Von news.de-Redakteurin Isabelle Wiedemeier - Uhr

Polygamie: «Männer sind Gäste im Leben der Frauen»

Polygamie ist in Deutschland verboten und wird bestraft. Statt findet sie trotzdem, wenn auch ohne Trauschein. Der Islam erlaubt dem Mann vier Frauen, doch nicht in jedem muslimischen Land macht sich das gut. Und im Himalaya lebt die Vielmännerei.

Die Landwirtschaft im Himalaya ist harte Arbeit - da brauchen Frauen häufig mehrere Männer. (Foto) Suche
Die Landwirtschaft im Himalaya ist harte Arbeit - da brauchen Frauen häufig mehrere Männer. Bild: dpa

Peter Thiel findet es komisch, dass Leute nicht zu dritt heiraten dürfen. Oder zu siebt. Das beschäftigt ihn. Obwohl Thiel vielleicht nicht der richtige Experte in Sachen Ehe ist. Der Paartherapeut war noch nie verheiratet und hält wenig von dieser Institution. «Praktisch bestehen die Beziehungen zu mehreren Partnern ohnehin, sie sind nur nicht staatlich anerkannt», sagt er. Und darüber weiß er Bescheid.

Thiel berät in seiner Praxis in Berlin und im Internet, auf maennerberatung.de. Warum die Menschen tendenziell zur Paarbildung neigen? Stabilität, vermutet er. «Das Wesentliche von Beziehungen ist das Streben nach Zufriedenheit. Wenn man einen exklusiven Menschen miteinander teilt, ist das schwierig. Mehrfachbeziehungen sind sicher eher etwas für Menschen, die keine engen Bindungen eingehen wollen», mutmaßt der Therapeut. Patentrezepte aber bietet er nicht an.

Dabei liegt uns die Vielmänner- und Vielweiberei vermutlich in den Genen. «Wir halten uns für eine monogame Spezies, aber die evolutionäre Vorgeschichte der Menschheit ist vermutlich leicht polygam», hat Jason Wilder, Evolutionsgenetiker an der Universität von Arizona, durch Untersuchungen festgestellt. Doch Polygamie ist in Deutschland laut Paragraph 1306 des BGB verboten und wird strafrechtlich verfolgt.

Ein weltfremder Paragraph, wenn es um die Praxis geht. «Wir pflegen eine verdeckte Polygamie», sagt auch die Ethnologin Jeanne Berrenberg. Der Diplom-Psychologe und Paartherapeut Silvio Wirth nennt es lieber anders. «Traditionelle Polygamie erlaubt nur einem von beiden, mehrere Partner zu haben. Sie ist von Natur aus asymmetrisch.» Seine Lebensweise und -philosophie ist daher die Polyamorie – Mann wie Frau können verschiedene Partner haben und lieben. Postmodern nennt er das, denn: «Polyamorie braucht zu ihrer Entfaltung eher das städtische und aufgeklärte Milieu.»

Regeln existieren überall, aber wer mit wie vielen, ob Frau oder Mann, ist letztlich grenzenlos. Thiel erzählt von seinem Bekannten, der die Betten Potsdams abklappert, der saudische König Abd al-Aziz hatte 3000 Frauen in seinem Harem. Dürfen und nicht dürfen, das ist eine Gemengelage von Recht, Religion, Tradition Moral, Eifersucht und nur manchmal Liebe.

Polygamie im Islam hat viele Ausprägungen

Der Islam. «Er gestattet dem Mann vier Ehefrauen, unter der Vorbedingung, dass er alle vier gleich behandelt», erläutert Jeanne Berrenberg. So gibt es der Koran vor. Doch gelebt wird, was beim jeweiligen Kulturmix herauskommt. «Ein urbaner Iraner, der es sich leisten kann, sagt: Ich halte mich an den Koran, da ist vorgegeben, dass ich vier Frauen heirate», pickt sie ein Beispiel heraus. Und springt nach Indonesien. Dort ist Polygamie traditionell nicht üblich. «Aber der hochmoderne Mann, angespornt durch die Prozesse der letzten zehn Jahre, folgt seinen Gelüsten, wenn er darauf beharrt, dass er mehrere Ehefrauen haben kann.»

Besonders gut kennt sich Berrenberg in Afghanistan aus. Hier sind Zweit- oder Drittfrau keine Kapriolen, sondern politische Pfründe. «Politische Stabilität gab es nie. Verbindungen werden deshalb symbolisch damit zum Ausdruck gebracht, dass eine Frau aus seiner Linie in die Familie des anderen heiratet.» Heiratet ein Mann einfach so nach ein paar Jahren eine zweite Frau, tue das seinem Ruf hingegen gar nicht gut. «Es heißt, er hat die erste nicht zähmen können, ist ein Schwächling», erklärt die Ethnologin.

Und die Frauen? «Es ist nicht so, dass sie alle rechtlos sind und verprügelt werden», weist Berrenberg ein Klischee zurück. Frauen schlagen zurück, die Ehre ihrer Familie ist alles. «Wenn sich ein Mann unmöglich verhält, hat er in null Komma nichts die Brüder am Hals – auch mit geladenen Gewehren.» Doch auch ohne Gewalt haben die Frauen eine sehr handfeste Macht. Das Haus gehört ihnen, und gegebenenfalls werde ihm eben die Häuslichkeit systematisch zur Hölle gemacht. Selbst, wenn die Lebensgemeinschaften harmonisch verlaufen, sei das, was der Mann mit Grandezza in der Öffentlichkeit verkünde, häufig genug Ergebnis der Küchendiskussionen seiner Frauen. So hat es Berrenberg bei ihren Besuchen in afghanischen Familien beobachtet. Im besten Fall stellt sich zwischen den Frauen eine Aufgabenteilung ein: Die erste ist Kameradin, die junge Zweitfrau erotische Gefährtin. Das passt beiden.

Der Ehebruch von Seiten der Frau allerdings könne das Leben kosten, betont die Ethnologin. Doch er findet statt, «im Südwesten geradezu flächendeckend». Gibt der Mann der Familie keine Sicherheit, suchen sich viele Frauen einen besser gestellten Liebhaber. Heimlich - aber inoffiziell weiß es jeder.

Wo die Frauen mit Männern jonglieren

In Teilen Tibets, dem gebirgigen Norden Indiens, in manchen Ecken von Nepal oder Hochgebirgsecken Pakistans kennt Jeanne Berrenberg Völker, in denen die Abstammungslinie der Frau die entscheidende ist. «Sie haben eine Serie von Männern, und von wem die Kinder sind, ist egal, da die Abstammung über die Mutter weitergegeben wird. Die Männer sind Gäste im Leben der Frauen.» Matrilinear heißen solche Gesellschaften, die auch in Südamerika oder dem Südpazifik existieren. «Nicht Matriarchat, das ist ein Pfeifentraum der Feministinnen», korrigiert Jeanne Berrenberg das Klischee.

Nicht wissenschaftlich befriedigend beantworten könne man allerdings, warum im Himalaya die Polyandrie betrieben wird - so heißt es, wenn eine Frau mehrere Männer hat. «Dort wird jedes kleinste Stückchen Land sorgfältigst bebaut, das ist sehr schwere Arbeit – vielleicht sichern die Frauen sich dadurch größere Wirtschaftsgemeinschaften», spekuliert die Ethnologin, ist aber wenig überzeugt. Fakt ist, der Besitz ist auf die Frauen eingetragen.

Ähnlich und doch ganz anders sieht es bei den Nuah im Sudan aus. Hier ist der Mann, der den Brautpreis zahlt, offizieller Vater aller Kinder und die männliche Abstammungslinie ausschlaggebend. Doch wer tatsächlich die Nachfahren gezeugt hat, das interessiert keinen großen Geist. Die Frau wechselt Männer und die Hütte – Hauptsache ist, einer hat die 50 Kühe als Brautpreis locker gemacht.

«Wenn man genau hinschaut, passen die jeweiligen Formen sehr gut in die Struktur ihrer Gesellschaft», ist Jeanne Berrenbergs Beobachtung. Dass wir aus unserem rechtssicheren monogamen Horst darüber urteilen, findet sie erbärmlich – vor allem in Anbetracht von Ehebruch und Scheidungen hierzulande. «Die Konzepte von Liebe sind anders, selbst Eifersucht ist ein sozial konstruiertes Gefühl. Wir Menschen kommen mit einem diffusen Instinktapparat und einem enormen Lernpotenzial zur Welt und nehmen die Gepflogenheiten unserer Umgebung auf wie ein trockener Schwamm die Feuchtigkeit. Was normal ist, fühlt sich irgendwie richtig an.»

iwe/reu/news.de