Von news.de-Redakteurin Katharina Peter - Uhr

Visionen und Vorahnungen: «Ich sehe jeden Tag Unfälle voraus»

Visionen, wie sie im Horrorfilm Final Destination 4 gezeigt werden, sind nicht völlig aus der Luft gegriffen. Vorahnungen sind normal und alltäglich, sagt Neuropsychologe Professor Erich Kasten. Nur fällt einem das kaum auf, weil sie fast nie wirklich werden.

Neuropsychologe Professor Erich Kasten beschäftigt sich mit Vorahnungen und Visionen. (Foto) Suche
Neuropsychologe Professor Erich Kasten beschäftigt sich mit Vorahnungen und Visionen. Bild: news.de

Halluzinationen und Visionen wurden selbst von Fachleuten lange Zeit in die Ecke der Geisteskrankheiten gesteckt. Dabei sei es ganz natürlich, dass das Gehirn lange bevor Gedanken bewusst werden, daran arbeitet, eins und eins zusammenzuzählen, erklärt Kasten. Das laufe im Hintergrund ab. Diese Prozesse werden durch ständige kleine Reize ausgelöst, die mit Erfahrungen und Erinnerungen abglichen werden.

«Da reicht schon ein typischer Geruch, den man zufälligerweise geschnuppert hat, bevor man als Kind die Treppe runtergefallen ist. Wenn man denselben Geruch Jahre später riecht, hat man das Gefühl, es würde gleich etwas Schlimmes passieren, ohne zu wissen woher dieses Gefühl kommt», erklärt der Experte von der Universität Lübeck.

Weil der Mensch ein Wesen mit großer Vorstellungskraft sei, berechnet das Gehirn auch ständig was in näherer Zukunft passieren könnte. Dazu gehöre das Erahnen von Unfällen oder Katastrophen, wie sie in der Final Destination-Serie dargestellt werden. Kasten: «Wenn ich mit meinem Fahrrad morgens auf dem Weg zur Arbeit durch Lübeck fahre, sehe ich Dutzende von potenziellen Unfällen voraus, die mir oft helfen, genau diese Unfälle zu vermeiden.»

Das habe nichts mit übersinnlichen Phänomenen zu tun, sondern sei eine sinnvolle Einrichtung des Verstandes. Fast alle dieser Vorahnungen treten jedoch nicht ein. Bewahrheitet sich eine aber tatsächlich, dann erinnert man sich plötzlich viel stärker an das vorangegangene Gefühl. «Daraus kann der Glaube entstehen, man könne wirklich Geschehnisse vorausahnen», so der Neuropsychologe.

Hinzu komme, dass Menschen durch Kinofilme wie Final Destination, Nachrichten oder Zeitungsmeldungen, mit vielen Bildern bereits angefüttert sind, die ihre Fantasie in bestimmten Situationen beflügeln und zu grausigen Vorstellungen werden lassen – wie etwa ein Flugzeugabsturz. «Der winzige Prozentsatz der Fälle, in denen wirklich etwas passiert, wird dann hochgejubelt und weitererzählt», schränkt Kasten die Bedeutung solcher Visionen ein.

Elektrischer Kurzschluss im Gehirn

Visionen, Halluzinationen oder auch Déjà Vus werden in der Medizin sehr ernst genommen. Denn: Sie sind oft Ausdruck einer Krankheit. So können etwa Epileptiker Déjà Vus als Vorphase eines Krampfanfalls erleben. Das Gefühl, etwas schon einmal erlebt zu haben, rühre von einem elektrischen Kurzschluss eines bestimmten Hirnteils im Schläfenlappen her, erklärt Kasten.

Dennoch könnten Déjà Vus auch bei ganz normalen Menschen auftauchen. Aber auch Drogen, Schlafentzug und Extremerlebnisse können diese Phänomene hervorrufen. Ähnliches gilt für Halluzinationen. Wird ein Mensch einem totalen Reizentzug ausgesetzt, etwa tagelange Dunkelheit und absolute Stille in Isolationshaft, dann habe jeder ausnahmslos ab einem bestimmten Punkt Trugwahrnehmungen.

Überstimulation und Stress können ebenso dazu führen, dass Dinge gesehen oder gehört werden, die nicht vorhanden sind. Auch Hunger, Durst, verschiedene Drogen und auch einige Medikamente verursachen Halluzinationen.

Die Abläufe können ganz verschiedener Art sein. So gibt es einfache Halluzinationen, wie etwa berauschende Wechsel von komplexen Farb- und Formmustern bei einem LSD-Trip. Aber es kommt auch vor, etwa bei Schizophrenen, dass ganze Szenen erlebt werden. «Sie sehen etwa große Augen, die sie anstarren und auf sie zu schweben», sagt Kasten.

«Träume sind eine Sonderform von Halluzinationen»

Diese Sinnestäuschungen können nach wenigen Minuten wieder vorbei sein, aber auch einige Stunden andauern. Ob die Erscheinungen für Wirklichkeit gehalten werden, oder ob ihre Irrealität erkannt wird, kann genauso variieren. Die Mechanismen, die Halluzinationen auslösen, sind die gleichen, die nachts Träume auslösen. «Träume sind eine Sonderform von Halluzinationen», erklärt der Neuropsychologe.

Zwar werden solche Halluzinationen von der Öffentlichkeit durch ihren gezielten Einsatz in Horrorfilmen oft als grausig wahrgenommen. Aber: Viele Menschen, die Visionen haben, genießen diese. Kasten: «Selbst Schizophrene sehen mitunter Gottesgestalten oder die Heilige Jungfrau Maria vor sich und sind dann von einem ekstatischen Gefühl der Religiosität erfüllt. Horrorvisionen machen nur einen vergleichsweise kleinen Teil dieser Trugbilder aus.»

Gefährlich werden Halluzinationen nur dann, sagt Kasten, wenn sie von jemandem völlig mit der Realität verwechselt werden und fügt hinzu: «Menschen, die häufig unter Halluzinationen leiden, sind andererseits oft sehr viel kreativer und phantasievoller als der bundesdeutsche Durchschnittsbürger.»

ham/news.de

Bleiben Sie dran!

Wollen Sie wissen, wie das Thema weitergeht? Wir informieren Sie gerne.