Von news.de-Redakteur Jan Grundmann - Uhr

Tatortreiniger Peter Anders: Wie riecht eigentlich eine Leiche?

Stirbt ein Mensch, sind zuerst die Fliegen da. Danach ist Tatortreiniger Peter Anders zur Stelle. Der Putzmann des Grauens erzählt im Interview, warum er während der Desinfektion Panflöte hört, nach einer Schicht gern Fleisch isst und sich wie John Wayne fühlt.

Tatorteinigung ist ein blutiges Geschäft. In einem extra präparierten Tatort bildet eine Berliner Firma die speziellen Putzmänner aus. (Foto) Suche
Tatorteinigung ist ein blutiges Geschäft. In einem extra präparierten Tatort bildet eine Berliner Firma die speziellen Putzmänner aus. Bild: dpa

Tatortreiniger Peter Anders verrät im Interview, wie Verwesungsgeruch riecht

Herr Anders, wie würden Sie den Geruch des Todes beschreiben?

Peter Anders: Er ist unangehm und penetrant. Wenn man ihn einmal gerochen hat, vergisst man ihn nicht wieder. Ob Mensch oder Tier: Verfaultes Fleisch riecht in allen Fällen leicht süßlich.

Wie sah Ihr letzter Einsatz aus?

Anders: Wir waren in einer Wohnung, in der eine Frau im Bad lag. Vier Wochen lang. Hausbewohner hatten die Feuerwehr gerufen, weil viele Fliegen im Hausflur waren. Wir haben dann erstmal die Fliesen und den Estrich entfernt. Denn die Leichenflüssigkeit ist durch die Fugen gesickert. Das ist verfaulte Körperflüssigkeit, schließlich besteht der Mensch zu 70 Prozent aus Wasser.

Sie haben ein Buch über Ihre Arbeit verfasst. Darin haben Sie geschrieben, durch Ihren Beruf könnten Sie ein wenig wie John Wayne sein. Warum?

Anders: Nun, man muss Ekel gut überwinden können, weil die Arbeit nicht angenehm ist. Ich bin eigentlich ein sensibler Mensch. Und mit diesem Job muss man locker umgehen, sonst wird man psychisch krank. Wenn sich etwa ein 15-Jähriger den Kopf wegschießt, dann find ich das schrecklich. Oder wenn die Tochter im Arm der Mutter verblutet, weil ein Blutgefäß platzt, dann ist das mehr als dramatisch. Diese Stellen putze ich und bekomme Gänsehaut. Da will ich auch wissen, was da los war.

Tatortreinigung als Beruf: Das sind die Voraussetzungen

Wie wird man denn Tatortreiniger?

Anders: Ich nenne meinen Beruf ja Leichenfundortreiniger. Denn nicht jeder Fundort ist auch ein Tatort, wo ein Verbrechen stattgefunden hat. Ein Leichenfundortreiniger jedenfalls hat keinen Verband, es gibt keine Berufsausbildung, kein Handbuch, was zu tun ist. Letzlich ist das eigene Geschick gefragt. Es ist eine Mischung aus Gebäudereiniger und Schädlingsbekämpfer. Sie sollten auch ein guter Handwerker sein, und ein guter Psychologe, weil sie auch Angehörige betreuen.

Bei welchen Fällen werden Sie gerufen?

Anders: Jeder zehnte Fall ist eine Straftat, weitere zehn Prozent sind jeweils Suizide und Unfälle. Bei 70 Prozent der Fälle, in denen wir zum Einsatz kommen, handelt es sich um lang liegende Leichen. Das sind meist vereinsamte Leute: Ältere ohne Angehörige oder Suchtkranke, die von der sozialen Welt abgeschottet sind. Die liegen länger: Manche eine Woche, manche bis zu drei Monaten. Dann kommt es zu Verfaul- und Verwesungsprozessen am Körper.

Wie laufen denn Verwesungsprozesse ab?

Anders: Die laufen zunächst im Sommer bei 30 Grad weitaus schneller ab als im Winter, wenn vielleicht das Fenster bei minus 20 Grad offen steht. Eine verwesende Leiche zieht Fliegen, Maden und Käfer an. Das erste Tier, das nach dem Tod kommt, ist die Fliege. Sie legt ihre Eier in die verfaulenden Körperstellen, also dorthin, wo kein Sauerstoff hinkommt. Am Anfang also in den Mund und in die Augenhöhlen. Aus den Eiern bilden sich die Maden.

Klingt sehr unappetitlich. Was machen Sie genau, wenn Sie zu einer Leiche gerufen werden?

Anders: Als erstes versprühen wir ein Insektizid als Schädlingsbekämpfung. Damit sind die Fliegen zunächst mal ausgeknockt, liegen auf dem Boden. Wir kehren sie dann zusammen. Anschließend folgt die Geruchsbeseitigung: Also wird die Stelle gesäubert, an der die Leiche gelegen hat. Schließlich folgt die Desinfektion. So ein Einsatz kann bis zu zwei Tagen dauern.

Tatortreiniger in München: "Viele haben da falsche Vorstellungen"

Wie arbeiten Sie?

Anders: Im Jahr 2005 habe ich meine Firma gegründet, ich habe noch drei Leute angestellt, meine Frau und meine Tochter helfen noch mit. Wir arbeiten immer im Team, in Anzug und Atemschutz. Das ist schwere körperliche und psychisch anstrengende Arbeit. Wir haben etwa jetzt Musik bei der Arbeit laufen, etwas Ruhiges, mit Panflöte oder so. Und wir gehen nach einem Einsatz gemeinsam essen. Da wird es weggeredet, was wir so erlebt haben.

Wie oft werden Sie gerufen?

Anders: Viele haben da falsche Vorstellungen. Wir haben drei bis fünf Reinigungen pro Monat. Und damit sind wir schon ganz gut im Geschäft. Neulich war einer aus Berlin bei RTL, der hat behauptet, der Erfinder der Tatortreinigung zu sein. Und der hatte zwei Reinigungen im Monat. Da sind wir rechnerisch nicht schlecht, Berlin ist ja auch größer als München.

Gibt es viel Konkurrenz?

Anders: Sicher gibt es die. Wenn man nach Tatortreinigung und München sucht, erhält man drei, vier Treffer. In den USA gibt es sehr viele Reiniger, in Deutschland beginnt der Markt zu wachsen. Sicher auch, weil viele erkannt haben, dass es notwendig ist. Wir helfen Angehörigen, das Trauma leichter zu verarbeiten. Sie sollen nicht noch die Bürde haben, die Leichenstellen zu putzen.

Und wieviel Blut müssen Sie dann wegputzen?

Anders: Bei den lang liegenden Leichen gibt es wenig Blut. Aber beim Rest, den Suiziden, Straftaten und Unfällen kommen wir meist, um große Mengen Blut zu beseitigen. Allerdings gibt es auch Sonderfälle. Wir reden beim Suizid meist von Schussverletzungen oder Schnittwunden. Wenn sich allerdings jemand frisch aufgehängt hat, passiert nichts weiter. Hängt er dagegen schon länger, würde Körperflüssigkeit abtropfen - dann fällt er unter die Kategorie der lang liegenden Leichen.

Haben Sie ein Supermittel gegen Blutflecken?

Anders: Naja, unsere Mittel sind nicht für den Haushalt. Die kommen aus dem Bereich der Industrie und der Medizin. Wenn wir gerufen werden, ist etwas passiert, das der normale Mensch nicht mehr beseitigen kann.

Peter Anders hat ein Buch über die Tatortreinigung geschrieben

Das jetzt veröffentlichte Buch über Ihre Arbeit ist nicht unbedingt als Lekture nach dem Essen geeignet. Wollen Sie den schaurigen Kitzel beim Leser hervorrufen?

Anders: Es soll informieren, was wir sind. Das Buch ist ohnehin abgeschwächt geschrieben, ich habe auf Details und Fotos verzichtet.

Was erfüllt Sie an Ihrem Job?

Anders: Na, schön ist er eigentlich nicht. Aber wir können den Angehörigen ein Stück der Last nehmen, ihnen bei der Bewältigung des Traumas helfen. Stellen Sie sich doch vor: Ein Verwandter ist gestorben, sie werden von der Polizei gerufen. Es stinkt fürchterlich in der Wohnung. Da sind sie doch froh, wenn es jemanden gibt, der Ihnen die Putzarbeit abnimmt. Und es ist doch schön, wenn nach der Reinigung der Kreislauf wieder geschlossen ist, Frieden in diesem Zimmer ist und wieder jemand einziehen kann.

Sind Sie in Ihrem Job nun Vegetarier?

Anders: Ich? Vegetarier? Nein, wirklich nicht, Fleisch ist wichtig. Ich esse sehr gern Hummer. Oder einen guten Fisch.

Autor: Peter Anders
Titel: Was vom Tode übrig bleibt - Ein Tatortreiniger berichtet
Verlag: Heyne
Umfang: 256 Seiten
Preis: 8,99 Euro
bereits erschienen

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beu/news.de

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