Von news.de-Redakteur Andreas Schloder - Uhr

Selbstmord: Wenn Mann nicht mehr weiter weiß

Der Suizid als letzter Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit: Jährlich versuchen mehr als 100.000 Deutsche sich umzubringen. Rund zehn Prozent «gelingt» das auch. Vor allem Männer bleiben ein Mysterium, die scheinbar aus dem Nichts Ernst machen.

Der Suizid als letzter Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit: Vor allem Männer greifen zu rabiaten Mitteln. (Foto) Suche
Der Suizid als letzter Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit: Vor allem Männer greifen zu rabiaten Mitteln. Bild: dpa

Ob Wales Fußballcoach Gary Speed oder der deutsch-iranische Schiedsrichter Babak Rafati: Der Selbstmord und der Suizidversuch haben nicht nur die Sportwelt schockiert. Eine Frage bleibt dabei im Raum stehen: Warum hat keiner die Suizidgedanken erkannt und gehandelt?

Diese Frage ist auch für Experten nicht leicht zu beantworten. Sie können nur mit Zahlen beweisen, dass Männer anders als Frauen ticken - und zu härteren Mitteln greifen, um dem eigenen Leben ein Ende zu setzen.

Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Psychologen (BDP) haben 80 Prozent aller Bundesbürger schon einmal mit dem Gedanken gespielt, sich umzubringen - besonders in Krisenzeiten oder in Phasen der Neuorientierung. Pro Jahr versuchen rund 100.000 Deutsche den Schritt in den Freitod, 10.000 von ihnen «gelingt» das. Die Dunkelziffer liegt Experten zufolge deutlich höher, denn nicht jeder Suizid wird angesichts von Verkehrsunfällen und Überdosen als solcher erkannt.

Männer: Je älter, desto gefährlicher

Bei den Todesfällen ist aber ein starkes Gefälle zu verzeichnen: Knapp zwei Drittel aller Selbstmörder sind männlich. Je älter das starke Geschlecht wird, desto ernster sind die Todesabsichten. Jeder dritte Selbstmord wird von Menschen über 65 Jahre verübt. Dabei liegt der Anteil dieser Altersgruppe an der Bevölkerung bei nur 15 Prozent. Gerade bei älteren Männern ist die Suizidrate rund vier Mal so hoch wie bei Frauen in derselben Altersgruppe.

Theoretisch könnten viele Betroffene behandelt und deren Selbstmord verhindert werden. Denn 90 Prozent aller Suizide stehen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Dazu können Schizophrenie oder Sucht kommen.

Doch wieso gestaltet sich die Früherkennung in der Praxis so schwierig? Warum sieht man einem Nachbarn, einem Freund, einem Familienmitglied oder einem Prominenten nicht an, dass er plant, sich umzubringen? Erst seit einigen Jahren beschäftigen sich Forscher mit der Frage, warum Frauen zwei bis drei Mal häufiger an Depressionen erkranken, Männer aber mindestens drei Mal so oft Selbstmord begehen. «Männer versuchen, Depressionen lange zu unterdrücken, dann wird es schnell lebensgefährlich», sagt Depressionsforscher Professor Mathias Berger vom Freiburger Universitätsklinikum.

Das kann Michael Hettich, Chefarzt einer Spezialklinik für depressive Männer in Ilten, nur bestätigen. «Männer definieren sich als unabhängig, selbstbewusst, leistungsorientiert, aktiv und rational. Das passt nicht mit Depressivität zusammen», so der Experte. Der Hamburger Psychologe Dr. Elmar Basse gibt zu bedenken, dass sich bei viele Männer über Leistung definieren und daraus ihr Selbstbewusstsein entwickeln. Im beruflichen Umfeld gebe es daher nicht so viele Ansprechpartner, an die man sich wenden kann. «Daraus resultiert die Haltung des Verbergens und Versteckens», so der Psychologe. In der Praxis sieht das so aus: In einer Studie erkannten Hausärzte Depressionen bei Männern in nur 20 Prozent der Fälle, bei Frauen waren es 40 Prozent.

Bei Veränderungen den Betroffenen ansprechen

Wie aber kann jeder Einzelne erkennen, ob jemand in seinem Umfeld suizidgefährdet ist? Basse zufolge sollte man darauf achten, ob sich der Betroffene in seinem Denken und Verhalten verändert hat. Anzeichen seien auch, wenn Todesgedanken und Szenarien ausgesprochen werden. Je plastischer sie dargestellt werden, desto schneller muss reagiert werden.

Doch Vorsicht: Wenn der Betroffene wieder Zufriedenheit ausstrahlt und sich positiv präsentiert, heißt das noch lange nicht, dass er über dem Berg ist. «Das kann daran liegen, dass er seine Suizidentscheidung getroffen hat und nicht mehr unter Druck steht.»

Um dem vorzugreifen, sollte der Betreffende darauf angesprochen werden, dass bei ihm Veränderungen bemerkt wurden und man ihm helfen wolle. Das müsse man nicht selber tun, sondern den Suizidgefährdeten fragen, wen er gern als Ansprechpartner hätte. Dringt man aber nicht durch, so sollte laut Basse wie bei einem Unfall gehandelt werden. Das heißt: Verwandte und Freunde anrufen, im akuten Fall den Notruf absetzen.

ham/rzf/news.de/dpa