Von news.de-Mitarbeiterin Denise Peikert - Uhr

Hofnachfolge: Bauer sucht Erben

Reiner Lämmel ist Milchbauer. Befragt zu den niedrigen Milchpreisen zuckt er nur mit den Schultern und redet von normalen Durststrecken. Die hält er aus. Lämmel hat andere Sorgen: Der 62-Jährige sucht einen Nachfolger und findet keinen. Das geht 40 Prozent aller deutschen Bauern so.

Reiner Lämmel sucht einen Nachfolger für seinen Hof. (Foto) Suche
Reiner Lämmel sucht einen Nachfolger für seinen Hof. Bild: news.de

Der Milchtank steht im Weg. Bauer Lämmel lehnt daneben und reibt sich seine Hüfte. «Ich renn auch manchmal Leute um», knarzt er gemütlich. Den Tank, den hat er nicht gesehen. Sein Blickfeld wird seit 40 Jahren immer kleiner, in ein paar Jahren ist der 62-Jährige blind. Wer sich dann um seine 20 Kühe kümmert, weiß er noch nicht.

Reiner Lämmel sucht seit zwei Jahren jemanden, der seinen Hof übernimmt. Eigene Kinder hat er nicht, und sein Neffe hat aufgehört, Bauer werden zu wollen, als er 15 war. Interessenten gebe es genug, sagt Lämmel. «Aber die meisten, die haben irgend so einen hohen Universitätsabschluss in Landwirtschaft, können aber keine Kuh melken.» Lämmel braucht jemanden, der zupackt und etwas aufbauen will, sagt er. Einen eigenen Milchladen vielleicht, oder sogar eine Käserei.

Das ist auch nötig. Denn von den 5000 Litern Milch, die Lämmel im Jahr pro Kuh an die Molkerei Müller verkauft, kann er gerade einmal zwei Drittel seiner Kosten decken. Mit Eigenvermarktung bliebe mehr Geld beim Bauern hängen. 40 Cent pro Liter Milch müssten es schon sein, damit der Hof sich rechnet. Doch für die Investitionen in eine eigene Milchverarbeitung ist Lämmel zu alt, und deshalb hält er bei einem Milchpreis von 26 Cent halt so durch. Eine Durststrecke nennt er das, die nur ein Bauer überstehen kann, der ja sowieso nirgendwo anders hin kann - der an seinen Hof gebunden ist.

Naturschiefer auf dem Dach, Holz im Kachelofen

Lämmels Familie gehört das alte Bauernhaus seit 1918, der Landwirt und seine 82-jährige Mutter wollen hier wohnen bleiben, auch wenn neue Hausherren in die leeren Räume im zweiten Stock einziehen. Jeden Morgen um kurz vor vier sitzt Lämmel an seinem Platz auf der Holzbank, seine Mutter kocht das Kaffeewasser im Emaillekrug über der vom Kachelofen erhitzten Herdplatte. «Der Ofen braucht nur Holz», sagt Lämmel, der das Natürliche mag, den Ofen deshalb erst kürzlich erneuert hat und den Dachdecker draußen Schindeln aus Naturschiefer anhämmern lässt.

Bevor Lämmel in den Stall geht, schiebt er sich ein Basecap in den Nacken und streift seine blaue Arbeitsjacke über. «Das hier war früher die Wirtschaftsküche» sagt er. «Da konnte man einfach mit den dreckigen Stiefeln rein- und rausmarschieren.» Jetzt schlurft Lämmel in seinen Pantoffeln über den Boden und hat regelmäßig die Denkmalschutzbehörde in dem 350 Jahre alten Gebäude. «Da kann man noch nicht mal eine Decke abhängen, in diesem Haus», schimpft der Dachdecker. Lämmel stört das nicht «Das ist eines der schönsten Bauernhäuser in der Gegend», sagt er.

Im dunklen Stall kauen 20 Kühe wieder, gekettet an das 40 Jahre alte Gemäuer. «Das ist wie im Mittelalter hier», winkt ein Bauer aus dem Dorf ab, der zu Hause selber Kühe hat und Lämmel bei der Arbeit auf der Weide aushilft. Lämmel wiegelt ab: Kein Stall, auch kein moderner, sei ein guter Ort für Kühe. «Die gehören auf die Wiese.» Doch noch weht der Erzgebirgswind zu kalt über die 25 Hektar Weidefläche, die Lämmel außerhalb des Dorfes gehören. Aber eigentlich will er sie noch im Mai rausfahren lassen, immer zu fünft in dem hölzernen Viehanhänger.

«Das wird hier eh alles abgerissen»

Wenn Lämmel das Licht anknipsen will im Stall, sucht sein Handrücken an der Wand nach dem Schalter. Eigentlich reicht der Tag, der von draußen durch die offene Holztür fällt, aus, um den Schalter zu finden. «Wenn das mit den Augen nicht wäre», sagt Lämmel, «könnte ich es noch gut bis 70 schaffen.» Auf die Frage, wie lange es so noch gehen wird, wiegt Lämmel nur leicht seinen runden Kopf und sagt nichts.

Wie Lämmel finden mehr als 40 Prozent aller Bauern in Deutschland keinen Nachfolger. Die Grünen wollen deshalb die Hofabgabeklausel abschaffen, nach der Landwirte mit 65 erst Rente bekommen, wenn sie ihren Hof abgegeben haben. Dass Lämmel in drei Jahren keine Rente aus der Landwirtschaft bekommen könnte, stört den Bauern nicht – das schafft er schon irgendwie.

Ihn regt der Grund auf, warum sein Hof ohne Nachfolger bleiben könnte. «Landwirtschaft ist in Deutschland nur notwendiges Übel», sagt er. «Der Bauernstand zählt nichts und deswegen gibt es auch keinen echten Nachwuchs mehr.» Ein Freund von ihm, erzählt Lämmel, habe ein Praktikum in Neuseeland gemacht. «Der war in der Disco und die Mädchen hätten ihn gleich dort weggeheiratet.» Ein Bauer, das bedeute ein Dach über dem Kopf, Arbeit und Brot. Die Neuseeländer wissen das und Lämmel natürlich auch. Nur die meisten Deutschen begreifen es offenbar nicht.

Wer Lämmel so reden hört über seinen Beruf, glaubt sofort, dass er in den nächsten drei Jahren einen Nachfolger finden wird. Doch nur die wenigen steilen Stufen hinter der warmen Bauernküche hinunter ist der Idealismus zu Ende. «Was soll denn werden, mit diesem alten Hof, hier mitten am Markt?», fragt der Bauer aus dem Dorf und grinst über Lämmels Idee mit der Käserei. Der Dachdecker, der gerade die neue Dachrinne aus Holz angebracht hat, hat eine Antwort. «Abgerissen wird das hier bestimmt, wenn die beiden nicht mehr können.»

iwi/news.de

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