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Beschädigte Nord-Stream-Pipelines: Experten vermuten Sabotage! Jetzt ermittelt die Bundesanwaltschaft

Nachdem an den Nord-Stream-Pipelines 1 und 2 insgesamt vier Gaslecks aufgetreten sind, wird über die Ursache spekuliert. EU und Nato vermuten einen Sabotage-Akt. Russland weist jegliche Verantwortung zurück. Die Bundesanwaltschaft ermittelt nun.

Dieses Bild zeigt das Gasleck an der Pipeline Nord Stream 2 in der Ostsee nahe der dänischen Insel Bornholm. (Foto) Suche
Dieses Bild zeigt das Gasleck an der Pipeline Nord Stream 2 in der Ostsee nahe der dänischen Insel Bornholm. Bild: picture alliance/dpa/Danish Defence Command | -

Rätselraten um drei Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2: Die Europäische Union vermutet eine Sabotage-Aktion, der Kreml weist jegliche Verantwortung zurück und beschuldigt nun stattdessen die USA. Was oder wer steckt wirklich hinter den mysteriösen Vorfällen in der Ostsee?

Lecks an Nord Stream 1 und 2: War es Sabotage durch Russland?

Das war passiert: Insgesamt drei Lecks waren - nach einem ersten Druckabfall in der Nacht zum Montag - sowohl in einer der Röhren von Nord Stream 2 wie auch in beiden Röhren der Nord-Stream-1-Pipeline entdeckt worden. Es gab Berichte über Detonation unter Wasser nahe der dänischen Insel Bornholm. Mittlerweile hat die Schwedens Küstenwache ein viertes Leck an den Pipelines gefunden, wie unter anderem "t-online" berichtet. Bereits am Dienstag war in Polen, Schweden, Dänemark und Russland ein Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden an beiden Pipelines als für denkbar gehalten worden. Auch aus Sicht deutscher Sicherheitskreise sprach vieles für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des Aufwands nur ein staatlicher Akteur infrage kommen, hieß es.

EU und Nato gehen von Sabotage an Pipelines in der Ostsee aus

Die Europäische Union hält Sabotage als Ursache für die Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 für wahrscheinlich und hat mit Gegenmaßnahmen gedroht. "Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch im Namen der 27 Mitgliedstaaten. Jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur werde "mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet werden". Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von Sabotage.

Bundesanwaltschaft ermittelt nach Lecks an Ostsee-Gaspipelines

Nach den Explosionen an den Nord-Stream-Gasröhren in der Ostsee ermittelt nun die Bundesanwaltschaft. Das teilte ein Sprecher der Behörde am Montag, dem 10.10.2022, in Karlsruhe mit.

Wer steckt hinter den Lecks an Nord Stream 1 und 2?

Laut "Bild" könnten Taucher des russischen Militärgeheimdienstes GRU hinter der möglichen Sabotage-Aktion stecken. Fregattenkapitän a. D. Jürgen Weber, ehemaliger U-Bootfahrer in der Ostsee, sagte dem Boulevardblatt: "Als eines der gerade heute wieder bestbewachten Seegebiete überhaupt kann ein solcher Vorfall nur von absoluten Spezialisten verübt worden sein. Eine nicht bestens ausgestattete Terrorgruppe ist bei den Tauchtiefen von bis zu hundert Metern kaum vorstellbar. Die Vorfälle gerade in den dänischen Hoheitsgewässern lassen aufhorchen, weil es sowohl von den Dänen auf Bornholm als auch von der Aufklärung unter Wasser leicht bemerkt hätte werden müssen." GRU sei nach "Bild"-Informationen für Anschläge in großen Tiefen trainiert und auch engstens eingebunden in die Überwachung der Pipeline. Weiterhin auffällig laut "Bild": Die Russen sollen trotz bester Überwachung nichts von den Anschlägen bemerkt haben, was Experten für unwahrscheinlich halten.

Moskau verdächtigt Washington der Anschläge auf Pipeline Nord Stream

Die russische Führung hat eine Aufklärung der mutmaßlichen Sabotage an der Ostseepipeline Nord Stream gefordert und die USA als Hauptverdächtigen dargestellt. "Es ist aber offensichtlich, dass der Hauptnutznießer (der Pipeline-Explosionen), vor allem wirtschaftlich, die USA sind", sagte der Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, der Nachrichtenagentur Interfax zufolge am Freitag auf einer Sitzung mit den Geheimdienstchefs der GUS-Staaten.

Patruschew warf dem Westen vor, sofort nach Bekanntwerden der Lecks eine Kampagne gegen Russland gestartet zu haben. Daher sei es nötig, die Kooperation der Geheimdienste innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), ein loser Staatenverbund ehemaliger Sowjetstaaten, zu vertiefen und die "Auftraggeber und Erfüllungsgehilfen des Verbrechens" zu enthüllen.

Patruschew sprach sich bei der Sitzung zudem dafür aus, gemeinsam gesetzlich gegen vom Westen kontrollierte Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Medien vorzugehen. Dies diene unter anderem dazu, Revolutionen zu vermeiden. "Russland hat die entsprechende Erfahrung und ist bereit, sie zu teilen", bot er an. Russland hat in den vergangenen Jahren konsequent, die Pressefreiheit eingeschränkt und eine immer größere Anzahl von NGOs verboten. Patruschew, einst russischer Geheimdienstchef, gilt als langjähriger Vertrauter von Kremlchef Wladimir Putin.

TÜV-Experte hält Reparatur der Pipelines für möglich

TÜV-Experte Hermann Dinkler erklärte jetzt in der "Bild" ebenfalls, das ein Unfall ausgeschlossen sei. "Pipelines gehören zu den sichersten Transportmitteln für Gase und Flüssigkeiten überhaupt. Die Rohre der Pipelines bestehen aus verformbaren Stahl, der zusätzlich mit Zement ummantelt ist." Weiterhin sagte er:"„Daher kommt nur gezielte Sabotage in Frage, insbesondere bei drei nahezu gleichzeitig auftretenden Lecks an drei von vier Röhren." Er halte eine Reparatur der Pipelines grundsätzlich für möglich.

Auch der Sicherheitsexperte Johannes Peters hält es für "relativ unwahrscheinlich", dass die Schäden an den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 durch einen Unfall entstanden sein könnten. Vielmehr vermute er Russland hinter dem mutmaßlichen Sabotageakt. "Das wirkt vordergründig natürlich etwas widersinnig, die eigenen Pipelines zu zerstören", sagte der Experte vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin". Es gebe aber durchaus gute Gründe dafür.

Ein Grund sei sicherlich, ein "starkes Signal" an Europa zu senden, vor allem an Deutschland und Polen, dass man dasselbe auch mit Pipelines machen könnte, die für unsere Versorgungssicherheit deutlich wichtiger seien, etwa die Pipelines aus Norwegen: "Also seid euch mal nicht so sicher, dass ihr für den Winter gut aufgestellt seid und dass ihr in der Lage seid, unser Gas zu kompensieren."

Ein weiterer möglicher Grund für einen möglichen russischen Sabotageakt sei, dass man im Winter "die noch intakte Nordstream-2-Röhre dazu nutzen kann, um Druck auf Deutschland zu erhöhen, wenn beispielsweise der innenpolitische Druck auf die Regierung wachsen sollte, weil die Gaspreise hoch sind, weil wir vielleicht doch nicht genügend Gas haben für den Winter." Dann könnte Russland anbieten, durch die intakte Leitung doch noch Gas zu liefern. Dafür müsste Deutschland aber "aus dem westlichen Sanktionsregime ausscheren."

Die ebenfalls verbreitete These, dass die USA die Lecks verursacht haben könnten, "um zu verhindern, dass Europa in einem kalten Winter doch zu den Russen zurückfindet", hält Peters indes für nahezu ausgeschlossen.

Wie schwer ist Sprengen unter Wasser?

Sprengen unter Wasser ist kein Hexenwerk, vor allem wenn es - wie in der Ostsee - nicht um große Tiefen geht, schreibt die Deutsche Presse-Agentur. Militärtaucher aller Nationen seien darin geübt. So werden Seeminen eines möglichen Gegners in der Regel unter Wasser kontrolliert gesprengt, nicht entschärft. Auch zivile Sprengschulen bieten eine solche Ausbildung an, ebenso Zivilschutzbehörden wie im Falle Deutschlands das Technische Hilfswerk (THW). Prinzipiell ist aber bei einer Pipeline mindestens noch ein zweites Verfahren zur Zerstörung denkbar, sagen Technikexperten. Die Röhre wird mit einem "Molch" gewartet, einem ferngesteuerten Reinigungsroboter, der mit Sprengstoff bestückt werden kann, sofern Täter Zugang zu dem System haben. Bei der Beobachtung gegnerischer U-Boote würde auch das durch dei Marine erstellte "Unterwasserlagebild" an Grenzen stoßen.

Grundsätzlich möglich ist es auch, dass Gegner Russlands und dieser Gasröhren dem Treiben Moskaus ein Ende setzen wollten. Europäische Regierungen halten sich derzeit kurz nach dem Fall mit Schuldzuweisungen zurück. Die CIA hatte schon im Juni vor einem möglichen Angriff auf die Gas-Pipelines gewarnt.

Kreml weist Verantwortung zurück und fordert gemeinsame Aufklärung

Der Kreml hat Vorwürfe einer angeblichen Verantwortung Russlands für die Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 als "dumm und absurd" zurückgewiesen. "Es ist ziemlich vorhersehbar und vorhersehbar dumm und absurd, solche Annahmen zu treffen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch nach Angaben der Agentur Interfax. In der Ukraine gab es Vorwürfe, Russland habe die Pipelines gezielt sabotiert, um die Energiekrise in Europa zu verschärfen und Panik vor dem Winter auszulösen.

Peskow forderte zur Aufklärung der Vorfälle eine Beteiligung Russlands. Die Situation erfordere "einen Dialog und die operative Zusammenarbeit aller Seiten", um die Ursache der Lecks so schnell wie möglich aufzuklären und den entstandenen Schaden zu schätzen. "Im Moment sehen wir den absoluten Mangel an einem solchen Dialog."

Peskow erklärte, dass Russland nicht an einem Ende des Gasflusses durch die Nord-Stream-Pipelines interessiert sei. Die Schäden seien auch für Russland ein großes Problem. Beide Stränge von Nord Stream 2 seien mit Gas gefüllt. "Dieses Gas kostet viel Geld, und jetzt entweicht es in die Luft."

Russische Medien vermuten USA hinter Attacken auf Nord-Stream-Pipelines

Einem russischen Medienbericht zufolge könnte ein US-Hubschrauber an den Lecks in den beiden Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 beteiligt sein. "Der Mehrzweck-Helikopter MH-60R Strike Hawk hat neun Stunden lang - von 19:30 Moskauer Zeit am Sonntag dem 25. September bis 4:30 Uhr Moskauer Zeit am Montag dem 26. September über der Ostsee gekreist; etwa 250 Kilometer von der dänischen Insel Bornholm entfernt, wo der Gasaustritt festgestellt wurde", schrieb die Internetzeitung lenta.ru am Mittwoch unter Berufung auf Daten von Flightradar. Der Kampfhubschrauber könne unter anderem auch Unterwasserziele bekämpfen, betonte das als kremlnah geltende Medium.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft leitete wegen der mutmaßlichen Sabotage an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 ein Verfahren wegen internationalen Terrorismus eingeleitet. "Nicht später als am 26.09.2022 wurden im Bereich der Insel Bornholm vorsätzliche Handlungen zur Beschädigung der auf dem Ostseeboden verlegten Gasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 verübt", teilte die russische Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch auf ihrem Telegram-Kanal mit. Moskau begründete den Schritt damit, dass mit der Beschädigung der Pipelines "Russland erheblicher wirtschaftlicher Schaden zugefügt" worden sei. Moskau hat zudem eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu der Frage gefordert.

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/hos/news.de/dpa

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