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Mercedes W123: Der Unkaputtbare

Die meisten Sammeltaxis in Marokko sind Mercedes W123, denn sie fahren, fahren, fahren. Bild: pi

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Die Rückbank von Mohammeds Mercedes ist so durchgesessen, dass man Angst hat, gleich mit dem Allerwertesten über den Asphalt zu schliddern. Auch von außen sieht man dem verbeulten Benz sein Alter an: Der rechte Scheinwerfer ist blind, am verbogenen Kühlergrill kleben weiße Reflektoren, an den Außenspiegeln pappen verblichene Deutschland-Aufkleber. Den Innenraum hat sich Mohammed mit Teppichen und allerlei Zierrat behaglicher gemacht. «Diese Autos kriegt man einfach nicht kaputt», sagt der Taxi-Fahrer, der im marokkanischen Fez mit seinem Mercedes 240 D die ganze Familie ernähren muss.

Das Auto leistet 65 PS und braucht aus dem Stand eine halbe Minute bis Tempo 100. Der Vorkammer-Dieselmotor nagelt unwirsch vor sich hin. Das zulässige Gesamtgewicht von 1,9 Tonnen ist für den 1,4 Tonnen schweren Wagen eher ein theoretischer Wert. Mit einem halben Dutzend Passagieren plus Gepäck ist er hoffnungslos überladen, aber genau das ist der natürliche Fahrzustand eines marokkanischen Sammeltaxis. Fast alle Autos sind vom Typ Mercedes W123, und manche von ihnen haben mehr als eine Million Kilometer auf dem Tacho.

Tausende Kilometer weiter westlich in Berkeley, Kalifornien, tankt Melissa Hardy ihren fast 30 Jahre alten Mercedes auf. Auch Melissas Wagen ist ein W123. Ein dicker Turbodiesel-Schriftzug prangt auf der Heckklappe der champagnerfarbenen Limousine. Doch es ist kein normaler Diesel, der da in den Tank sprudelt. Melissa ist eine von fünf Besitzerinnen der «BioFuel Oasis», der ungewöhnlichsten Tankstelle Kaliforniens. «Wir verkaufen ausschließlich Biodiesel, der im Umkreis von 200 Meilen aus gebrauchtem Frittenfett hergestellt wird», erklärt Melissa.

Biblische Kilometerleistung

Und der [tt=Ein Youngtimer ist ein Liebhaberfahrzeug, das aufgrund seines Alters noch kein Oldtimer ist.]Youngtimer W123 ist bei den alternativen Diesel-Freunden besonders beliebt. Mohammed und Melissa stehen exemplarisch für eine bunte weltweite Fangemeinde, die diese Baureihe bis heute hat. Der W123 ist nicht so wertvoll wie ein 300 SL, nicht so elegant wie eine Pagode und nicht so barock wie ein Ponton-Benz. Trotzdem war die gemütliche Mercedes-Limousine, die Ende 1975 erstmals vom Band rollte, ein Meilenstein - und das nicht nur wegen ihrer oftmals biblischen Kilometerleistungen.

Die Limousine trat Mitte der 70er Jahre ein schweres Erbe an. Die Baureihe 114/115 (Strich-Acht) hatte sich nach anfänglich starkem Rostbefall zum soliden Brot-und-Butter-Benz mit langen Lieferfristen gemausert. Sie wurde bis Ende 1976 sogar noch ein Jahr lang parallel mit dem Nachfolgemodell gebaut, unter anderem deshalb, weil das Taxigewerbe darum gebeten hatte. Der W123 wuchs gegenüber seinem Vorgänger ein gutes Stück in die Länge, doch die 4,7 lange und 1,7 Meter Limousine brachte mit 1,39 Tonnen nicht mehr auf die Waage als ein Kompaktwagen von heute.

Das Basismodell 200 hatte einen Vierzylinder-Vergasermotor mit 94 PS unter der Haube und kostete im Januar 1976 exakt 18.400 D-Mark. Geschaltet wurde mit einem manuellen Vierganggetriebe (fünf Gänge ab 1982), wobei der Schalthebel entweder in der Wagenmitte oder nach alter Väter Sitte am Lenkrad angebracht war. Für einen satten Aufpreis stand ein Automatikgetriebe zur Verfügung, und das war der hakeligen Handschaltung auch unbedingt vorzuziehen.

Schon beim Strich-Achter war das Design nicht gerade aufregend gewesen, der W123 konnte den Ruhepuls seines Fahrers ebenfalls nicht wesentlich erhöhen. Aber der Wagen sollte ja gerade ein Ruhepol sein, sozusagen die deutsche Eiche der Verlässlichkeit in den knallbunten, aber turbulenten 1970er Jahren. Vielleicht ist das der Grund, warum der große Benz ein Kultmobil geworden ist, das alle Strömungen wie ein Fels in der Brandung überdauert hat. Die Designer konnten sogar einige Relikte der 1960er Jahre zum W123 hinüber retten wie die in Wagenfarbe lackierten Radzierblenden mit verchromten Ringen.

Unter der Haube hätte der Wagen durchaus eine Innovation werden können, denn Ende der 60er Jahre experimentierte Mercedes mit Wankelmotoren. Mit dem Supersportwagen C111 als Sympathieträger wollte die Marke mit dem Stern den Wankel groß rausbringen. Der Rotationskolbenmotor hatte eine grandiose Laufruhe und viel Power, er war aber leider ein Säufer. Nach der Ölkrise 1973 war es deshalb vorbei mit dem Wankel, und der W123 bekam gewöhnliche Hubkolbenmotoren.

Gefördert durch den Benzinpreisschock, setzte sich schließlich der Dieselmotor auf breiter Front durch. Den «Wanderdünen» 200 D und 240 D folgte der Turbodiesel 300 TD mit 125 PS. Der war zwar ein Quantensprung in Sachen Agilität, aber auch kein Kostverächter. Der 300 TD genehmigte sich im Schnitt 14 Liter pro 100 Kilometer, der 200 D nur 9,5 Liter. Den Turbolader musste man sich außerdem etwas kosten lassen, nämlich 6000 Mark extra - rund die Hälfte dessen, was man Anfang der 1980er für einen neuen VW Golf auf den Tisch legte.

Wer noch 3000 Mark übrig hatte, konnte dem Mercedes ab 1982 sogar ein Antiblockiersystem spendieren. Neben technischen Neuerungen gönnte Mercedes seinem großen Mittelklässler ein paar neue Kleider. Das Coupé 230 C erschien 1977, ging aber nicht unbedingt als elegantestes Coupé mit Stern auf der Haube in die Geschichte ein. Auch nicht gerade in Hingucker, aber für viele Käufer eine willkommene Ergänzung der Palette war die Kombiversion (T-Modell). Die war in Mercedes-Vorstandskreisen zunächst höchst umstritten, man fürchtete mit diesem Lieferantenauto um das Image der Marke.

Doch das «Tourismus & Transport»-Modell des gemütlichen Benz hob sich mit einem schick eingerichteten Gepäckabteil und optionaler Niveauregulierung deutlich genug von Passat und Co. ab. Im November 1985 wurde der W123 in Rente geschickt, nach fast 2,7 Millionen gebauten Autos standen die Bänder still. Mehr als eine Million Fahrzeuge gingen in den Export. Das erfolgreichste Modell war der 240 D mit mehr als 450.000 Exemplaren, gefolgt vom 230 E.

In der Produktionszahl übertraf die Baureihe sogar ihren Vorgänger: Der Strich-Achter lief nur 1,9 Millionen mal vom Band. Es ist fraglich, ob jemals ein Benz wieder als derart unverwüstlich gelten wird wie der W123. Taxifahrer Mohammed aus Fez jedenfalls kann sich den Wechsel auf ein modernes Gefährt nicht vorstellen: «Wer weiß, vielleicht wird mich mein Auto sogar überleben.»

bok/sgo/news.de/pi