Panorama

Geröll-Lawine zerstörte Blatten: Nach Gletschersturz droht nächste Katastrophe – Experten fürchten Flutwelle

Nach dem Gletscherabsturz droht nun eine Überflutung. Bild: picture alliance/dpa/Maxar Technologies/AP | -

  • Artikel teilen:
  • Gletschersturz begräbt Teile des Walliser Dorfs Blatten
  • Evakuierung rettet 300 Menschen das Leben –eine Person wird vermisst
  • Videos dokumentieren Katastrophe – Dorf liegt unter gigantischem Schuttkegel
  • News-Ticker zur aktuellen Entwicklung nach Gletschersturz in Blatten

Es ist ein Albtraum aus Fels, Eis und Geröll: Der Birchgletscher im Walliser Lötschental ist am Mittwochnachmittag in gigantischen Massen abgestürzt – und hat das idyllische Dorf Blatten förmlich ausgelöscht. Gewaltige Schuttlawinen walzten über das Tal hinweg, rissen Bäume mit, zerstörten Straßen und begruben Teile der Ortschaft unter meterhohen Geröllmassen. 300 Einwohner wurden schon Tage zuvor evakuiert. Eine Person wird vermisst. Videos in den sozialen Netzwerken zeigen die Katastrophe.

Lesen Sie auch:

Gletschersturz begräbt Dorf in der Schweiz: Videos zeigen gigantische Lawine aus Eis, Fels und Geröll

Der Gletscherabbruch wurde durch einen schleichenden, aber massiven Bergsturz am Kleinen Nesthorn ausgelöst. Etwa neun Millionen Tonnen Gestein hatten sich in den vergangenen Tagen vom rund 3.800 Meter hohen Berg gelöst und auf dem Birchgletscher abgelagert. Der Druck war zu groß – das Eis gab nach. Schon in der Nacht auf Dienstag war es zu einem kleineren Abgang gekommen. Der finale Absturz am Mittwoch war ein seismisches Beben der Stärke 3,1. Augenzeugen berichten von ohrenbetäubendem Grollen und einer aufgewirbelten Staubwolke, die das Tal verdunkelte.

Die Bilder sprechen für sich: Wo einst Blatten lag, zieht sich nun ein gewaltiger Schuttkegel durch das Tal. Die Straße zwischen Goppenstein und Blatten ist zerstört, das gesamte Lötschental von den Folgen der Katastrophe gezeichnet.

Sie können das X-Video nicht sehen? Dann hier entlang.

MehrereAufnahmen zeigen, wie sich die gewaltigen Geröllmaße vom Berg ins Tal ergießen und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.

Ein Video auf der Social-Media-Plattform X, ehemals Twitter, zeigt das gewaltige Ausmaß des Gletschersturzes. Beinah das gesamte Tal ist verschüttet.

Ein anderer Nutzer zeigt in einem Fotovergleich, wie das Tal vor und nach dem Gletschersturz aussieht.

Katastrophe nach Gletschersturz in Blatten: Alle aktuellen Entwicklungen im News-Ticker

Der Spuk ist leider noch nicht vorbei. Eine Mure – ein rasend schneller Strom aus Schlamm und Gestein – könnte sich bilden, sollte der Druck auf den Fluss weiter steigen. Evakuierungen in anderen Teilen des Tals sind nicht ausgeschlossen. Alle aktuellen Informationen finden Sie hier im News-Ticker.

+++Experten: Wasser nach Gletscherabbruch fließt gemächlich ab +++

Im Katastrophengebiet nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz läuft das Wasser aus dem aufgestauten Fluss bislang verhalten ab. "Es zeichnet sich ein erstes Gerinne ab", sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren bei einer Pressekonferenz im Lötschental. "Der Verlauf hat uns optimistisch gestimmt, dass das Wasser sich einen guten Weg sucht."

Nach dem Augenschein von Fachleuten, die das Gebiet immer wieder überfliegen, fließt das Wasser durch und teils über den mehr als zwei Kilometer langen Schuttkegel, der seit dem Gletscherabbruch das Flussbett der Lonza blockiert. Es handele sich um rund neun Millionen Kubikmeter Material, sagte Studer. Dahinter hat sich ein riesiger See gebildet.

Ein Drittel des Materials im Schuttkegel könne nach Experten-Schätzung Eis des Birschgletschers sein, der am Mittwoch abgebrochen war, sagte Studer. Wie sich das Eis verhalte, sei unklar. Er gehe aber bislang nicht davon aus, dass das Material sehr schnell schmilzt, sagte er.

Für die Gemeinden Gampel und Steg habe sich die Lage positiv entwickelt, sagte Stéphane Ganzer, Staatsrat im Kanton Wallis. "Dennoch bleibt das Risiko, auch, wenn es sinkt." Die Einwohner waren in der Nacht aufgefordert worden, das Nötigste für den Fall einer nötigen Evakuierung zu packen. Diese wäre nötig, wenn sich doch noch eine Flutwelle oder Gerölllawine aus dem Katastrophengebiet das Tal hinunterwälzt.

Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter machte sich bei einem Hubschrauberüberflug selbst ein Bild der Zerstörung. "Dass ein ganzes Dorf ausgelöscht wurde, ist unbegreiflich", sagte sie. Sie sicherte den Bewohnern weitreichende Unterstützung zu.

+++Nach Gletscherabsturz: See dürfte in Morgenstunden überlaufen +++

Die Schweizer Katastrophenbehörden rechnen nach dem gigantischen Gletscherabbruch im Lötschental in den frühen Morgenstunden des Freitags mit einer besorgniserregenden Entwicklung. Die gigantischen Geröllmassen haben das Flussbett der Lonza verstopft. Der See, der sich dahinter gebildet hat, dürfte "in den frühen Morgenstunden" überlaufen, wie Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren im Lötschental sagte.

Der Pegelstand steige ständig, die meisten der wenigen übriggebliebenen Gebäude im Dorf Blatten stünden bereits im Wasser. Die Behörden prüften mit Spezialisten verschiedene Szenarien, wie die Seeentleerung stattfinden könnte, sagte Studer. "Ziel ist es, diesen Prozess möglichst gut zu antizipieren und die Sicherheit der Bevölkerung weiter unten sicherzustellen."

Studer ging auf die Szenarien zunächst nicht ein. Geologen hatten vorher gesagt, dass das Wasser über den Schuttkegel schwappen und eine Flutwelle auslösen könnte. Möglich ist auch, dass das Wasser Schutt mitreißt und sich eine Gerölllawine ins Tal ergießt. Heute wurden bereits weitere Häuser im Tal in Gefahrenzonen geräumt.

Eine große Lawine mit einem Gemisch aus Eis, Fels, Schnee und Wasser hat das Dorf Blatten unter sich begraben. Bild: picture alliance/dpa/KEYSTONE | Jean-Christophe Bott

+++ Flutwelle oder Gerölllawine: Menschen packen das Nötigste +++

Hinter dem Schuttkegel des Gletscherabbruchs im Lötschental ist der gestaute Fluss Lonza so bedrohlich angeschwollen, dass die Behörden weitere Gemeinden auf eine Räumung vorbereiten. "Wir fordern die Bewohner auf, persönliche Vorbereitungen zu treffen, um innert möglichst kurzer Zeit die Wohnungen verlassen zu können", teilen die Gemeinden Steg-Hohtenn und Gampel-Bratsch auf ihrer Webseite mit.

Betroffen sind die Gemeinden Gampel und Steg rund 20 Kilometer unterhalb des verschütteten Dorfes Blatten. Insgesamt wohnen in dem Gebiet mehr als 2.000 Menschen, aber der Aufruf gilt nur für die Ortsteile am Talgrund, wie die Gemeinden mitteilen.

+++ Flutwelle droht nach Gletscherabsturz in der Schweiz +++

Im Schweizer Lötschental droht nach dem gigantischen Gletscherabbruch nun eine Flutwelle. Das Flüsschen Lonza ist durch die meterhohen Fels- und Eismassen, die am Mittwoch von Berg stürzten, wie durch einen meterhohen Damm gestaut. Die wenigen Häuser, die im Dorf Blatten nicht verschüttet wurden, seien bereits überflutet, berichten die Behörden.

Der Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern beschreibt die Kettenreaktion, die im schlimmsten Fall nun droht. Die Fels- und Eismassen hätten sich zu einem sehr hohen Damm aufgetürmt, und dahinter staue sich die Lonza. "Das Schlimmste wäre, dass sich Wasser aufstaut bis zur Krone des Bergsturzdammes", sagte Anselmetti dem Schweizer Radiosender SRF. Der Fluss könne sich dann in das Gestein-Eis-Gemisch einschneiden.

"Was drohen könnte, wäre, dass der Damm durch dieses Einschneiden instabil wird, dass Teile dieses Dammes mitgerissen werden, dass er kollabiert und dann könnten sehr starke Flutwellen oder Murgänge von diesem Seeausbruch für die Gemeinden, die im unteren Tal liegen, drohen."

+++ Gemeindepräsident: "Wir haben das Dorf verloren, aber nicht das Herz" +++

Trotz der frühzeitigen Evakuierung bleibt die Lage in Blatten angespannt: Eine Person gilt als vermisst. Der regionale Führungsstab hofft, dass sie nicht unter den Trümmern liegt – doch absolute Gewissheit gibt es nicht. Matthias Bellwald, der Präsident der Gemeinde Blatten, zeigte sich trotz des Dramas kämpferisch. Auf einer Pressekonferenz im nahegelegenen Ferden sagte er: "Das Unvorstellbare ist eingetroffen. Aber wir geben nicht auf."

Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter drückte ihr Mitgefühl aus: "Es ist schlimm, wenn man seine Heimat verliert." Umweltminister Albert Rösti und Verteidigungsminister Martin Pfister reisten umgehend ins Katastrophengebiet. Die Armee wurde mobilisiert, um bei der Beseitigung der Schäden zu helfen – vor allem beim Rückstau des Flusses Lonza, der sich durch die Erdmassen aufgestaut hat.

Folgen Sie News.de schon bei WhatsApp, Facebook, Twitter, Pinterest und YouTube? Hier finden Sie brandheiße News, aktuelle Videos und den direkten Draht zur Redaktion.

/news.de/dpa/stg

Themen

Erfahren Sie hier mehr über die journalistischen Standards und die Redaktion von news.de.