Wirbel um Beleidigungs-Paragrafen: Weidel stellte Strafanzeigen - Bericht deckt Doppelmoral der AfD auf
AfD-Chefin Alice Weidel stellt immer wieder Strafanzeigen wegen Beleidigungen. Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Christoph Gollnow
Erstellt von Sabrina Böhme
02.06.2025 15.37
- Wirbel um Paragraf 188: Beleidigung von Politikern
- Doppelmoral der AfD aufgedeckt
- Partei schimpft auf Paragrafen: Alice Weidel stellt immer wieder Strafanzeigen
Wenn ein Politiker wie Robert Habeck beleidigt wird und Strafanzeige stellt, regt sich die AfD schnell auf. Der Grund:Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs, mit dem das Gesetz gegen Beleidigungen von Politikern vorgeht. Hier zeigt sich ein Widerspruch. Ausgerechnet Parteichefin Alice Weidel nutzt dieses Gesetz massenhaft für eigene Strafanzeigen. Das geht aus Recherchen von "t-online" hervor. Anwälte berichten von hunderten solcher Verfahren - ein Großteil geht auf Weidels Konto.
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Wirbel um Paragraf 188: AfD verstrickt sich in Widersprüchen
Die AfD wettert seit Langem über Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs und spricht dabei von Zensur. Die Partei kritisiert den Versuch, "aufsässige Bürger mit Strafanträgen, Geldbußen und Hausdurchsuchungen zum Schweigen zu bringen".Die Partei hat sogar einen Gesetzentwurf "zur Stärkung der Meinungsfreiheit und Abschaffung des Tatbestands der Politikerbeleidigung in Paragraf 188" eingebracht. Federführend dafür ist ausgerechnet Stephan Brandner, der selbst viele Strafanzeigen nach diesem Paragrafen stellt.
Alice Weidel klagt am häufigsten gegen Beleidigungen
Der Ursprung vieler Beleidigungsverfahren liegt in einer falschen Aussage von Alice Weidel bei "Maybrit Illner". Nachdem Satiriker Christian Ehring sie in der NDR-Sendung "Extra 3" als "Nazischlampe" bezeichnet hatte, scheiterte Weidels Versuch, das zu unterbinden. Das Landgericht Hamburg nannte es eine zulässige satirische Auseinandersetzung.
Weidels Schlussfolgerung war jedoch falsch: "Ein Gericht hat geurteilt, dass man mich 'Nazischlampe' nennen darf", sagte sie bei "Anne Will". Seitdem passiert das öfter - mit rechtlichen Konsequenzen für die Nutzer. Tatsächlich ist die Bezeichnung nur erlaubt, wenn ein direkter Bezug zu Weidels Parteitagsrede von 2017 hergestellt wird. Ohne diesen Kontext bleibt es eine strafbare Beleidigung, was viele Bürger nicht wissen und teuer bezahlen müssen.
Anwälte decken Strafanzeigen der AfD auf
Laut Weidels Sprecher Daniel Tapp geht es um eine zweistellige Zahl an Anzeigen, die Weidel wegen Beleidigung stellte. Doch Anwälte gehen von weitaus mehr aus. Mario Kroschweski aus Bremen berichtet von einem "Aktenschrank voller Fälle": "100 Anzeigen wegen Beiträgen zur AfD, 90 Prozent wegen Frau Weidel." Deutlich mehr Anrufern habe er zudem gesagt, sie sollten angesichts der Kosten einen Strafbefehl akzeptieren, wenn es ihnen nicht ums Prinzip gehe. Eine Berliner Anwältin vertritt Mandanten, gegen die zusammen rund 200 Anzeigen erstattet worden sind - fast alle aus der AfD, der Großteil von Weidel.
Auch andere AfD-Politiker nutzen das Gesetz intensiv: Stephan Brandner, ausgerechnet der federführende Autor des Gesetzentwurfs zur Abschaffung des Paragrafen 188, stellt ebenfalls viele Strafanzeigen nach diesem Paragrafen.
Paragraf 188 als politisches Instrument: AFD will Opferrolle stärken
Anwalt Mario Kroschweski sagt, dass die AfD den Paragrafen "eher noch politisch nutzt, um die Opferrolle zu stärken". Er findet es nicht grundsätzlich verwerflich, dass die Partei das Gesetz nutzt, das sie kritisiert - schließlich gehe es auch um "rechtliche Waffengleichheit".
Die entscheidende Frage sei jedoch, "wie ernsthaft man sich betroffen fühlt". Äußert sich eine Partei öfter und stark gegen den Paragrafen, kann das eine stillschweigende Rücknahme von Anzeigen bedeuten.
"Das Argument wird durch AfD-Politiker immer gewichtiger, die ständig fordern, den Paragrafen abzuschaffen", so Kroschweski. Der Anwalt rät seinen Mandanten dennoch, zu überlegen, was sie sagen, um kein Klima zu schaffen, das die Hürde zu Gewalttaten senke.
Abschaffen, aber weiter klagen: Doppelmoral der AfD
Die AfD rechtfertigt ihre massenhafte Nutzung des Paragrafen 188 mit dem Argument der "rechtlichen Waffengleichheit". Es wäre "töricht, wenn sich die AfD bis zur Abschaffung nicht zur Wehr setzen würde", so die Parteilogik.
Fazit: Doch die Glaubwürdigkeit der Partei leidet unter dieser Praxis. Wer ein Gesetz als Zensur-Instrument anprangert und gleichzeitig hunderte Male davon Gebrauch macht, gerät in Erklärungsnot. Die Betroffenen der Anzeigen ärgern sich laut t-online.de alle über diese Doppelmoral - besonders von einer Partei, die "politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte" werfen will. Der Widerspruch zwischen öffentlicher Kritik und privater Nutzung des Gesetzes zeigt: Die AfD nutzt das System, das sie bekämpft, wenn es den eigenen Interessen dient.