Von news.de-Redakteurin Katharina Schlager - Uhr

Langzeitstillen: Keine Sperrstunde für Mamas Brust

Nuckelt ein bereits sprechendes Kleinkind noch an der Brust seiner Mama, erntet das Gespann vom Umfeld meist entsetzte Blicke. Dabei hat Langzeitstillen nur Vorteile. Für das Kind und die Mutter. News.de räumt mit den Vorurteilen auf.

Wenn Kinder bereits sprechen können, dann wird Stillen vom Umfeld als obszön empfunden. (Foto) Suche
Wenn Kinder bereits sprechen können, dann wird Stillen vom Umfeld als obszön empfunden. Bild: istockphoto

Die meisten frischgebackenen Mütter nehmen sich vor, ihren Sprößling in den ersten sechs Lebensmonaten zu stillen. Beeinflusst von Ärzten, Hebammen, Ratgeberbüchern und ihrem Umfeld versuchen sie anschließend ihren Nachwuchs der Brust wieder zu entwöhnen. Doch die Kleinen kennen diesen gesellschaftlich vorgegebenen Zeitplan nicht. 

Der Zeitpunkt des Abstillens liegt nur im kulturellen Empfinden begründet, sagt die Hamburger Hebamme Regine Gresens. Längeres Stillen auch noch weit bis ins Kleinkindalter hinein habe weder für das Kind noch für die Mutter irgendwelche Nachteile. Ganz im Gegenteil. Studien hätten ergeben, dass länger gestillte Kinder sowohl sozialer als ihre Altersgenossen als auch besser gegen Krankheiten gewappnet seien.

Die Stillzeit in Deutschland ist sehr kurz. Besonders wenn man über den Tellerrand in andere Kulturen und in die Menschheitsgeschichte blickt. Längerer Zugang zur nährenden Brust ist eigentlich völlig normal. Das durchschnittliche Abstillalter in Deutschland in den Jahren 2003 bis 2006 lag bei 6,9 Monaten.

Abstillen nach Zeitplan

Gresens vermutet, die Ursache dafür könnte hierzulande unter anderem an dem Einfluss der Babykostindustrie liegen. Diese habe etabliert, dass die Einführung der Beikost mit etwa sechs Monaten auch der Beginn des Abstillens sei. «Dann hat man schön nach Plan innerhalb von drei Monaten das Kind von der Brust. Und wenn es noch Milch braucht, dann gibt es ja noch Flaschenmilch», so die Stillberaterin. In vielen Köpfen sei das so drin. Viele denken auch, dass die Muttermilch nach sechs Monaten gar keinen Wert mehr habe. Doch das sei völlig falsch. Die Muttermilch entwickle sogar im zweiten Jahr einen höheren Fettgehalt und versorge die Kleinen neben der Beikost auch weiterhin mit wichtigen Nährstoffen.

Frauen, die sich dafür entscheiden, ihrem Kind länger die Brust zu geben, haben zudem mit Vorurteilen zu kämpfen. So etwa mit dem Vorwurf, sie würden geradezu sexuellen Missbrauch an ihrem Kind betreiben. Dabei, so gibt Gresens zu bedenken, könne man ein Kind gegen seinen Willen gar nicht stillen. «Wenn ein Kind die Brust nicht will, dann kann die Mutter sich auf den Kopf stellen – es ist nichts zu machen.» Von Missbrauch könne somit gar nicht die Rede sein.

Stattdessen: Die Assoziation mit Sexualität rühre wahrscheinlich daher, dass die nackte Brust so sehr sexualisiert sei, dass man sie sich in kaum einem anderen Kontext vorstellen könne. «Wir sehen ständig nackte Brüste», sagt Gresens. «Aber immer im Zusammenhang mit Sex.» Die eigentliche Funktion als Muttermilchspender sei aus dem Bewusstsein fast verdrängt worden. Entblößt die Mutter für ihr bereits laufendes oder sogar sprechendes Kind die Brust, dann werde das manchmal als ekelhaft, obszön und anstößig gesehen, bedauert Gresens.

Reiner Egoismus?

Auch der Vorwurf, dass die anhaltende Stillaktivität gar nicht zum Wohl des Kindes, sondern aus rein egoistischen Beweggründen fortgeführt werde, stehe immer wieder im Raum. Es fühle sich einfach nur richtig an. Dabei geht es ihnen nicht darum, so sehr gebraucht zu werden und unersetzlich zu sein. Denn größere Kinder können auch durchaus mal ein oder zwei Tage ohne die Brust der Mutter auskommen. Einem Wochenende alleine bei Oma stehe somit nichts im Weg. Auch ließen sich Stillen und Berufstätigkeit einfach miteinander vereinbaren.

Die Brust ist bei älteren Kindern auch nicht mehr nur als Nahrungsquelle zu sehen. Das rückt immer weiter in den Hintergrund. Denn sie essen ja bereits Brei oder sogar bei den Eltern mit. Stattdessen sind die Stillmomente emotionale Nahrung. So könnte das Stillen etwa Teil des Zu-Bett-Geh-Rituals oder Trost werden.

Es gibt kein ideales Abstillalter. Die meisten Kinder verlieren zwischen zwei und vier Jahren von ganz alleine das Interesse an der mütterlichen Brust. Wann der Zeitpunkt gekommen ist, müsse ganz individuell erkannt werden. Eine Obergrenze gebe es nicht. Idealerweise entscheidet dies der Nachwuchs. Doch nicht nur die Bedürfnisse des Sprößlings sind wichtig, sondern auch die der Mutter. Eine Frau, die gegen ihr inneres Empfinden weiter stillt und sich gezwungen fühlt, werde ihrem Kind keinen Gefallen tun, ist Gresens überzeugt. Ist der Zeitpunkt der richtige, dann gehe es auch ganz einfach und ohne Drama.

Nur wenige entscheiden sich bewusst vorher

Nur sehr wenige Mütter entscheiden sich von Anfang an bewusst dafür, länger als sechs Monate zu stillen. Stattdessen passiert dies aus der Notwendigkeit heraus, dass das Kind sich dem Breichen auf dem kleinen Plastiklöffel verweigert, aber irgendwie ernährt werden muss. Und wird die Beikost angenommen, stillen Mütter meist aus der Motivation heraus weiter, das es ihrem Kind guttut.

Gresens Plädoyer: Jede Mutter sollte so lange stillen, wie das Kind und sie selbst dies möchten. Denn das Stillen ist nicht nur für das Kind von gesundheitlichem Vorteil, sondern auch für die Mutter. «Auch da ist belegt, je länger, desto besser», so die Beauftragte für Stillen und Ernährung des Hamburger Hebammenverbandes. Denn Stillen verbraucht jede Menge zusätzliche Kalorien. «Frauen, die lange stillen, sind oft nachher schlanker als vor der Schwangerschaft», hat Gresens beobachtet.

sca/reu/news.de