Von news.de-Redakteurin Isabelle Wiedemeier - Uhr

Schausteller: Wenn sich das Leben einfach ergibt

In Schuberts Nostalgieriesenrad ist es immer noch ein bisschen 1902. Vor 107 Jahren drehte sich das Rad mit den gestreiften Baldachinen zum ersten Mal. Die Kinder lieben es immer noch. Und Familie Schubert liebt ihr Leben.

Andrea Schubert mag ihren Arbeitsplatz auf dem Striezelmarkt. (Foto) Suche
Andrea Schubert mag ihren Arbeitsplatz auf dem Striezelmarkt. Bild: news.de

Vierfünfzig. Ein Kind, ein Erwachsener. In Schuberts Nostalgieriesenrad rollen Kinderaugen und Elternherzen noch gemeinsam über den Striezelmarkt in Dresden. Wieder und wieder klimpert Andrea Schubert den Betrag in ihre grob gezimmerte blaue Holzlade, fischt den Fuffziger Wechselgeld raus und erzählt dazu mit ihrer warmen Stimme von den Riesenradschuberts.

Sie ist gleich rübergerückt in dem engen Kassenhäuschen. Muckelig ist es hier drinnen, der kleine Heizer pustet unten rechts aus der Ecke, und links strahlt Frau Schubert Wärme ab. Ob Schausteller heutzutage aus der Zeit gefallen sind, soll der Besuch klären, aber diese Frau in der lila Steppweste ist zu präsent für die These und entwaffnet mit ihrer Fröhlichkeit gleich auch die Frage nach dem harten Schaustellerleben.

Beantworten soll sie sie trotzdem. Natürlich sei alles stressiger geworden, angefangen haben sie ja noch zu DDR-Zeiten, und heute ist der Kampf um gute Plätze härter und vor allem: alles so teuer. Diesel für die drei Transporter, Strom, Standgebühren, Tüv, Gema. Und die Leute - heute? Sie kommen, aber sie fahren weniger, einmal statt dreimal, erzählt Andrea Schubert, ohne deshalb bedrückt zu wirken. Vierfünfzig für ein Kind und einen Erwachsenen – ob das zu viel sei?. Naja, man ist daran gewöhnt, dass Karussells teuer sind. «Die Kosten sind explodiert», scheint Andrea Schubert sich rechtfertigen zu wollen. Damals kostete die Fahrt 50 Pfennige - Ost.

Aber die Kinderaugen spielen auch für Vierfünzig ihre Rolle und bliitzen durch die Glasscheibe ins Kassenhäuschen. Als die Gondel dann überm Striezelmarkt Schräglage bekommt, verkünden auch Jonas und Lukas, dass sie es ganz schön teuer finden. Dabei hätten sie sich gerade noch mal durchgemogelt, verkündet Jonas. Andrea Schubert hat ihm nur vier Euro abgeknöpft, obwohl er schon zwölf ist und sein Bruder zehn - und ab zehn Jahren kostet die Fahrt eigentlich zweifünfzig. «Da bin ich nicht so», sagt sie und schiebt den Euro rüber.

Ob ihr Leben hart ist, darüber denkt Andrea Schubert nicht nach. Sie sagt den typischen Satz, «ich kenne es ja nicht anders». Es ist ja ihr Leben, seit sie sich in den Bernd Schubert aus ihrem Dresdner Dorf, Altmobschatz, verliebte, mit dem sie schon zur Schule ging. Von ihrer Arbeit als Veredlungstechnikerin für Jeans Abstand zu nehmen, war wohl nicht schwer – sie lacht nur über die lustige DDR-Berufsbezeichnung.

Als junges Paar sind sie und Bernd mit Drehrad und Würfel über die Rummelplätze getingelt, das war, bevor 1980 das Nostalgieriesenrad der Schaustellerfamilie restauriert wurde, Baujahr 1902. Da kamen auch die beiden Töchter zur Welt, und die Riesenradschuberts hatten ihren Namen wieder verdient. 1992, nach der Wende, stockten sie auf und leisteten sich für 1,5 Millionen D-Mark ein großes Rad, obwohl es ihnen so richtig erst zwölf Jahre später gehörte. Auch Schausteller nehmen Kredite auf, «und die Bank hat nicht gefragt, wie das Wetter war – wenn es schlecht ist, sind für uns schlechte Zeiten», so einfach ist das. Sieben gute, sieben schlechte Jahre, sagt die Schwiegermutter immer.

Warum Schuberts ihre Farben ändern mussten

Bis hinters Häuschen reicht jetzt die Schlange, der Striezelmarkt benimmt sich bislang, dem Wetter sei Dank. Denn der Weihnachtsmarkt ist ganz wichtig im Jahreskreis der Schausteller. Hier sind die Standgebühren niedrig, und sie können nochmal die Kassen fluten, bevor bis zum März Ebbe ist. Den Platz auf dem Striezelmarkt haben Schuberts zum ersten Mal ergattert, das funktioniert wie überall in der Wirtschaft, Ausschreibung und Zuschlag. «Wir sind dankbar, dass sie Einheimische begünstigt haben», sagt Andrea Schubert. So rollen beide Räder, denn ihr Mann Bernd steht mit dem großen am Goldenen Reiter.

20 bis 30 Rummel fahren sie im Jahr an, «manchmal weiß ich morgens im Wohnwagen nicht, wo ich aufwache», erzählt sie und freut sich drüber. «Nee, das stört mich nicht.» Was zehrt, ist das ständige Auf- und Abbauen, vor allem, wenn es nur für ein Wochenende ist. Der Winter dann, zuhause, ist zum Reparieren da und für die Tourplanung.

Momentan schlafen sie schon jede Nacht im eigenen Bett, auf ihrem Dreiseitenhof in Cossebaude. Auf solchen Höfen leben auch moderne Aussteiger gern mal für ein paar Jahre. Um 6.30 Uhr steht Andrea Schubert auf, betreut ihre Enkelin, macht klar Schiff zuhause und ist ab 10 Uhr auf dem Markt. Dann schiebt ihr Neffe das Rad an, immer zehn Runden pro Fahrt, «das hat er im Gefühl». Schausteller sind Familienmenschen, und Personal zu finden für die Montage ist schwierig. «Es gibt niemanden, der das Leben mitmachen will.» Nur polnische Saisonarbeiter, die über die Arbeitsagentur kommen, sind froh über jedes Einkommen.

Auch die Töchter hielt es nicht lange in ihren sesshaften Berufen. Nach der Lehre als Kosmetikerin und Friseurin hat es beide wieder in den Wohnwagen gezogen. «Die Gene? Naja. Das hat sich so ergeben», meint ihre Mutter. Imbissbuden haben die beiden, eine Tochter steht gleich ein paar Holzhäuschen weiter mit Brottaschen, da holt sich Andrea Schubert schnell ihr Mittagessen. Denn zwischen 10 und 21 Uhr ist ihr Platz hier, auf dem halben Quadratmeter Kassenhäuschen an der Holzlade - «klein und kuschelig». Langweilig wird ihr nicht, denn da sind ja immer Leute, jeden Tag ist was anderes und dann sind da ja auch noch die Kollegen. Und das wichtigste:«Wir sind unabhängig.»

Ihre Schublade ist das einzig Blaue, das dem Striezelmarkt getrotzt hat. Blauweiß seien immer die Schubertschen Farben gewesen, erzählt Schubert. «Aber das passte nicht ins Ambiente hier. Also haben sie uns gefragt, ob wir das ändern könnten. Jetzt ist es rot-weiß, und das bleibt auch so.» Eigentlich gefällt es ihr auch besser. Nicht so kalt.

Dass ihre Räder Schubertsche bleiben werden, daran zweifelt sie nicht. Entweder die Töchter oder der Neffe, jemand wird’s schon übernehmen. Denn vielleicht sind die Schausteller doch ein bisschen aus der Zeit gefallen: «Es wird immer weitergehen. Das gab's immer und wird’s immer geben.» Sie sind wohl immun gegen die Zeit.

kat/news.de

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