Von news.de-Redakteur Jan Grundmann - Uhr

Ex-Beamter packt aus: «Polizisten wären gute Kriminelle»

Zynismus, Angst und Suizid: Der Ex-Polizist Stefan Schubert zeichnet ein düsteres Bild von deutschen Polizisten. Im news.de-Interview erklärt er, weshalb sich Polizist und Hooligan ähnlich sind - und die Ordnungshüter mit den Hells Angels sympathisieren.

Stefan Schubert, geboren 1970, hat acht Jahre ein Doppelleben als Fußball-Hooligan und Polizist geführt. Er war zunächst beim Bundesgrenzschutz und später bei der Landespolizei in Nordrhein-Westfalen tätig. Im Jahr 1996, bei der Aufstiegsfeier von Arminia Bielefeld, wurde er zufällig vom WDR gefilmt, als er bei Krawallen als Hooligan mitprügelte. Um dem Strafverfahren zu entgehen, schied er freiwillig aus dem Polizeidienst aus. Seither betätigte er sich als Fitnesstrainer und als Autor. In seinem neuen Buch Inside Polizei und im news.de-Interview erklärt er die schwierige Seite des Berufs als Polizist.

Wie stark sind Polizisten, die eigentlich für die gute Seite kämpfen sollen, vom kriminellen Milieu fasziniert?

Schubert: Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass Polizisten auch gute Kriminelle wären. Viele werden vom kriminellen Milieu angezogen, haben sich dann aber für den richtigen Weg entschieden.

Sie schreiben, dass viele Polizisten mit den Rockerkriminellen der Hells Angels sympathisieren. Warum?

Schubert: Polizisten sind Pragmatiker. Wenn eine Gruppe aus dem Rotlichtmilieu festgenommen wird, ändert sich gar nichts. Es wird deshalb keine Prostituierte weniger anschaffen gehen. Wenn jemand das Milieu kontrolliert, dann lieber eine deutsche Rockergruppe als Gruppen aus Albanien oder dem Libanon, bei denen man keinen Überblick hat. Offenbar war es von der Polizeiführung in Hannover, wo die Hells Angels dominieren, so gewollt, sonst wären die Rocker nicht über Jahre hinweg in Ruhe gelassen worden.

Laut Spiegel nahmen sich allein in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen zehn Jahren 74 Beamte das Leben. Weshalb ist die Selbstmordrate unter Polizisten so hoch?

Schubert: Vielleicht liegt es daran, dass die Polizei eine vorrangige Männerwelt ist, in der über Schwächen und Angst nicht gesprochen wird. Auch die Scheidungsraten sind sehr hoch: Umzüge, Wochenend-, Schichtdienst - und zu Hause will man gar nicht über die Erlebnisse reden.

Sie zeichnen in Ihrem Buch ein entmutigendes Bild von Polizisten. Die Beamten sind entweder zynisch, abgestumpft oder ängstlich.

Schubert: Angst hat jeder. Die SEK-Kommandos haben ihre Angst sicher besser im Griff als die Hundertschaften oder der Streifendienst. Ich erinnere mich an eine Demonstration im Jahr 1994, wo wir als Hundertschaft in der ersten Stunde acht Verletzte hatten. Einem Kollegen wurde aus zwei Metern Entfernung ein Backstein ins Gesicht geschleudert, die Zähne waren rausgeschlagen, der Kiefer gebrochen. Wir hatten damals schon einen Frauenanteil von 30 Prozent, viele Mädchen aus gutem Hause. Die waren schockiert, die agierten anschließend ängstlicher - verständlicherweise.

Weshalb wollten Sie Polizist werden?

Schubert: Bei mir war es Abenteuerlust. Ich war 18 Jahre, ich wollte ein bisschen was erleben, und bin so zum Bundesgrenzschutz gekommen. Andere kommen aus Idealismus oder weil sie Beamte auf Lebenszeit werden wollen.

Sie waren selbst Hooligan, haben acht Jahre ein Doppelleben geführt. Sie suchten die Schlägerei am Rande von Fußballspielen und arbeiteten sich gleichzeitig zum Polizeiobermeister hoch. Wie haben Sie denn diesen Spagat zwischen Gut und Böse empfunden?

Schubert: Für mich war das kein Spagat, so komisch es klingt: Polizist und Hooligan sind nicht sehr unterschiedlich. In der Polizeiclique waren wir in der Kaserne. Nach dem Dienst haben wir Sport gemacht, ein paar Bierchen getrunken und sind in Diskotheken oder auf Schützenfeste gezogen. Wir waren jung und aufgedreht, haben nicht bewusst nach Schlägereien gesucht. Aber wenn sich eine ergab, hat keiner von uns zurückgesteckt. Die Vorgesetzten haben das mitbekommen, aber nichts gemacht. Wenn man mit einem blauen Auge zum Dienst antrat, kam ein dummer Spruch und das war es.

Und als Fußball-Hooligan?

Schubert: Mit der Fußballclique haben wir uns an Spieltagen vormittags getroffen, in einer Kneipe abseits des Stadions. Wir haben gequatscht und getrunken - und wenn auf dem Weg zum Stadion etwas passiert ist, dann ist etwas passiert. Die Fußballschlägereien waren für mich keine Gewalt im Sinne einer Straftat. Es war eher wie ein Kräftemessen abseits des Boxklubs.

Sie sagen, dass Gewalt eine Lösung ist. Warum?

Schubert: Als junge Burschen wurden wir auf dem Schulweg von einer Jugendgang gedemütigt und angespuckt. Wir haben dann mit dem Boxen angefangen, erst im Keller, später im Boxverein. Bei der nächsten Konfrontation haben wir uns gestellt und geprügelt. Danach hörte Gewalt gegen uns auf - deshalb denke ich, dass Gewalt eine Lösung sein kann.

Würden Sie selbst gern wieder als Polizist arbeiten?

Schubert: Nein. Als junger Mann war es schön, ganz Deutschland bei unterschiedlichsten Einsätzen kennen zu lernen. Aber es ist eine Tortur, wenn man beim Castor-Einsatz über Tage Waldwege bewachen und in Dixi-Klos sein Geschäft verrichten muss.

Autor: Stefan Schubert
Titel: Inside Polizei. Die unbekannte Seite des Polizeialltags
Verlag: Riva
Preis: 19,99 Euro
Seiten: bereits erschienen

eia/news.de

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