Von news.de-Redakteurin Melanie Sohn - Uhr

ARD-Doku: Der Albtraum von der Kittelschürze

Im zweiten Teil ihrer Doku Kleider machen Deutsche kommt Katarina Schickling dem Dederon - dem Stoff aus dem die Kittelschürzen sind - auf die Spur. Sie erfährt, was es mit Haarnetzen beim Bund auf sich hat und wie Frauen dem «modischen Ghetto» entkommen.

Haben ihre Heimat in der DDR - Schürzen aus Dederon. (Foto) Suche
Haben ihre Heimat in der DDR - Schürzen aus Dederon. Bild: dpa

Bereits im ersten Teil von Kleider machen Deutsche nahm sich Doku-Filmerin Katarina Schickling der Modebewegung und -entwicklung in Deutschland an. Ging es darin noch um Trümmerfrauen und die biederen 1950er, rekonstruiert Schickling nun eine andere, ebenfalls prägende und wechselhafte Zeit  - die wilden 1960er bis zum Mauerfall.

Gleich zu Beginn lässt Schickling Schauspieler Christoph M. Orth zu Wort kommen. Dieser erinnert sich noch an so manch grauseliges Kleidungsstück aus Kindertagen. Zwar gab es Mitte der 1960er viel zu kaufen. Doch Mütter und Großmütter nähten nach wie vor selber, funktionierten Kleidung um und trennten sich nur von den Sachen, die wirklich hinüber waren. Doch je näher das Jahr 1970 rückte, desto mehr wuchsen auch die Ansprüche der Gesellschaft. Besonders im Westen des geteilten Landes lebten die Menschen das Wirtschaftswunder, wie der Film zu berichten weiß. Mängel kennt kaum einer mehr - es wird gekauft, gebaut und konsumiert.

Im Ostteil des Landes schaut man neidisch in den Westen. Alles, was es dort gibt, ist unter der Führung der DDR-Oberen nicht zu haben. Hier beginnt man, eigene Materialien und Mode zu entwerfen. Mit Schrecken berichtet Schauspielerin Gerit Kling vom Dederon. Ein synthetischer Stoff, aus dem die berüchtigten Blümchenschürzen sowie Arbeitsbekleidung und Einkaufsbeutel hergestellt wurden. Tragen wollte das niemand, erinnert sich Tagesschau-Sprecher Jens Riewa. Dederon war der Albtraum eines jeden jugendlichen DDR-Bürgers.

Haarnetze für die Bundeswehr, ADAC-Tipps für die Frauen

Im Westen des Landes entwickelt sich hingegen eine ganze eigene Bewegung, die die Eltern aufschreckt. Ihre Kinder (vornehmlich die Jungen) lassen sich die Haare lang wachsen, tragen Felljacken und bringen Mädchen mit nach Hause, die IndienkleiderLange, weite und sehr bunte Kleider und Textilien vom Flohmarkt tragen. Die Hippiebewegung nebst ihrem politischen Engagement ist nun auch in Deutschland angekommen. Man wollte den gesellschaftlichen Zwängen endlich entkommen, weiß Kabarettistin Maren Kroymann, die auch im zweiten Teil wieder zu Wort kommt. Die langen Zotteln setzten sich sogar bei der Bundeswehr durch. Vom Februar 1971 bis zum Mai 1972 war es den Rekruten erlaubt, lange Haare zu tragen. Allerdings nur in Verbindung mit einem Haarnetz.

In den Läden wurde die Mode bunter, die Schuhe höher (Plateausohlen) und jedes Alter mit modischem Schick bedacht. So hieß es in der Werbung, dass nun auch bunte und große Muster für ältere und korpulente Damen produziert würden, um sie aus «dem modischen Ghetto» zu befreien. Es sind Originalaufnahmen und Ausschnitte wie diese, die Schicklings Doku so sehenswert machen. Nicht nur die Zeitzeugen bereichern ihren Beitrag, sondern auch das Material, welches die Filmerin zusammengetragen hat. Wo sonst erfährt der Zuschauer schon, dass der ADAC in den 1970ern den Damen mit besonders langen und weiten Maxiröcken ans Herz legte, doch bitte erst einmal richtig laufen zu lernen, da es sonst zu gefährlichen Situationen im Auto oder auf den Gehwegen kommen könne.

Katarina Schickling ist mit Kleider machen Deutsche eine amüsante und spannende Dokumentation gelungen, in deren Fokus die Mode steht, jedoch auch das politische Geschehen seinen Platz findet. Dabei lässt sie prominente Stimmen wie Maren Kroymann, Moderator Manfred Sexauer, Schauspieler Christoph M. Orth, Tagesschau-Sprecher Jens Riewa und auch Moderatorin Vera Int-Veen gut gehütete Anekdoten erzählen.

Kleider machen Deutsche - Von den 68ern zum Mauerfall, Montag, 6. Juni 2011, 21 Uhr, Das Erste

rut/news.de

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