkt des Spektakels mit dem prächtigen Umzug in historischen Kostümen, der sogenannten Corteo Storico. Ritter, Trommler, Fahnenschwinger, sie alle erzählen die Geschichte Sienas in eindrucksvoller Pracht. Erst danach beginnt das eigentliche Rennen. Es dauert nicht länger als 90 Sekunden, ist aber an Intensität kaum zu überbieten. Nicht selten jubeln ganze Straßenzüge tagelang, wenn ihre Contrada den Drappellone, das von einem lokalen Künstler gestaltete Siegerbanner, nach Hause bringt.
Siena als Kulturraum - mehr als nur ein Rennen
Das Palio ist eingebettet in ein kulturelles Gesamtereignis, das die gesamte Stadt erfasst. Museen, Kirchen und Plätze Sienas wirken in diesen Tagen besonders lebendig. Viele Contrade öffnen ihre Museen, in denen Pokale, historische Kostüme und Artefakte ausgestellt sind. Auch abseits des Palio entfaltet Siena seine ganze Pracht. Der Dom mit seiner einzigartigen Marmorintarsien, der Palazzo Pubblico mit den Fresken Lorenzettis oder das stille Kloster San Domenico. Für Musikliebhaber bieten sich während der Sommermonate zahlreiche Konzerte und Open-Air-Veranstaltungen in historischen Höfen an.
Mit der Bahn nach Siena - entspannt und nachhaltig reisen
Wer aus dem deutschsprachigen Raum anreist, erreicht Siena bequem mit der Bahn über Florenz oder Pisa. Beide Städte sind mit dem internationalen Bahnverkehr gut verbunden. Von Florenz aus fährt im Halbstundentakt ein Regionalzug nach Siena. Die Strecke führt durch sanfte Hügellandschaften, Olivenhaine und mittelalterliche Dörfer.
Die Buchung lässt sich einfach über Omio vornehmen. Bahnreisen sind nicht nur eine klimafreundliche Alternative zum Auto oder Flugzeug, sondern ermöglichen auch eine stressfreie Ankunft im Zentrum. In Siena liegt der Bahnhof etwa 2,1 km von der Piazza del Campo entfernt. Shuttlebusse oder ein kurzer Spaziergang machen die Verbindung in die Altstadt unkompliziert.
Unterkunft & Tipps vor Ort - zwischen Kloster und Palazzo
Während des Palio verwandelt sich Siena in ein Magnetfeld für Reisende aus aller Welt. Wer dabei sein möchte, sollte seine Unterkunft frühzeitig reservieren. Die Auswahl reicht von charmanten Bed & Breakfasts in mittelalterlichen Gebäuden über Landgüter im Umland bis zu stilvollen Hotels direkt in der Altstadt. Auch ehemalige Klöster oder kleine Boutiquehotels in den Gassen der Contrade bieten eine authentische Erfahrung.
Besonders gefragt sind Unterkünfte mit Blick auf die Piazza del Campo. Sie bieten zwar nicht gerade Ruhe, aber einen Platz in der ersten Reihe. Für alle, die das Spektakel lieber hautnah als aus dem Fenster erleben möchten, lohnt es sich, rechtzeitig nach Tickets für die Tribünen oder Logenplätze zu fragen. Sie werden über die Stadtverwaltung oder private Anbieter vergeben.
Siena selbst lässt sich gut zu Fuß erkunden. Zwischen gotischen Backsteinfassaden, stillen Innenhöfen und belebten Plätzen entfaltet sich eine Stadt, die stolz auf ihre Geschichte ist, ohne museal zu wirken. Ein Ausflug ins Umland, etwa nach San Gimignano oder ins Chianti, rundet den Aufenthalt ab.
Das Palio di Siena ist Geschichte zum Miterleben
Wer das Palio erlebt, nimmt mehr mit als nur Erinnerungsfotos. Es ist die unmittelbare Begegnung mit einer Stadt, die lebt, atmet und in diesen Tagen ihre ganze Identität zeigt. Siena wird nicht dekoriert, Siena wird zu sich selbst. Ob im tosenden Jubel der Piazza, in der stillen Spannung der Contrade, beim Klang der Trommeln oder im Glanz des Siegerbanners, das Palio ist ein Fest, das unter die Haut geht. Wer den Sommer in Italien plant, findet in Siena ein Ziel, das weit mehr bietet als schöne Aussichten - ein Erlebnis mit Herz, Geschichte und echtem Charakter.
brc/news.de