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Coronavirus-Pandemie aktuell: Warum sträubt sich Deutschland gegen die Herdenimmunität?

Im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie stellt der Fokus auf die sogenannte Herdenimmunität einen Weg dar, die Seuche in den Griff zu bekommen. Doch im Vergleich zu Social Distancing hat der Ansatz einen tödlichen Haken.

Im Kampf gegen das Coronavirus fordern viele den Weg über die Herdenimmunität. Doch dieser Weg hätte fatale Folgen. (Foto) Suche
Im Kampf gegen das Coronavirus fordern viele den Weg über die Herdenimmunität. Doch dieser Weg hätte fatale Folgen. Bild: CREATIVE WONDER/AdobeStock

Der Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus schränkt die Menschen seit Wochen in ihrem Alltag enorm ein. Neben dem Verlust ihrer persönlichen Freiheit beklagen viele die wirtschaftlichen Folgen, die der Lockdown nach sich ziehen könnte und wird. Doch wie sähen die Alternativen, zum Beispiel eine systematische Durchseuchung und das Erreichen einer Herdenimmunität aus?

Kampf gegen Corona durch aktive "Durchseuchung" der Bevölkerung

Viele fordern, auf die sogenannte Methode der "Durchseuchung" zu setzen, bei dem nur vulnerable Gruppen wie hochbetagte und vorgeschädigte Menschen geschützt werden sollen und der Rest der Bevölkerung sich ganz normal draußen bewegen kann. Zwischen 60 und 70 Prozent Prozent der Bevölkerung soll sich so nach und nach mit dem Virus anstecken, um eine Herdenimmunität zu erreichen, von der dann auch die vulnerablen Gruppen profitieren würden. Doch die Rechnung geht nicht auf, wie die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie vorrechnet.

Immunität nach Erkrankung ist noch nicht sicher

Zu allererst ist zu erwähnen, dass es noch keineswegs sicher ist, dass Menschen, die einmal mit dem Sars-CoV-2-Erreger infiziert waren, für immer immun bleiben. Wie die "Süddeutsche Zeitung berichtet", sind in Südkorea 91 Menschen, die bereits an Covid-19 erkrankt und genesen waren, erneut positiv auf den Erreger getestet worden, und waren auch wieder ansteckend.

Laut Virologe Gunther Hartmann, der an den Heinsberg-Studien unter Leitung von Hendrik Streeck mitgearbeitet hat, sagte in der Pressekonferenz, dass die Immunität nach derzeitigem Forschungsstand nur zwischen sechs und 18 Monaten betrage.Sei dies der Fall, bringt eine Durchseuchung der Gesellschaft also bis auf jede Menge Tote nichts.

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50 Millionen Deutsche müssten sich infizieren

Zwar ist das Virus und die hervorgerufenen Atemwegserkrankung Covid-19 für junge, nicht vorerkrankte Menschen meist ungefährlich, doch auch sie können und werden an dem Virus sterben. Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erklärte der InfektiologeGerd Fätkenheuer, wie das Durchseuchungs-Szenario aussehen würde: "Für eine Herdenimmunität müssten 60 bis 70 Prozent der Menschen die Infektion durchgemacht haben, das sind in Deutschland rund 50 Millionen Menschen." Die Zahlen bezieht er vom "Imperial College of London", das wie viele andere Institutionen genaue Berechnungen der Szenarien durchgeführt hat.

Hunderttausende Menschen unter 60 würden sterben

So weit, so gut, dann stecken sich eben die jungen und gesunden Menschen an ... Doch auch Menschen unter 60 können unter schweren Verläufen von Covid-19 leiden und sogar daran sterben. "Wir sehen das ja in der Klinik", sagtder Infektiologe der "SZ" und führt an: "Wenn wir die Infektionen so laufen lassen, werden auch in der Gruppe der unter 60-Jährigen 100 000 Menschen sterben, binnen kurzer Zeit." Er versteht, dass das derzeit schwer vorstellbar sei, doch das seien nun einmal die statistischen Zahlen, die man beim Durchrechnen einer sogenannten Durchseuchung bekommt.

Empfehlungen der Leopoldina finden Anklang bei Medizinern

Stattdessen sollte man sich, so meint Fätkenheuer, auf das 19-seitige Empfehlungspapier der "Leopoldina", der Nationalen Akademie der Wissenschaften berufen, die unter anderem auf großflächiges Testen, auf die Nachverfolgung der Neuinfiektionen sowie auf eine Art Smart Distancing mithilfe von Schutzmasken und Abstandhalten setzt.

Je weniger sich anstecken, desto weniger werden sterben

Je länger wir weitere Ansteckungen herauszögern können, "desto weniger Menschen sterben, bevor ein Impfstoff verfügbar ist", erklärt der Infektiologe. Und je weniger Menschen sterben, desto schneller wird die Wirtschaft nach der Pandemie wieder auf die Beine kommen können.

Schutz der vulnerablen Gruppen wegen Spillover-Effekt nicht möglich

Die Bundeskanzlerin nannte ein Abschotten der Alten und Kranken in der Pressekonferenz am Mittwoch "ethisch nicht vertretbar". Abgesehen von den Menschen unter 60, die bei einer Durchseuchung sterben würden, ist ein systematisches Schützen der vulnerablen Gruppen laut Einschätzung des Experten auch kaum möglich.

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Denn ältere und pflegebedürftige Personen werden meist von jüngeren Menschen versorgt, - seien es Familienmitglieder, Physiotherapeuten oder Krankenpfleger - die den Erreger an die verletzlichen Gruppen weitergeben würden. "Das ist ein Spillover, ein Überschwappen, und es gibt keinen Weg, das bei einer hinreichenden Versorgung der sensiblen Gruppen zu verhindern", so derInfektiologe Gerd Fätkenheuer gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".

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