Von news.de-Redakteurin Ines Weißbach - Uhr

Homophobie im Sport: «Schwule können nicht Fußball spielen»

Die WM ist zu Ende. Auf dem Platz haben sich die Spieler beim Torjubel liebkost. Keinem kam das komisch vor. Doch nun kocht die Diskussion über ein Tabuthema wieder hoch. Homosexualität im Fußball - Tanja Walther-Ahrens kämpft seit Jahren gegen die Vorurteile.

Ist das schon schwul? Zärtlichkeiten auf dem Platz. (Foto) Suche
Ist das schon schwul? Zärtlichkeiten auf dem Platz. Bild: news.de

Falls die Gerüchte stimmen, hat sich Paul Steiner gründlich geirrt. Der ehemalige deutsche Nationalspieler ist weniger durch sein fußballerisches Geschick als durch homophobe Äußerungen bekannt. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schwule Fußball spielen können», so sein bekanntestes Zitat. Homosexualität und Fußball - eine Diskussion, die durch im Spiegel veröffentlichte Aussagen des Ballack-Beraters Michael Becker wieder angestachelt wird. Eine regelrechte «Schwulencombo» gebe es im DFB-Team. Becker spricht von einem Spieler, der überraschend von Joachim Löw nominiert wurde, als «halbschwul». So steht es in einem Essay des renommierten Journalisten Alexander Osang – Gesprächsstoff für Tanja Walther-Ahrens.

Die ehemalige Fußballerin ist heute Lehrerin und Delegierte der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF). Sie setzt sich seit dem Ende ihrer Profilaufbahn gegen Homophobie im Fußball ein. «Bis Mitte der 90er galt Homosexualität als krank und in der Kirche als Sünde», sagt die 40-Jährige im Gespräch mit news.de. «Das ist sehr lange gewachsen, das kriegt man nicht so leicht aus den Köpfen. Auch im Fußball nicht.» Den Hass gegen Homosexuelle erlebe sie schon auf dem Platz, wenn die E-Jugend spiele und Väter ihren Sprößlingen ans Herz legen, nicht wie ein Mädchen zu spielen. Oder der Schiedsrichter als «schwule Sau» betitelt wird. Homosexualität würde oft genug nur auf den Sex reduziert.

«Das größte Problem ist, dass Schwule und Lesben im Fußball gar nicht existieren. Sie haben Angst, sich zu outen», sagt Walther-Ahrens. Durch ihren Einsatz gegen Homophobie kenne sie einige homosexuelle Spieler und Spielerinnen, die keinen Mut zum Coming out hätten. Angst vor der Reaktion der anderen, um den Job und um Sponsorenverträge spielten eine große Rolle.

Doch DFB-Präsident Theo Zwanziger habe bereits einen guten Anfang gemacht. Unter ihm unterstützt der Fußballbund einen Wagen beim Christopher-Street-Day, veröffentlichte einen Flyer gegen Homophobie und schreibt Grußworte für die Gaygames in Köln. Obwohl sich Zwanziger im Mai 2010 mit Klaus Wowereit bei der Eröffnung der Ausstellung «Gegen die Regeln - Lesben und Schwule im Sport» zeigte, muss diese Offenheit noch lange nicht an der Basis angekommen sein, meint Walther-Ahrens. «Die Sportverbände haben sieben Millionen Mitglieder und da sind nicht alle derselben Meinung wie der Präsident.»

Die Martina Navratilova des Fußballs

DFB-Landesverbände seien noch nicht genügend sensibilisiert für das Thema Homosexualität. Dem stimmt auch Heiko Sander zu. Er ist Präsident des Leipziger Fußballverbandes und hat lediglich gerüchteweise Kontakt zu Homosexuellen. «Warum sollte es Konsequenzen geben, wenn mir jemand sagt: Ich bin homosexuell?», fragt Heiko Sander etwas ungläubig auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Christopher-Street-Days in Leipzig. Auch in seinem Umfeld habe sich noch nie jemand geoutet, weder Schiedsrichter noch Spieler.

Soziologe und Fanforscher Dieter Bott sieht das Problem im strukturellen Aufbau des DFB. «Als Institution ist der DFB wie Schützenvereine sehr konservativ. Da ist zwar der Zwanziger, aber was macht ein Häuptling, wenn die Indianer nicht mitziehen?»

In den Fankurven beobachtet er jedoch eine Veränderung. Es herrsche zwar noch das traditionelle Männerbild vor. Die Memme, das Weichei, der Schattenparker werde auf dem Platz nicht gern gesehen. Dennoch würden die Fans auch mit homosexuellen Spielern klar kommen, ist Bott überzeugt. «Ich will die Ultras mal loben. Die gibt es seit zehn Jahren und sie haben im Gegensatz zum DFB in ihren Regularien Bestimmungen gegen Sexismus und Homophobie.»

Der Stimmungskern in der Kurve habe sich bereits geändert, sagt Bott, der seit 30 Jahren Fanforschung betreibt. «Das hat nichts mit Public Viewing, den vielen Fanmädchen und dem tollen Sommermärchen zu tun. Das ist Alltag in der Bundesliga und da haben wir homosexuelle Fanclubs wie die Stuttgarter Junxx.»

Selbst Frauen fällt es im Fußball schwer, sich zu outen

Alle Spekulation, ob Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Jogi Löw schwul seien, hält er für übertrieben. Falls sich jemand outen sollte, würde es sowieso eine Ãœberraschung geben. «Die Fußballer, die tatsächlich homosexuell sind, überdecken das durch übertriebene Härte, damit ja keiner denkt, sie seien ein Weichei», erläutert Bott. «Die Energie, die die für diese Fassade brauchen, um das weibliche Model zu mieten, das mit ihm ein Gespann simuliert, die könnte in fußballerisches Können einfließen.»

Für Tanja Walther-Ahrens fehlt so eine wie Martina Navratilova. Eine Vorreiterin. Obwohl sich die Ex-Tennisspielerin auch nicht freiwillig geoutet habe. Als Lesbensport verschrien, falle es aber selbst Frauen im Fußball schwer, sich zu ihrer Homosexualität zu bekennen. «Die erste, die sich outet, wäre dann die Lesbe im Lesbensport und das will keine sein», sagt Tanja Walther-Ahrens aus Erfahrung.

Erst wenn ökonomische Interessen mit einfließen, könnte Homophobie im Fußball Geschichte werden, meint Dieter Bott. So wie es beim Rassismus schon geschehen ist. Denn der sei in dem Moment out gewesen, als «Schwarze, Gelbe, Grüne» eingekauft wurden. Mit ihnen kamen die «schwarzen, gelben, grünen Fans als neue Publikumsschichten». Und Homosexuelle seien schließlich ein zahlungskräftiges Völkchen.

Vielleicht dauert es gar nicht mehr so lange, bis ein offen schwul lebender Fußballer in der Nationalmannschaft spielt. Glaubt man Michael Becker im Spiegel-Artikel soll ein ehemaliger Nationalspieler demnächst verraten, welche Spieler schwul sind. Dann gebe es die Martina Navratilova des Fußballs.

ped/reu/news.de

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