Von news.de-Redakteurin Sophia Sieber - Uhr

Atomsicherheit: Sechs Barrieren gegen Radioaktivität

Schutzsysteme für Atomkraftwerke? Das oberste Ziel dabei: Radioaktivität einschließen. Wie das erreicht wird und welches Sicherheitskonzept einem Reaktor zugrunde liegt, erfahren Sie bei news.de.

Diese Luftaufnahme zeigt das Atomkraftwerk Unterweser. Es ist eines der Kraftwerke, die vorübergehend abgeschaltet wurden. (Foto) Suche
Diese Luftaufnahme zeigt das Atomkraftwerk Unterweser. Es ist eines der Kraftwerke, die vorübergehend abgeschaltet wurden. Bild: ddp

«Das oberste Prinzip des Sicherheitskonzepts von Atomkraftwerken ist das Ziel, Radioaktivität sicher einzuschließen», erklärt Stephan Kurth, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Öko-Institut. Dieses Ziel erreicht man laut Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) mit verschiedenen ineinandergreifenden Barrieren - insgesamt sind es sechs.

Die Barrieren im Überblick

Die erste Hürde für die Radioaktivität ist das Kristallgitter um den Brennstoff. Es hält laut GRS feste, flüssige und gasförmige Spaltprodukte wie Cäsium oder Iod zu 98 Prozent zurück. Ihr folgt die sogenannte Brennstabhülle, die ebenfalls Spaltprodukte zurückhalten soll. Die dritte Barriere umfasst den Reaktordruckbehälter und die Hauptkühlmittelleitungen. Sie schließt das zur Kühlung benötigte Kühlwasser ein. Der Stahl des Reaktordruckbehälters hat eine Wandstärke von 150 bis 250 Millimetern. Die Betonabschirmung bildet die vierte Schranke und hält Gamma- und Neutronenstrahlung aus dem Reaktorkern zurück.

Die letzte Barriere, die verhindert, dass radioaktive Strahlung entweicht, ist der gasdichte Sicherheitsbehälter. Er besteht laut GRS aus Stahl und hat eine Wanddicke von etwa 40 Millimetern. Die Stahlbetonhülle ist die sechste Barriere, sie schützt den Sicherheitsbehälter vor Einwirkungen wie Explosionen oder Flugzeugabstürzen und ist zwischen eineinhalb und zwei Metern dick. Allerdings schwanken die Zahlen hier deutlich. Laut Greenpeace hat das Kraftwerk Brunsbüttel eine Betonhülle, die weniger als 50 Zentimeter dick ist, Biblis A kommt auf 60 Zentimeter. Relativ junge Kraftwerke wie Neckar 2 haben eine etwa 180 Zentimeter dicke Stahlbetonwand.

Gestaffeltes Sicherheitskonzept

Was passiert bei einem Störfall: Den heutigen Kernkraftwerken liegt ein gestaffeltes Sicherheitskonzept mit mehreren Ebenen zugrunde, so Atomexperte Kurth. Am Anfang steht der Normalbetrieb, in dem Störungen vermieden werden sollen. Wenn trotz aller Sicherheitsmaßnahmen ein Störfall nicht verhindert und nicht beherrscht werden kann, umfasst die letzte Ebene alle Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um die Auswirkungen eines Störfalls möglichst auf das Kraftwerk einzuschränken. Dazu gehören unter anderem Aktivitäten, wie sie in Japan derzeit stattfinden: beispielsweise Hubschrauber- und Feuerwehreinsätze, die Wasser zum Kühlen auf den Reaktor pumpen.

Dabei stehen auch menschliche Faktoren im Vordergrund, denn die Technik ist nicht unbegrenzt belastbar. «Der Mensch muss immer dann eingreifen, wenn er sieht, dass eine Situation von Normzustand abweicht. Automatiken helfen nur in vorher erdachten Standardsituationen», erklärt der Diplom-Ingenieur. Die Überwachungsinstrumente haben ihre Grenze - und die ist spätestens bei der Kernschmelze erreicht, weiß Kurth: «Dann müssen aus anderen, externen Messungen Rückschlüsse darauf gezogen werden, in welche Richtung sich die Situation weiterentwickelt.» Genaue Informationen, wie es zu diesem Zeitpunkt im Reaktor aussieht, fehlen dann.

Alte Meiler kaum nachrüstbar

Ein besonderes Problem ist ein lang andauernder Stromausfall - so wie derzeit in Fukushima I. Denn Sicherheitssysteme wie die Kühlung bestehen aus elektronischen Komponenten und elektrischen Antrieben, die ihre Energie aus den Generatoren des Kernkraftwerks oder - nach dem Abschalten - aus dem öffentlichen Stromnetz beziehen.

Sorgt ein heftiger Störfall dafür, dass die Stromproduktion eingestellt wird, werden diese Systeme nur noch über ein Notfallsystem mit Energie versorgt. Fällt dieses - wie in Japan - ebenfalls aus und steigt der Druck in den Reaktorbehältern, bleibt nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. «Dann muss man zu unbeliebten Maßnahmen greifen, um Schlimmeres zu verhindern. Der Druck muss abgelassen werden und damit wird auch Radioaktivität frei», erklärt Kurth. In Japan sei die Lage so, dass bei den möglichen Handlungsoptionen nur noch zwischen dem Ausmaß der denkbaren Folgen abgewägt werden könne, erklärt Kurth.

Ein ernster Störfall hätte auch in Deutschland fatale Folgen - gerade in älteren Kraftwerken. Atom-Experte Kurth erklärt, warum: «Viele Untersuchungen zeigen, dass ältere Anlagen weniger Sicherheitsreserven haben und nicht den gleichen Sicherheitsstandards genügen wie die neuen Kraftwerke.» In den alten Meilern seien beispielsweise redundante SicherheitssystemeEs handelt sich um Systeme, die funktional Vergleichbares leisten. nicht gut voneinander getrennt und können durch ein einziges Szenario außer Kraft gesetzt werden - so wie in Fukushima I, wo ein Tsunami alle Notstromdieselaggregate ausgeschaltet hat. Bei wirklich redundanten Systemen dürfte so etwas nicht passieren.

Doch ältere Meiler nachzurüsten, ist problematisch, weiß Kurth. Sie sind immer ein Spiegel des Kenntnis- und Anforderungsstands der Zeit, in der sie errichtet wurden. Andere Werkstoffe wurden verwendet, die Stahlbetonhülle ist dünner, Brandschutzkonzepte sind nicht aktuell - solche grundlegenden Nachteile bleiben bestehen.

ham/zij/news.de

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