Von news.de-Redakteurin Corina Broßmann - Uhr

Nymphomanie: Wann wird die Sex-Lust zur Last?

Nymphomanie wird in der psychologischen Literatur noch immer als ernsthaftes Krankheitsbild geführt. Sexualpsychologe Dr. Karl Javorszky findet das verlogen und Dauergeilheit gesund. Warum, erklärt er news.de.

Diagnose Nymphomanie: Wenn sich die Gedanken nur noch um Sex drehen. (Foto) Suche
Diagnose Nymphomanie: Wenn sich die Gedanken nur noch um Sex drehen. Bild: news.de/iStockphoto (Montage)

Was ist der Unterschied zwischen Nymphomanie und Sexsucht?

Dr. Karl Javorszky: Nymphomanie ist die ältere, tendenziell positivere Bezeichnung. Beides steht für ein sexuelles Verhalten, welches bei Außenstehenden den Eindruck erweckt, etwas Unfreiwilliges an sich zu haben. Doch die Begriffe spiegeln dabei gesellschaftliche Werturteile wider. Etwas, was jemand anderer gerne macht – nicht aber ich – werde ich eher als Sucht bezeichnen als etwas, was ich auch gerne mache.

Betrifft Nymphomanie nur Frauen?

Javorszky: Ja und nein. Für Männer wäre der Begriff Don-Juanismus zutreffend. Das Konzept ist das Gleiche. Auch dieser Begriff steht für sexuelle Hyperaktivität in Abwesenheit einer inneren Befriedigung, bezieht sich aber eben auf die Herren der Schöpfung.

Wieso ist die Bezeichnung für männliche Promiskuität weniger verbreitet?

Javorszky: Ist sie das? Lassen Sie mal die Begriffe in der Umgangssprache auflisten, getrennt nach weiblichen und männlichen Stempeln: Schlampe, Hure, Nutte auf der einen Seite. Hurenbock, Weiberheld, erotoman auf der anderen. Männer wie Frauen werden ähnlich oft als promiskuitiv abgestempelt.

Inwiefern ist Nymphomanie und deren Bewertung kulturabhängig?

Javorszky: Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem Tierreich bringen: der Unterschied zwischen der Pinguin-Ehe und der Makaken-BeziehungBei Makaken handelt es sich um eine Affenart, die im asiatischen Raum lebt. Fruchtbarkeit wird bei den Weibchen durch Anschwellen und Röten des Genitalbereichs deutlich. . Ein Pinguin-Männchen ist die Erfüllung der Wunschträume der Emanzen: Er nimmt zu gleichen Teilen an der Kindererziehung und an der Nahrungssuche teil und ist treu wie ein Moralapostel. Das ist nötig, weil in der kalten und kargen Umgebung der Nachwuchs erfrieren und verhungern würde, wenn sich nicht beide Eltern kümmern würden. Die Makaken hingegen leben in einer Umgebung, wo 52 Wochen im Jahr ohne viel Mühe Futter zu finden ist. Bei ihnen kann deshalb herumgevögelt werden wie in Zeiten spätrömischer Dekadenz. Sex übernimmt als soziale Interaktion Begrüßungs-, Demuts- und Deeskalationsaufgaben. Wenn Sie ein Pinguin sind, sind die Makaken für Sie enthemmte, kaputte, verantwortungslose Suchtkranke. Sind Sie ein Makake, sind die Pinguine für Sie kaputte, kranke, ängstliche, paranoide, verklemmte Wichser. Wählen Sie Ihren Standpunkt.

Wie entstand das heute noch immer verbreitete Konzept der krankhaften Nymphomanie?

Javorszky: In Zeiten von Königin Victoria und  Kaiserin Maria-Theresia war das allgemein-öffentliche Vögeln ein Klassenzugehörigkeitsmerkmal. In diesen Phasen hat sich die Mittelschicht ausgebildet. Diese ist die Heimat des Triebverzichts und der Triebfeindlichkeit. Der Oberschicht ist es egal, wem was gefällt, und der Unterschicht ist es auch egal, weil sie sowieso immer und ewig mit Unterdrückung zu rechnen hat. Die Proleten und die Aristokraten können sich Hemmungslosigkeit leisten, die Mittelschicht nicht. Aber die ist es, die gesellschaftlich erstarkte und alles Triebhafte schnell als nymphoman abstempelte.

Ab wann ist man nymphoman? Gibt es statistische Richtwerte?

Javorszky: Das Etikett «nymphoman» ist natürlich kultur- und subkulturabhängig. In einem katholischen Mädchenpensionat wird Frau schon als nymphoman bezeichnet, wenn sie innerhalb eines Monats mit zwei oder gar drei Burschen ausgeht. Die guten alten 68er sehen das schon ein bisschen anders.

Kann Nymphomanie gefährlich oder gesundheitsschädlich werden?

Javorszky: Als Faustregel gilt: Frauen, welche weniger als ein halbes Dutzend (also sechs) Partner vor der Auswahl des Dauerpartners hatten, leiden später viel eher an gynäkologischen Problemen als die Fleißigeren. Das heißt nicht, dass viel herumzuvögeln gesund macht, sondern, dass zu verklemmt sein krank macht. Außerdem ist eine verklemmte, lustfeindliche Frau nicht nur sich selbst im Weg, sondern viel eher eine Landplage als eine flotte Biene.

Warum halten Sie Nymphomanie für überbewertet?

Javorszky: Viel Sex haben zu wollen ist nun mal keine Krankheit. Nymphomanie ist eine kulturabhängige Grenze, welche willkürlich – und verlogen – gezogen wird. Die christlich-jüdische Kultur geht zurück auf die Rituale der Naturvölker (wie man sie in Spuren in den griechischen Mythen und Sagen noch erkennen kann). Das Leben war voll von Frühlingsweihen, Osterbegegnungen, Sommernachtsfesten und Erntedankfesten. In der Regel waren diese gleichzeitig das, was man Fertilitätsriten nennt, das heißt massiver Gruppensex. Woodstock hat nicht das 20. Jahrhundert erfunden. Früher hat man dazu Saturnalien gesagt.

Ab wann ist Nymphomanie dann aber krankhaft?

Javorszky: Wenn es zu Feindseligkeiten kommt, sei es nach außen (zum Beispiel gegen den Partner) oder nach innen (sich selbst beschimpfen, bereuen). Die ewige Unzufriedenheit ist allerdings ein Aggressionsproblem und kein sexuelles Problem. Die unersättliche Nymphomanin könnte sich alternativ auch ständig über Reinlichkeit oder Umgangsformen der Leute unzufrieden zeigen. Wenn Frau nie zufriedenzustellen ist, gibt es in der Regel eine dominante, herrschsüchtige Mutter im Hintergrund.

Was - neben dieser Unzufriedenheit - treibt eine Nymphomanin von einem zum anderen Sexpartner?

Javorszky: Das Suchtverhalten erzeugt ein intensives Glücksgefühl für eine kurze Zeit, ist aber in der Gesamtbilanz der Befriedigung ein verlustreicher Weg. Nach dem Suchtverhalten ist man weniger befriedigt als vorher und wird dadurch genötigt, immer weiter nach Erfüllung zu suchen.

Muss Nymphomanie immer häufigen Partnerwechsel beinhalten oder kann man auch nymphoman und monogam sein?

Javorszky: Teil der Definition von Nymphomanie ist, dass ein Konzentrieren der Libido auf eine Person nicht gelingt beziehungsweise gar nicht beabsichtigt ist. Solch ein Verhalten erscheint uns krank, weil ein Kleinkind, welches seine Mutter nicht erkennt und beliebigen Personen gegenüber Zutrauen fasst, als gestört zählt. Diese instinktive Kenntnis übertragen wir auch auf Erwachsene. Wir erwarten, dass eine Prägung auf einen einzigen Partner erfolgt (infolge der Oxytocin-Ausschüttungen im Zuge der sexuellen Erregung). Lässt sich die Prägung nicht beobachten, halten wir die Betroffenen für emotional gestört.

Schrauben nymphomane Menschen dem Klischee entsprechend ihren Anspruch weit herunter, um mit mehr Menschen Sex haben zu können?

Javorszky: Das wissen Sie doch ziemlich gut. Ist es nicht schon vorgekommen, dass Sie Sex wollten und der einzig verfügbare Typ war weder Einstein noch Herkules? Das geht den meisten irgendwann mal so und hat nichts mit einem ernstzunehmenden Krankheitsbild zu tun. Manchmal sind wir alle nymphoman, manchmal frigide. Diese psychologischen Kategorien werden einfach überschätzt.

ham/reu/news.de

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