Visionen und Vorahnungen: «Ich sehe jeden Tag UnfĂ€lle voraus»
Neuropsychologe Professor Erich Kasten beschÀftigt sich mit Vorahnungen und Visionen. Bild: news.de
Von news.de-Redakteurin Katharina Peter
16.01.2016 08.45
Halluzinationen und Visionen wurden selbst von Fachleuten lange Zeit in die Ecke der Geisteskrankheiten gesteckt. Dabei sei es ganz natĂŒrlich, dass das Gehirn lange bevor Gedanken bewusst werden, daran arbeitet, eins und eins zusammenzuzĂ€hlen, erklĂ€rt Kasten. Das laufe im Hintergrund ab. Diese Prozesse werden durch stĂ€ndige kleine Reize ausgelöst, die mit Erfahrungen und Erinnerungen abglichen werden.
«Da reicht schon ein typischer Geruch, den man zufĂ€lligerweise geschnuppert hat, bevor man als Kind die Treppe runtergefallen ist. Wenn man denselben Geruch Jahre spĂ€ter riecht, hat man das GefĂŒhl, es wĂŒrde gleich etwas Schlimmes passieren, ohne zu wissen woher dieses GefĂŒhl kommt», erklĂ€rt der Experte von der UniversitĂ€t LĂŒbeck.
Weil der Mensch ein Wesen mit groĂer Vorstellungskraft sei, berechnet das Gehirn auch stĂ€ndig was in nĂ€herer Zukunft passieren könnte. Dazu gehöre das Erahnen von UnfĂ€llen oder Katastrophen, wie sie in der Final Destination-Serie dargestellt werden. Kasten: «Wenn ich mit meinem Fahrrad morgens auf dem Weg zur Arbeit durch LĂŒbeck fahre, sehe ich Dutzende von potenziellen UnfĂ€llen voraus, die mir oft helfen, genau diese UnfĂ€lle zu vermeiden.»
Das habe nichts mit ĂŒbersinnlichen PhĂ€nomenen zu tun, sondern sei eine sinnvolle Einrichtung des Verstandes. Fast alle dieser Vorahnungen treten jedoch nicht ein. Bewahrheitet sich eine aber tatsĂ€chlich, dann erinnert man sich plötzlich viel stĂ€rker an das vorangegangene GefĂŒhl. «Daraus kann der Glaube entstehen, man könne wirklich Geschehnisse vorausahnen», so der Neuropsychologe.
Hinzu komme, dass Menschen durch Kinofilme wie Final Destination, Nachrichten oder Zeitungsmeldungen, mit vielen Bildern bereits angefĂŒttert sind, die ihre Fantasie in bestimmten Situationen beflĂŒgeln und zu grausigen Vorstellungen werden lassen – wie etwa ein Flugzeugabsturz. «Der winzige Prozentsatz der FĂ€lle, in denen wirklich etwas passiert, wird dann hochgejubelt und weitererzĂ€hlt», schrĂ€nkt Kasten die Bedeutung solcher Visionen ein.
Elektrischer Kurzschluss im Gehirn
Visionen, Halluzinationen oder auch DĂ©jĂ Vus werden in der Medizin sehr ernst genommen. Denn: Sie sind oft Ausdruck einer Krankheit. So können etwa Epileptiker DĂ©jĂ Vus als Vorphase eines Krampfanfalls erleben. Das GefĂŒhl, etwas schon einmal erlebt zu haben, rĂŒhre von einem elektrischen Kurzschluss eines bestimmten Hirnteils im SchlĂ€fenlappen her, erklĂ€rt Kasten.
Dennoch könnten DĂ©jĂ Vus auch bei ganz normalen Menschen auftauchen. Aber auch Drogen, Schlafentzug und Extremerlebnisse können diese PhĂ€nomene hervorrufen. Ăhnliches gilt fĂŒr Halluzinationen. Wird ein Mensch einem totalen Reizentzug ausgesetzt, etwa tagelange Dunkelheit und absolute Stille in Isolationshaft, dann habe jeder ausnahmslos ab einem bestimmten Punkt Trugwahrnehmungen.
Ăberstimulation und Stress können ebenso dazu fĂŒhren, dass Dinge gesehen oder gehört werden, die nicht vorhanden sind. Auch Hunger, Durst, verschiedene Drogen und auch einige Medikamente verursachen Halluzinationen.
Die AblĂ€ufe können ganz verschiedener Art sein. So gibt es einfache Halluzinationen, wie etwa berauschende Wechsel von komplexen Farb- und Formmustern bei einem LSD-Trip. Aber es kommt auch vor, etwa bei Schizophrenen, dass ganze Szenen erlebt werden. «Sie sehen etwa groĂe Augen, die sie anstarren und auf sie zu schweben», sagt Kasten.
«TrĂ€ume sind eine Sonderform von Halluzinationen»
Diese SinnestĂ€uschungen können nach wenigen Minuten wieder vorbei sein, aber auch einige Stunden andauern. Ob die Erscheinungen fĂŒr Wirklichkeit gehalten werden, oder ob ihre IrrealitĂ€t erkannt wird, kann genauso variieren. Die Mechanismen, die Halluzinationen auslösen, sind die gleichen, die nachts TrĂ€ume auslösen. «TrĂ€ume sind eine Sonderform von Halluzinationen», erklĂ€rt der Neuropsychologe.
Zwar werden solche Halluzinationen von der Ăffentlichkeit durch ihren gezielten Einsatz in Horrorfilmen oft als grausig wahrgenommen. Aber: Viele Menschen, die Visionen haben, genieĂen diese. Kasten: «Selbst Schizophrene sehen mitunter Gottesgestalten oder die Heilige Jungfrau Maria vor sich und sind dann von einem ekstatischen GefĂŒhl der ReligiositĂ€t erfĂŒllt. Horrorvisionen machen nur einen vergleichsweise kleinen Teil dieser Trugbilder aus.»
GefĂ€hrlich werden Halluzinationen nur dann, sagt Kasten, wenn sie von jemandem völlig mit der RealitĂ€t verwechselt werden und fĂŒgt hinzu: «Menschen, die hĂ€ufig unter Halluzinationen leiden, sind andererseits oft sehr viel kreativer und phantasievoller als der bundesdeutsche DurchschnittsbĂŒrger.»
ham/news.de