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Heribert Schwan: «Hannelore Kohl hätte es so gewollt»

Hannelore Kohl war mehr als vier Jahrzehnte die Ehefrau von Helmut Kohl. Bild: news.de

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Herr Dr. Schwan, hat sich Ihr Leben in den vergangenen Wochen verändert?

Dr. Heribert Schwan: Das kann man so sagen. Ich erhalte täglich neue Anfragen, die Medien stürzen sich regelrecht auf das Thema. Jeder möchte sich mit mir über mein Buch unterhalten - das ist unglaublich. Immer öfter denke ich, all das müsse doch bald mal aufhören. Aber nein, es geht munter weiter.

Seit dem Erscheinen Ihres Buches Die Frau an seiner Seite werden Sie immer wieder kritisiert, mitunter sehr heftig - überrascht Sie die Schärfe der Reaktionen?

Schwan: Nein. Man muss das schließlich eingrenzen: In den Rezensionen ernte ich durchweg Lob. Zudem habe ich viele, viele positive E-Mails bekommen. Mir schreiben fremde Menschen, sie seien dankbar, endlich ein neues Bild von Hannelore Kohl kennengelernt zu haben. Die Leute können diese unnahbare, maskenhafte Frau endlich einschätzen. Hannelore Kohls Handlungen werden zum Teil nachträglich begreiflich - und genau das ist immens wichtig. Denn eines ist auch klar: wirklich gut kannte sie zu Lebzeiten im Grunde genommen niemand. Sogar ihren Freunden blieb Hannelore Kohl ein Rätsel - sie war ihnen zwar zugeneigt, aber auch immer sehr verschlossen.

Wie gehen Sie mit den negativen Reaktionen um?

Schwan: Alles, was aus dem Hause Kohl in Oggersheim kommt, ist geschrieben und formuliert worden von der neuen Frau an seiner Seite (Maike Kohl-Richter, Anm. d. Red.) - das ist mehr als deutlich. Ich nehme diese Tatsache einfach zur Kenntnis, möchte sie aber nicht bewerten.

Ihr wohl schärfster Kritiker ist Helmut Kohls Sohn Walter, der vor kurzem selbst ein Buch veröffentlicht hat.

Schwan: Die Söhne Walter und Peter haben nun erstmals die Deutungshoheit über die Familie verloren. Das ärgert und schmerzt sie ungemein; sie stehen schließlich in keinem guten Licht. (Diese Passage musste wegen einer Unterlassungserklärung gestrichen werden, Anmerkung der Redaktion) Dass sie heute so tun, als wäre das alles nicht wahr -und zudem wild um sich schlagen- passt ins Bild. Aber ich kann damit umgehen.

Beide Söhne sagen, Hannelore Kohl habe Ihnen keine Erlaubnis erteilt, die vielen intimen Details zu veröffentlichen - haben Sie dafür Verständnis?

Schwan: Nein, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis! Warum hat mir denn Hannelore Kohl bitteschön so viel erzählt? Die Argumentation, die Sie zitieren, habe ich nirgendwo gelesen. Da schimmert zwischen den Zeilen durch, die Söhne meinten, Hannelore Kohl hätte sich mir gegenüber nie so geäußert. Aber: weit gefehlt! (Diese Passage musste wegen einer Unterlassungserklärung gestrichen werden) Ich war zufällig da, sie hat mich zufällig instrumentalisiert.

Von einer Publikation war aber nie die Rede, oder?

Schwan: Sie wusste damals doch ganz genau, dass ich der Kopf einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern und Publizisten bin, die Helmut Kohl bei der Verfassung seiner Memoiren helfen. Sie wusste, dass ich einen großen Einfluss darauf habe, was ihr Mann später niederschreibt. Sie wusste außerdem, dass sie ihre Position miteinbringen kann, wenn sie mir die vielen kleinen Geschichten erzählt; angefangen von den Vergewaltigungen 1945 bis hin zu Details kurz vor ihrem Tod. Also auch die Geschichten zu den Schmerzen, die sie jahrzehntelang erlitten hat. Man versteht die Frau doch erst, wenn man das alles weiß! Die Verletzungen, die Einsamkeit und die Krankheiten, die sie beinah magisch anzog, all das erklärt sich aus diesem Trauma, dieser schweren seelischen und körperlichen Verletzung. Das war schließlich auch der Grund für ihre spätere Tablettenabhängigkeit. Die vielen Schwätzer in der Öffentlichkeit kennen die entscheidenden Details doch gar nicht!

Hatten Sie beim Schreiben des Buches irgendwann Zweifel, ob es richtig ist, auch die Vergewaltigungen zu beschreiben?

Schwan: Ich habe mich mehrere Jahre sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt; es ist also nicht einfach so aus einer Laune heraus passiert. Ich habe mich natürlich auch mit Psychotherapeuten beraten, nicht zuletzt auch mit meiner Frau, die meine beste Lektorin ist. Wir beide haben lange diskutiert. Ich möchte es noch einmal mal ganz deutlich sagen: Hannelore Kohl hätte die Veröffentlichung so gewollt! Sie steht für 1,9 Millionen Mädchen und Frauen, die in der Kriegszeit von sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden sind; sie steht für ein Kind aus einer nationalsozialistischen Familie; sie steht für ein deutsches Leben.

Hannelore Kohls Vater war Mitglied der NSDAP...

Schwan: Er war ein sehr engagierter Antisemit! Man muss es klar benennen: Hannelore stammt aus einer überzeugten Nazi-Familie.

Hat Sie mit Ihnen darüber gesprochen?

Schwan: Nein, das hat sie weitestgehend ausgeklammert, ich musste das alles gründlich recherchieren. Ein Punkt, der mich im Nachhinein auch ein wenig irritiert hat. Man hat mich mal gefragt: «Welche Fragen würden Sie Hannelore Kohl stellen, wenn Sie noch lebte?» Meine klare Antwort: Ich würde mich mit ihr über ihr Elternhaus unterhalten. Sie hat mir ihren Vater, den sie abgöttisch geliebt hat, immer als hochintelligenten, genialen Ingenieur dargestellt - völlig unpolitisch. Der Tod des Vaters 1952 war für Hannelore ein ganz schwieriger Einschnitt, eine Zäsur. Ich weiß leider nicht, was sie über die Nazi-Vergangenheit ihres Vaters gewusst hat.

Es gibt verschiedene Versionen zum Entstehungsprozess des Buches. Peter Kohl betont, er habe es abgelehnt mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Sie dagegen sagen das Gegenteil. Man könnte den Eindruck gewinnen, es ginge hier um einen Machtkampf.

Schwan: Als ich mit den Recherchen zu meinem Buch begann, im Frühjahr 2010, habe ich die Söhne eingeladen. Ich habe mich mit beiden getroffen. Sie sollten mir ihre Sicht der Dinge erläutern und somit als Zeitzeugen für mein Buch zur Verfügung stehen. Ich habe monatelang immer wieder mit Ihnen gesprochen, habe ihnen auch einen Fragenkatalog vorgelegt. Bis zur Selbstverleumdung habe ich ihnen zugesichert, dass sie jedes noch so kleine Zitat anschließend vorgelegt bekommen. Während der ersten Gespräche, die ich selbstverständlich auf Tonband aufgezeichnet habe, ist Walter Kohl plötzlich zusammengebrochen, er hat geweint, und dann auch bestätigt, dass seine Mutter im Krieg vergewaltigt worden ist. Er hat sogar noch deutlich mehr bestätigt, aber darüber möchte ich nicht reden. Es ging denen doch nur um einen einzigen Punkt: Die Söhne wollten entscheiden, was gedruckt wird, sie wollten die Deutungshoheit über die Mutter mit aller Macht behalten. Sie sind so autoritär, das kann man sich gar nicht vorstellen. (Diese Passage musste wegen einer Unterlassungserklärung gestrichen werden) So war es wirklich. Leider sind in diesen Tagen viele Lügen im Umlauf.

Ein schweres Wort - nennen Sie bitte ein Beispiel.

Schwan: In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat Peter Kohl vor kurzem behauptet, der Justitiar des Heyne Verlags habe sich bei ihm gemeldet, um Rechercheergebnisse zu besprechen, also: zu prüfen, ob die Dinge auch stimmen, die ich geschrieben habe. Es war aber genau umgekehrt! Beide Söhne haben den Mann vor Erscheinen meines Buches mehrmals angerufen und vor einer Veröffentlichung gewarnt. Das ist die reine Wahrheit. Der Justitiar des Heyne Verlags würde ihnen das bestätigen.

Die Söhne werfen Ihnen unter anderem handwerkliche Fehler vor - es ist von fehlenden Quellen die Rede...

Schwan: Das ist doch dummes Geschwätz! Jeder, der mein Buch gelesen hat, sieht, dass ich alles belegt habe. Ich bin rein wissenschaftlich vorgegangen, ich habe auch mögliche Überlieferungen nur dann erwähnt, wenn sie mindestens von zwei, drei Leuten bestätigt worden sind. Ich habe kein Geschwätz der Söhne irgendwo niedergeschrieben - wo käme ich da auch hin?

Gibt es überhaupt diese eine Wahrheit über Hannelore Kohl?

Schwan: Die Sicht der Söhne auf die Mutter ist eine andere als die eines Historikers, der von außen kommt. Die Söhne wissen doch gar nicht, wie intensiv meine Beziehung zu ihren Eltern war; sie haben null Ahnung, was in den letzten Monaten vor Hannelores Tod gelaufen ist. Die Mutter hatte ihre Söhne doch apolitisch erzogen, weg von der Politik, sie sollten nichts riechen, nichts atmen, nichts spüren von den politischen Vorgängen im Hause. Ihre große, fast erdrückende Fürsorglichkeit war sicherlich ein schwerer Fehler. Helmut Kohl hat mal gesagt, seine Söhne seien noch im Erwachsenenalter, also auch im Beruf, politische Kleinkinder gewesen - «die haben mit Politik nichts am Hut», sagte er. Was sein Sohn Walter heute alles behauptet, ist zum großen Teil schlicht Blödsinn.

Laut Familie Kohl soll es den von Ihnen geschilderten ersten Selbstmordversuch Hannelore Kohls im Jahr 1993 nie gegeben haben.

Schwan: Unsinn. Ich habe alles belegt, es gibt Überlieferungen von Zeitzeugen. (Diese Passage musste wegen einer Unterlassungserklärung gestrichen werden)

Es ist aber ein Schmerzensgeld geflossen...

Schwan: Na bitteschön! Das schließt doch den Selbstmordversuch nicht aus! Die Versicherung des Arztes hat gezahlt, richtig. Das war ein Vergleich, ganz einfach. Was glauben Sie denn? Die Versicherung wollte sich doch nicht mit der Kanzlergattin anlegen; die Herrschaften zahlten doch stattdessen lieber ein paar tausend Mark. Meinung gegen Meinung - so war es damals. Und noch ein Satz zum Arzt: Hannelore Kohl war schon sehr, sehr lange bei ihm in Behandlung. Er wusste genau, dass sie kein Penicillin verträgt. Es ist pervers anzunehmen, dass dieser gute Mann einen Fehler gemacht hat. Das alles war nur ein Versuch, um von dem Selbstmordversuch abzulenken. Keiner der Söhne hat sich je zu diesem Arzt gewagt. Von einem Tag auf den anderen wurde er zur Persona non grata erklärt. Die Menschen, die wirklich Bescheid wissen, bestätigen, dass Hannelore Kohl gesagt hat: «Ich tue mir jetzt was an - ich will nicht mehr.» Um ein Haar wäre dieser Selbstmordversuch ja auch gelungen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, die CDU-Spendenaffäre sei der Hauptgrund für Hannelore Kohls Selbstmord gewesen - weshalb sind Sie sich da so sicher?

Schwan: Es gibt verschiedene Gründe, warum sich Hannelore Kohl am 5. Juli 2001 umgebracht hat. Die Spendenaffäre war für sie ein tiefer Stich in die Seele. Dass ihr Mann und die Familie so in den Dreck gezogen wurden, sie selbst angespuckt und als Spendenhure bezeichnet wurde, das alles hat sie psychisch kaputt gemacht. Das war sicherlich der äußere Anlass für ihre Entscheidung. Man muss also sagen: Die Spendenaffäre hat ein Menschenleben gefordert. Hinzu kam natürlich ihre tiefe Depression - unter der häufig genannten Lichtallergie litt sie dagegen nicht. Zwar hatte sie subjektiv daran geglaubt - sie war fest davon überzeugt, unheilbar krank zu sein -, objektiv war da jedoch nichts dran. Das haben mir alle Dermatologen, die sie behandelt haben, bestätigt. (Diese Passage musste wegen einer Unterlassungserklärung gestrichen werden) Und natürlich war da auch noch die Frage nach dieser jungen Frau, die mit Helmut Kohl in Berlin zusammen war. Hannelore Kohl konnte einfach nicht mehr.

Dr. Heribert Schwan ist Autor des Buches Die Frau an seiner Seite - Leben und Leiden der Hannelore Kohl (erschienen im Juni im Heyne-Verlag). Klicken Sie sich hier durch die wichtigsten Fakten aus der Biografie.

car/news.de