Von news.de-Redakteurin Mara Schneider - Uhr

Lemminge: Tierische Selbstmörder vom Aussterben bedroht

Lemminge könnten bald für immer von der Erde verschwinden. Schuld daran ist aber nicht der Mythos vom Massenselbstmord. Die Zahl der kleinen Nagetiere schrumpft durch den Klimawandel - und bringt auch Polarfuchs und Schnee-Eule in Gefahr, die sich von Lemmingen ernähren.

Gibt es Lemmingbabies bald nur noch im Zoo? (Foto) Suche
Gibt es Lemmingbabies bald nur noch im Zoo? Bild: dpa

Wer das Wort Lemminge hört, denkt oft zuerst an kleine haarige Tierchen, die kollektiv hintereinander auf eine Klippe zu marschieren und sich in den Tod stürzen. Der Mythos vom Massenselbstmord der Nager hat sich eingeprägt. Schuld daran ist Walt Disney. Der amerikanische Filmproduzent veröffentlichte 1958 den Film White Wilderness, in dem eine Massenwanderung der Lemminge mit anschließendem Freitod dargestellt wurde.

Tatsächlich gibt es bei Lemmingen eine Art Massensterben – allerdings im biologischen Sinne. Alle drei bis fünf Jahre dezimiert sich die Population explosionsartig, was mehrere Gründe hat. Zum einen spielt das spärliche Nahrungsangebot der Nagetiere eine Rolle. In ihrem Lebensraum, der TundraDie Tundra ist eine Vegetationsform der Subpolargebiete und kommt sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhalbkugel vor. Kennzeichnend für die Gegend, die nördlich von Kanada beziehungsweise südlich von Feuerland beginnt, ist eine kurze Vegetationsperiode von nur zwei bis vier Monaten. Besonders ausgeprägt ist die Tundra nördlich des Polarkreises, wo auch die Lemminge beheimatet sind. , wachsen Moose, Gräser und Wurzeln nur zwei bis vier Monate im Jahr. Schießt die Anzahl der Lemminge nach oben, leiden viele Tiere an extremem Futtermangel, etliche verhungern regelrecht. Wenn die Population zurückgeht, erholt sich auch die Vegetation wieder. So kommt es zu ständigen Schwankungen in der Größe der Lemmingbevölkerung.

Ähnliche Populationsschwankungen gehen auf das Zusammenspiel zwischen Räuber (Schnee-Eule, Polarfuchs) und Beute (Lemminge) zurück. Ein dritter Punkt ist die Theorie, dass im Abstand mehrerer Jahre bestimmte Nahrungsmittel der Lemminge plötzlich giftig für die Tiere werden. Das Phänomen wurde auch bei anderen Lebewesen bereits beobachtet.

Der freiwillige, kollektive Selbstmord – etwa das gemeinsame Über-die-Klippe-Springen – ist also nichts weiter als ein Mythos. Auch das biologische Massensterben hat die Lemminge bisher nie an den Rand ihrer Existenz gebracht. Dafür könnte nun aber ein neuer Feind sorgen: der Klimawandel.

Bisher wechselten sich Massensterben und Massenpopulation in einer Periode von drei bis vier Jahren ab. Doch den letzten Bevölkerungsanstieg verzeichneten Forscher 1994. Um den Ursachen auf den Grund zu gehen, hat ein Team der Universität Oslo in Norwegen meteorologische Daten seit 1970 ausgewertet und sie mit den Zahlen der Lemmingpopulation verglichen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins New Scientist.

Nils Stenseth und seine Kollegen fanden heraus, dass sich die Art des Schneefalls in den vergangenen Jahren verändert hat. Lemminge verbringen die Wintermonate unterirdisch, unterhalb der Schneedecke. Durch den Klimawandel ist es aber nur noch selten ausreichend lange kalt, damit die Tiere Hohlräume zwischen Schneedecke und Erdreich erzeugen können. Diese benötigen sie neben der Wärme auch zum Schutz vor Beutetieren.

Wie lange es dauert, bis der Lemming die Erde verlassen hat, dazu äußerten sich die Wissenschaftler nicht. Aber der Tag könnte kommen, an dem die einzige Erinnerung an die putzigen Tierchen jener ist, den Walt Disney vor mehr als 50 Jahren in seinem Film vermittelt hat.

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