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Anti-Terror-Razzia gegen Reichsbürgerszene: Ex-Bundestagsabgeordnete unter Terrorverdacht! Weitere Beschuldigte erwartet

Am Mittwoch fand in Deutschland bundesweit eine Razzia gegen die Reichsbürgerszene mit zahlreichen Festnahmen statt. Die Verdächtigen planten einen gewaltsamen Systemumbruch. Die ersten sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Weitere Beschuldigte könnten folgen.

In Deutschland fand am Mittwoch, dem 07.12.2022, eine bundesweite Razzia gegen die Reichsbürgerszene statt. (Foto) Suche
In Deutschland fand am Mittwoch, dem 07.12.2022, eine bundesweite Razzia gegen die Reichsbürgerszene statt. Bild: picture alliance/dpa | Boris Roessler

Am frühen Morgen des 7. Dezember 2022 stürmten Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) und Spezialeinheiten wie die GSG 9 und mehrere SEK bundesweit mehrere Häuser und Wohnungen mutmaßlicher Reichsbürger. Die Bundesanwaltschaft hatte 25 Verdächtige in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich festnehmen lassen. Die Beschuldigten sollen eine terroristische Vereinigung gebildet haben, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereiten wollte.

Nach Razzien in "Reichsbürger"-Szene: Weitere Beschuldigte erwartet

Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen nach der Großrazzia mit weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen. Die Präsidenten von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) sowie der Generalbundesanwalt zeigten sich am Mittwochabend in Interviews überzeugt von der Ernsthaftigkeit der Umsturzpläne.

BKA-Präsident Holger Münch nannte am Mittwochabend im ZDF-"heute journal" die Zahl von mittlerweile 54 Beschuldigten und sprach von mehr als 150 Durchsuchungen. Bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden. Münch ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus.

13 mutmaßliche "Reichsbürger" in U-Haft - Frühere Bundestagsabgeordnete und Soldaten unter Terrorverdächtigen

Nach dem Anti-Terror-Einsatz in der Reichsbürgerszene hat Generalbundesanwalt Peter Frank Details zu den Tatverdächtigen bekanntgegeben. So habe eine ehemalige Bundestagsabgeordnete in einer neuen Regierung, die die Verdächtigen gründen wollten, das Justizressort übernehmen sollen, teilte Frank in Karlsruhe mit.

Zu den Tatverdächtigen zählt auch die Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Als ein Rädelsführer gilt der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen. Auch er ist nach den Angaben von Generalbundesanwalt Frank unter jenen, für die Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Untersuchungshaft angeordnet haben.

Den Festgenommenen werde Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, bekräftigte Frank. "Die Vereinigung hat sich nach unseren Erkenntnissen zum Ziel gesetzt, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen."

Nach Razzia: Inzwischen 13 mutmaßliche "Reichsbürger" in U-Haft

Mehr als die Hälfte der 25 am Mittwoch festgenommenen Verdächtigen aus der Reichsbürgerszene ist inzwischen in Untersuchungshaft. In 13 Fällen hätten Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof die Haftbefehle in Vollzug gesetzt, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am späten Nachmittag. In keinem Fall, über den schon entschieden wurde, seien die Betroffenen wieder auf freien Fuß gekommen. Planmäßig sollen auch an diesem Donnerstag noch Verdächtige den Richtern vorgeführt werden.

Generalbundesanwalt: Aufgeflogene Reichsbürgergruppe war fest entschlossen

Die wegen Umsturzplänen aufgeflogene Reichsbürgergruppierung hat nach den Worten von Generalbundesanwalt Peter Frank noch kein konkretes Datum für die Verwirklichung ihres Vorhabens gehabt. Innerhalb der Vereinigung habe es aber Diskussionen gegeben, ob bestimmte Anlässe von außen nicht Grund zum Losschlagen hätten sein können, sagte Frank am Mittwochabend in einem ARD-"Brennpunkt". "Wir gehen davon aus, dass die Personen in der Vereinigung fest entschlossen waren und auch sicher waren, etwas zu tun", betonte Frank. Bei den Razzien sei auch militärische Ausrüstung wie Schusswesten gefunden worden. Einige Mitglieder hätten sich zudem bei Schießtrainings vorbereitet. Die Behörden seien sicher, dass es zu einem Losschlagen gekommen wäre. Es sei richtig gewesen, jetzt im Dezember zuzugreifen und der Vereinigung ein Ende zu bereiten.

Generalbundesanwalt schildert: So wollten die Reichsbürger ihren eigenen Staat aufbauen

Die Verdächtigen lehnten die bestehende staatliche Ordnung ab: "Die Festgenommenen hängen Verschwörungsmythen an bestehend aus verschiedenen Narrativen der Reichsbürger-Ideologie sowie der QAnon-Ideologie", so der Generalbundesanwalt. Hierbei handelt es sich um eine Gruppierung mit rechtsextremistischem Hintergrund.

Frank teilte mit, dass die Vereinigung als "eine Art Rat" aufgebaut sei. "Dies soll eine Regierungsorganisation sein." Unterteilt sei der Rat in Ressorts ähnlich der Regierung eines Staates. "Bereits einzelne Personen waren vorgesehen für die Übernahme einzelner Ressorts, darunter für das Justizressort eine ehemalige Abgeordnete des Deutschen Bundestages."

Neben dem Rat bestehe ein militärischer Arm. "Dieser militärische Arm soll eine neue deutsche Armee aufbauen", so Frank. Heimatschutzkompanien sollten dafür gegründet werden. "Einzelne Mitglieder dieses militärischen Armes waren nach unserer Erkenntnis in der Vergangenheit auch aktiv in der Bundeswehr tätig."

Das Verteidigungsministerium hatte zuvor bereits mitgeteilt, dass sich unter den Verdächtigen insgesamt drei Soldaten befinden, darunter als aktiver Bundeswehrangehöriger ein Soldat des Kommandos Spezialkräfte (KSK) sowie zwei weitere nicht aktive Soldaten.

Bundesweite Razzia gegen Reichsbürgerszene: Sie wollten gewaltsamen Systemumbruch

Wie "Bild" berichtet, durchsuchte die Soko "Schatten" mit 3.000 Einsatzkräften am Mittwochmorgen 137 Objekte von 52 Beschuldigten. Dabei seien 25 Personen festgenommen worden. Um exakt 6 Uhr seien die Beamten in ein Haus im Berliner Villenviertel Wannsee einmarschiert, nur drei Minuten später sei ein Jagdschloss Waidmannsheil in Bad Lobenstein, Thüringen, gestürmt worden. Zudem hätten sich die Einsatzkräfte in 30 Objekten in Baden-Württemberg, in einerAutowerkstatt und einer Zimmerei im Erzgebirge, Sachsen, in weiteren Orten in Bayern, Hessen, Niedersachsen sowie im österreichischenKitzbühel und im italienischen Perugia Zugriff verschafft.

Terroristische Reichsbürger-Vereinigung wurde spätesten Ende November 2021 gegründet

Zunächst hätte das Berliner LKA einen mutmaßlichen Reichsbürger in Hessen aufgespürt. Ende August 2022 seien dieBundessicherheitsbehörden dann über den Verdacht auf eine "verfassungsfeindlichen Gruppierung" informiert worden. "Die Beschuldigten gehören zu einer spätestens Ende November 2021 gegründeten terroristischen Vereinigung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen", so derGeneralbundesanwalt.

Tote für gewaltsamen Systemumbruch wären in Kauf genommen worden

Wie es in einem von "Bild" geteilten Zitat heißt, hätte die Vereinigung bei dem geplanten Putsch Tote "als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten Systemwechsels auf allen Ebenen zumindest billigend in Kauf" genommen. Das Reichsbürgernetzwerk soll sich um Heinrich XIII. Prinz Reuß (71), der bereits als Gefährder eingestuft gewesen sei, und die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann gebildet haben. Die Reichsbürger hätten das System gewaltsam stürzen und anschließend eine neue Regierung nach monarchischen Grundsätzen ähnlich einem "Fürstentum" bilden wollen. Einige geplante Positionen seien bereits an Personen vergeben worden, die derzeit einflussreiche Positionen in sozialen oder finanzstarken Bereichen des öffentlichen Lebens innehätten. Auch ehemalige Bundeswehr-Soldaten sowie Personen, die im Besitz legaler Waffen sind, seien an den Putsch-Plänen beteiligt gewesen.

Razzia gegen Reichsbürgerszene: Bundeswehr-Soldat des Kommandos Spezialkräfte im Verdacht

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft (GBA) gegen Verdächtige aus der sogenannten Reichsbürgerszene richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.

Verdächtigter Soldat fiel bereits als Impfgegner auf

Nach Informationen der dpa handelt es sich um einen Unteroffizier. Demnach wurden sein Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw (Baden-Württemberg) durchsucht. Er war in der Bundeswehr bereits als Impfgegner aufgefallen und später aus der Truppe heraus gemeldet worden. Bei den Ermittlungen sind demnach bisher aber keine Bezüge zu früheren Extremismusvorfällen im KSK entdeckt worden.

Mutmaßlicher Reichsbürger-Soldat kein Kommandosoldat der Bundeswehr

"Der MAD war im Vorfeld in die Ermittlungen des GBA eingebunden und hat seine Erkenntnisse im Verfassungsschutzverbund und mit dem Bundeskriminalamt geteilt", sagte der MAD-Sprecher. Der aktive Soldat sei Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte, es handele sich aber nicht um einen Kommandosoldaten. Hintergrund ist, dass in der Kaserne auch Teile der Logistik, Unterstützungskräfte und die Führung des Verbandes stationiert sind.

"Im Zuge der verdeckten Ermittlungen des MAD haben sich bisher keine Verbindungen zwischen dem beschuldigten Soldaten und zurückliegenden Ermittlungskomplexen im KSK erhärten lassen. Die Verbindungen sind jedoch weiterhin Gegenstand der laufenden Ermittlungen", sagte der Sprecher weiter.

Faeser spricht von "Abgrund einer terroristischen Bedrohung"

Die Umsturzpläne der sogenannten Reichsbürgerszene lassen nach den Worten von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) in den "Abgrund einer terroristischen Bedrohung" blicken. Deren Initiatoren seien "von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben", erklärte die Ministerin am Mittwoch in Berlin. Faeser sprach ausdrücklich von einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung. "Militante Reichsbürger verbindet der Hass auf die Demokratie, auf unseren Staat und auf Menschen, die für unser Gemeinwesen einstehen."

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Mutmaßliche Umsturzpläne - Steinmeier sieht "neues Niveau"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich besorgt über die mutmaßlichen Umsturzpläne sogenannter Reichsbürger geäußert. Bei einem Besuch im sächsischen Freiberg sagte Steinmeier am Mittwoch dem Radiosender MDR Aktuell, er kenne das, was den Ermittlern vorliege, noch nicht im Detail. Es sei "allerdings ein neues Niveau". Sollte sich bestätigen, dass terroristische Straftaten in Vorbereitung seien, "dann muss auch gehandelt werden, dann muss auch das Strafrecht Grenzen setzen". Deutschland sei eine liberale Demokratie. "Aber diese liberale Demokratie muss auch eine wehrhafte sein."

"Die Wehrhaftigkeit der Demokratie beweist sich auch darin, dass sich diejenigen, die anderer Meinung sind, die ein liberales, ein demokratisches, ein offenes Deutschland wollen, lauter äußern, als das gelegentlich der Fall ist", betonte der Bundespräsident und verwies auf die Gesprächskultur in den sozialen Medien. Dort seien jeden Tag Hass und Hetze zu erleben: "Ich wünschte mir manchmal, dass auch Teilnehmer in den sozialen Medien hier Grenzen setzen und sagen: Das ist etwas, das so unerträglich ist, das will ich nicht lesen, geschweige denn klicken."

Zentralrat sieht in Reichsbürgern reale Gefahr von rechts

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sieht angesichts der Terrorvorwürfe gegen sogenannte Reichsbürger eine reale Gefahr von rechts. "Die heutige Razzia zeigt, dass die "Reichsbürger" kein harmloser Zusammenschluss von Wirrköpfen sind, sondern auch rechtsextreme Terrorgruppen beinhalten", erklärte Schuster am Mittwoch in Berlin. "Das Ausmaß dieses Netzwerkes ist erschütternd. Die Gedanken dieser Leute mögen wirr sein, die Gefahr von rechts ist aber real." Sein Dank gelte den Polizeibeamten.

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/bua/news.de/dpa

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