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Verliebt in Behinderte: Nicht skurril und nicht pervers

Manche finden es spannend, mit einer Blinden Sex zu haben - weil Blinde ein feineres Gefühl hätten. Silja ist einigen perversen Vorurteilen begegnet, bevor sie Guido traf. Nun beteiligt sie sich an einem Projekt über «gemischte» Paare.

Beziehungen zwischen Behinderten und Nichtbehinderten sind selten. (Foto) Suche
Beziehungen zwischen Behinderten und Nichtbehinderten sind selten. Bild: istockphoto

Kennengelernt haben sie sich in der U-Bahn: Er hat sie angesprochen, sie hat sich die Telefonnummer aufgeschrieben. Eigentlich ein ganz normaler Anfang einer Beziehung, doch Silja ist blind und Guido hat keine Behinderung. Eine Beziehung zwischen einem behinderten und einem nichtbehinderten Partner ist selten, teilweise werden den Menschen mit solchen Beziehungen soziale Motive oder sogar anormale Neigungen unterstellt.

«Wenige haben Verständnis dafür und für Viele ist das überhaupt nicht vorstellbar, sie verstehen es einfach nicht. Meine Familie war gegen unsere Beziehung. Sie sagten: ‹Die ist doch blind›, und ich soll mir überlegen, was ich da mache und was alles auf mich zukommt.» Nicht nur in der eigenen Familie ist Guido Korn auf Unverständnis gestoßen. Die Gesellschaft hat ihn sogar als «Freak» betrachtet, weil er sich in eine behinderte Frau verliebt hat.

Seine Frau Silja hatte mit anderen Problemen zu kämpfen. Wegen schlechter Erfahrungen wollte sie sich zunächst gar nicht auf eine Beziehung einlassen. «Viele Männer sagten einfach: ‹Es ist nett, sich mit Dir zu unterhalten, Du bist ganz hübsch, aber mehr wollen wir nicht.› Und andere sagten: ‹Ich möchte gerne nur ausprobieren, wie es sexuell mit Dir ist, denn Blinde haben ein viel feineres Gefühl als Sehende›», erzählt Silja von ihren Erfahrungen vor Guido.

Bei ihren ersten Treffen war sie daher noch misstrauisch - doch schnell merkte sie, dass Guido wirklich an ihr interessiert war - und nicht an ihrer Behinderung.

In einer Hand den Blindenstock, an der anderen das Kind

Bald heirateten sie. Auch wenn ihre Beziehung oft als skurril oder sogar pervers bezeichnet wurde, spielt sich bei Silja und Guido das Eheleben ab wie in einer normalen Beziehung. Mit Alltagsproblemen haben sie auch zu kämpfen. Ihre erste große Hürde haben sie genommen, als Silja schwanger wurde.

«Ich wollte erst gar kein Kind, weil ich Angst hatte, nicht alle Probleme alleine meistern zu können», erklärt Silja. Doch schnell lernte sie, dass ihre Probleme nichts spezielles waren. Es waren die Probleme und Ängste einer Mutter - egal ob blind oder sehend.

An vieles musste sich Silja allerdings erst einmal gewöhnen: «Das Schwierige war eigentlich erst, als ich raus wollte. In der einen Hand hatte ich den Blindenstock und die andere Hand brauchte ich, um mein Kind zu schützen. Das musste ich wirklich üben und nachher, als ich es endlich konnte, war das kein Problem mehr. Dann habe ich ihn aufgeschnallt, und los ging es.» Ihr gemeinsamer Sohn Fabian ist mittlerweile 18 Jahre alt.

Blinde erzieht nichtbehinderte Kinder

Was Silja nicht kann, lernt sie einfach. Sie legt Wert auf ihre Selbstständigkeit. Dabei hat sie ihrer Mutter viel zu verdanken. Sie hat Silja wie ihre anderen vier Kinder erzogen, bei ihr wurde keine Ausnahme gemacht, und das hat natürlich Früchte getragen: Mittlerweile ist sie die erste blinde Erzieherin Deutschlands und arbeitet in einem Kindergarten für nichtbehinderte Kinder.

Wie wichtig der integrative Gedanke schon bei Kindern ist, weiß sie nur zu gut. «Die Kinder lernen von früh an: ‹Mensch mit Silja kann man auch Spaß haben, die kann zwar nicht sehen, aber ganz toll fühlen und hören. Die hört eigentlich alles!› Die denken manchmal, ich schummele, ich könnte noch sehen. Und dadurch lernen sie eben sehr früh, mit so Menschen wie mir umzugehen, und wenn sie später erwachsen sind, dann haben sie auch nicht das Problem.»

Dokumentationsprojekt zeigt Lebensgeschichten

Ein weiterer wichtiger Punkt für Silja ist die Aufklärung der Gesellschaft. Aus diesem Grund haben sie und ihr Mann auch an einem Dokumentationsprojekt über Paare mit einem behinderten und einem nichtbehinderten Partner mitgemacht, das die Bonner Journalistin Annette Schwindt gemeinsam mit ihrem körperlich behinderten Mann Thomas Reis 2003 ins Leben gerufen hat.

«Zu Beginn wollten wir nur mal sehen, wie viele andere gemischte Paare es noch gibt», sagt Schwindt. Die Resonanz sei überwältigend gewesen. Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen, die Erfahrungen von 33 Paaren kann man auf der Homepage 2sames.de nachlesen. Neue Interessenten sind immer gern gesehen.

Es handelt sich aber nicht um ein Selbsthilfeprojekt. «Wir wollten zeigen, dass es solche Beziehungen gibt. Wie sie funktionieren, dafür gibt es kein Patentrezept», erklärt Schwindt. Gezeigt werden solle: Jeder Mensch hat das Recht, geliebt zu werden, egal ob er eine Behinderung hat oder nicht.

Nur wenn Paare wie Silja und Guido an die Öffentlichkeit gehen, könnten Vorurteile in der Gesellschaft abgebaut werden. Das ist natürlich nicht immer leicht, erklärt Guido und fragt sich: «Warum werden generell Unterschiede gemacht und man verrenkt sich hinterher das Hirn, wie man diese Unterschiede oder das Denken um die Umstände wieder los wird? Wenn man diese Unterschiede gar nicht erst macht, hat man die Probleme nicht.»

iwi/iwe/news.de/ap

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