Panorama

Nacktbaden: Textil ist erotischer als FKK

Das beliebte Tatort-Team Liefers/Prahl wirbt für Ostsee-Tourismus. Bild: dpa

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Die Moritzburger Teiche sind Nackte gewohnt. Wo Michael Stein und seine 580 Vereinskollegen ohne klebrig-nasses Textil ihre Freizeit verbringen, taten es schon vor 100 Jahren Karl Schmidt-Rottluff und seine Kumpanen der Künstlergruppe Brücke. «Es tut einem doch leid, im Badeanzug losrennen zu müssen. Man will das Ding ja eigentlich loswerden», erklärt Stein den Drang, der die Nacktbader damals wie heute bewegt: «Das haben wir uns erhalten.» Doch auf dem traditionsreichen Freikörperkulturgelände bei Dresden tobt heute nicht mehr der jugendliche Über-Mut. «Wir überaltern», sagt Stein. In den vergangenen 20 Jahren hat der Verein die Hälfte seiner Mitglieder verloren, Familien kommen kaum noch. «Jetzt sieht man höchstens die Omas mit ihren Enkeln.»

Dabei war doch gerade im Osten Deutschlands Nacktbaden das Normalste der Welt - für Besuch aus dem Westen oder Studenten, die nach der Wende die Ost-Unis erkundeten, oft befremdlich, manchmal aber auch ansteckend. In der DDR hatten die Nackten sich gegen die Staatsgewalt durchgesetzt. Im Norden schwappte die Welle vom intellektuellen FKK-Revier in Ahrenshoop über die gesamte Ostseeküste, im Rest der Republik eroberte FKK ganz ungeniert die Seen, Teiche und Baggerlöcher. Vereine gestattete die DDR zwar nicht, aber man traf sich trotzdem - und nach dem Versuch eines Verbotes in den 1950ern gab die Staatsführung den Widerstand bald auf. 1982 erschien sogar ein FKK-Reiseführer in der Deutschen Demokratischen Republik.

Die nackte Massenbewegung ist verschwunden

Doch wer sich heute an den Ufern der nicht mehr ganz so neuen Länder sonnt, bekommt von der großen Körperfreiheit nicht mehr viel mit. Sicher, vereinzelt liegen tiefbraun gebrannte Männer mittleren Alters herum, auch ein paar Gruppen von Mitdreißigern sind noch unbekleidet anzutreffen. Aber es scheint, als gehe die besondere Freude am Nacktbaden den Nachgeborenen der DDR ab. Ist FKK unpopulär geworden? Siegt die Bademodenindustrie gegen den freien Körper?

Die organisierte Freikörperkultur zumindest, wie sie die Moritzburger Waldteichfreunde und 145 weitere Vereine im Deutschen Verband für Freikörperkultur (DFK) zelebrieren, schwindet dahin. In den Nachwendejahren zogen die Waldteichfreunde an sonnigen Wochenenden 6000 Menschen auf ihr Gelände - jetzt zahlen gerade noch 580 FKKler bei ihnen Beiträge, und damit sind sie der mit Abstand größte Verein Sachsens. «Der Pillenknick» seit Ende der 1960er Jahre habe auch den FKK-Vereinen den Nachwuchs abgegraben, vermutet DFK-Präsident Kurt Fischer.

Nacktheit gesellschaftlich akzeptierter

Noch seien in Deutschland rund 45.000 Naturisten in Vereinen, schätzt er. Diesem harten Kern der FKKler geht es um mehr als ums nackte Baden, sondern um die Körperfreiheit an sich. Wer durch die Sächsische Schweiz wandert, muss sich nicht wundern, wenn ihm frohen Mutes ein braun gebranntes Paar entgegenkommt, bekleidet nur mit Wanderschuhen und Rucksack. In der Nähe von Bonn reitet Michael Zauels mit Gleichgesinnten nackt durch die Wälder. Ganz unbehelligt, wie er sagt. Und im Harz öffnete im Frühjahr 2010 der erste offizielle Nacktwanderweg Deutschlands. «Willst du keine Nackten sehen, darfst du hier nicht weitergehen», ließ Initiator Heinz Ludwig auf ein Schild drucken.

Nicht immer geht das jedoch so ungezwungen ab. Der überzeugte Naturist Siegfried Grawert ist beim Kampf für seine öffentliche Nacktheit bereits mehrfach dem Paragraphen 118, «Erregung öffentlichen Ärgernisses», zu nah gekommen und wurde zu Geldstrafen und sogar Gefängnis verdonnert.

Doch alles in allem stellt Sexualtherapeut Peter Niehenke, bekannt für seine Nacktläufe durch Freiburg, eine gesellschaftliche Öffnung fest: «Es hat sich bei den Medien, die das transportieren, etwas verändert, aber auch in den Köpfen der Menschen», sagt er der Tiroler Tageszeitung. Niehenke kämpfte erfolgreich für ungestrafte Nacktheit in Naherholungsgebieten. Die Frage, warum Menschen sich gern ausziehen, versteht er nicht: Für ihn ist der natürliche Zustand der unbekleidete. Und tatsächlich ziehen sich doch auch immer mehr Menschen einfach mal aus. Für Skilehrerinnen/Studentinnen/Feuerwehrmänner-Kalender, Zeitschriften, die Bild-Zeitung.

«Die Bademodenindustrie ist übermächtig»

Es handelt sich ganz offenbar um eine Gemengelage. Nackte Erotik ist kein Problem mehr. In FKK-Vereinen hingegen, denen es nicht um Erotik, sondern um natürliche Nacktheit geht, organisieren sich immer weniger Menschen, und auch ein kollektives Massenphänomen wie in der DDR ist FKK nicht mehr. Dennoch heißt es, dass sieben Millionen Deutsche nackt baden, wie Kurt Fischer sagt, der selbst übrigens 47 seiner 63 Lebensjahre als FKK-Anhänger verbracht hat. Er vermutet jedoch, dass viele von ihnen sich nur im Urlaub «trauen» - also weit weg von zuhause.

Hierzulande beobachtet er tatsächlich eine neue Forme der Prüderie - hervorgerufen zum einen durch den Konsumismus, zum anderen durch die Erotisierung des Körpers. «Der heutige Trend der Selbstdarstellung findet seine Definition oft über die Statussymbole der Kleidung. Man trägt Designer-Klamotten, da ist unser Slogan ‹Nackt sind wir alle gleich› nicht gefragt, weil man ja gerade nicht ‹gleich› sein will», erklärt Fischer seine Beobachtung. Und noch etwas biete der nackte Körper nicht: erotische Selbstdarstellung. Das erreichten erst die schrillen, knappen Stofffetzen. «Die Bademodenindustrie ist als Zwangs-Massenbewegung übermächtig und gar nicht besiegbar», stellt er fest.

jag/news.de