Von news.de-Redakteurin Fabienne Rzitki - Uhr

Alkoholsucht: Wenn der Kollege trinkt

Experten vermuten, dass jeder fünfte Arbeitnehmer alkoholkrank und etwa jeder zehnte unmittelbar gefährdet ist, süchtig zu werden. Alkoholmissbrauch ist kein Kavaliersdelikt. Er schadet nicht nur den Kranken selbst, sondern auch den Kollegen.

Wenn der Kollege trinkt: Wegsehen ist falsch. (Foto) Suche
Wenn der Kollege trinkt: Wegsehen ist falsch. Bild: dpa

Die Alkoholfahne schwebt durch die Halle. Der intensive Geruch zwickt in der Nase, der Hals kratzt. Das bestätigt die böse Vorahnung: Der nette Kollege am Fließband hat vermutlich mal wieder heimlich zur Schnapsflasche gegriffen.

Über das Offensichtliche schauen viele Kollegen hinweg - aus Angst, etwas Falsches zu sagen, aus Scham, denjenigen zu entlarven und damit die Sucht noch weiter voranzutreiben - oder aber aus Unsicherheit. «Die Kollegen und Vorgesetzten sagen häufig nichts, weil es ein sehr intimes Problem ist. In Deutschland ist Alkoholkonsum nicht verboten und steht nicht unter Strafe», erklärt Christa Merfert-Diete von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm.

Totschweigen bringt nichts

Kollegen, die falsche Rücksicht nehmen, machen sich oft zu Co-AbhängigenPsychiatrisches Konzept: Manche Bezugspersonen eines Suchtkranken leisten durch Tun oder Unterlassen seiner Sucht Vorschub. . «Ist ihr Verhältnis zu dem Betroffenen gut, versuchen sie ihm anfangs zu helfen. Sie nehmen demjenigen Arbeit ab und halten ihm den Rücken frei.» Fehler würden oft entschuldigt und ausgebügelt, Fehlstunden verziehen. Merfert-Diete mahnt: «Das führt irgendwann zu Frust und Unmut gegenüber dem Suchtkranken.»

So weit sollte es nicht kommen. Je eher das Alkoholproblem zur Sprache gebracht wird, desto besser ist das für den Alkoholiker - und die Kollegen. «Es fällt um einiges leichter, in einem frühen Suchtstadium von der Flasche loszukommen», sagt die Expertin. Vor allem in Berufen, in denen das Trinken die Arbeitssicherheit gefährdet - wie bei Arbeiten an elektrischen Anlagen oder mit dem Laser -, ist ein schnelles Handeln vom Führungspersonal gefordert.

Der Chef ist in der Pflicht

Der Vorgesetzte müsse den entsprechenden Angestellten auf den Alkoholismus ansprechen. Im Rahmen der Fürsorge seiner Mitarbeiter müsse er dafür sorgen, dass die vertraglichen Regelungen eingehalten werden. Merfert-Diete warnt: Es sei keinesfalls Sache der Kollegen, der betroffenen Person nachzuweisen, dass sie krank ist.

Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch ein Kollege den Süchtigen dezent auf das Problem ansprechen kann. Besonders wenn das Verhältnis freundschaftlich geprägt ist, kann das hilfreich sein - auch wenn es schwerfällt. Man sollte sich darauf einstellen, dass die Person uneinsichtig ist und sich nach einem Gespräch erst einmal distanziert. Die Süchtigen verleugnen die Krankheit - vor sich selbst und vor anderen. Doch wer erst einmal darauf angesprochen wird, gerät unter Druck. Das bietet die Chance, dass der Alkoholiker etwas unternimmt.

Wie erkennt man, ob ein Kollege ein Alkoholproblem hat?

Alkoholismus ist eine Krankheit, die quer durch alle Schichten geht und nicht auf bestimmte Berufsfelder festlegbar ist. Es betrifft Manager ebenso wie Köche, Schichtarbeiter, Piloten. Männer sind dabei viel häufiger betroffen als Frauen. Nicht immer ist es der verräterische Atem, der das Problem offenbart. Neben der Schnapsfahne gibt es weitere Indizien. «Oft reagiert die Person unangemessen auf Situationen. Stimmungsschwankungen treten auf, die nicht nachvollziehbar sind. So wirkt der Kollege auf der einen Seite sehr niedergeschlagen und plötzlich wie aus dem Nichts heraus ist er sehr fröhlich», berichtet die Expertin.

Fehlstunden oder -tage ohne ärztlichen Nachweis, fehlerhafte Arbeitsergebnisse, Arbeitsrückstände und Terminversäumnisse sind weitere Auffälligkeiten. Alkoholiker haben gelegentlich sehr aktive Phasen mit anschließend deutlichem Leistungsabfall. Manche sind überengagiert, können Arbeit nicht aus der Hand geben und sind mit vielen Aufgaben gleichzeitig beschäftigt. «Zu beobachten ist häufig auch ein Entfernen vom Arbeitsplatz ohne triftigen Grund. Man ist oft irgendwie unterwegs», sagt die Expertin.

Ein Alkoholiker sucht Orte auf, wo getrunken wird, beispielsweise die Kaffeeküche oder Firmenkantine, wo mitunter sogar Bier ausgeschenkt wird, weiß Merfert-Diete. Daneben gibt es viele Möglichkeiten, am Arbeitsplatz Alkohol zu trinken. Einige schütten sich den Schnaps direkt in den Kaffee, andere bringen ihn in der Thermoskanne mit. Auch Firmenfeiern werden genutzt, um ausgiebig zu trinken. Merfert-Diete weiß: «Es gibt auch Kollegen, die genau aus diesem Grund die Veranstaltungen des Arbeitgebers meiden, damit das Problem nicht auffällt oder weil es bei einer solchen Gelegenheit schon einmal zu einem Zwischenfall kam.»

Welche Anzeichen gibt es noch?

Süchtige lassen in der Regel keine Gelegenheit zum Gedankenaustausch und damit für Päuschen aus. Oft suchen sie sich Bezugspersonen, denen sie viel Privates anvertrauen - in der leisen Hoffnung auf Trost, Verständnis und Mitleid. Besonders auffällig: Die Personen unterscheiden immer weniger zwischen persönlicher und sachlicher Kritik, beziehen zunehmend alles auf sich. Kollegen, die trinken, können auf der anderen Seite aber auch überbetont unauffällig wirken - damit kein Verdacht auf sie fällt.

Hinweise auf ein Alkoholproblem liefert zudem das äußere Erscheinungsbild, das entweder ungepflegt oder aber übertrieben aufgemotzt wirkt. Glasige Augen, ein aufgedunsenes, gerötetes Gesicht, zitternde Hände und häufige Schweißausbrüche sind weitere Hinweise.

Die Indizien treten nicht immer gleichzeitig auf, manchmal fehlt sogar das eindeutigste Merkmal - die Schnapsfahne. Rasierwasser, Parfüm, Mundsprays oder Kaugummi übertünchen den Alkoholgeruch. Zudem entwickelt sich eine Abhängigkeit schleichend, die Übergänge sind fließend. Das erschwert es, das Alkoholproblem zu erkennen und entsprechend zu handeln. «Alkoholiker lügen nicht bewusst. Sie erfinden Ausreden, um ihre Sucht zu vertuschen. Natürlich wirkt es nach außen so, dass etwas verheimlicht wird», beschreibt Merfert-Diete das Dilemma.

Nicht alle im Text beschriebenen Anzeichen lassen auf Alkoholprobleme schließen. So haben psychische Erkrankungen ähnliche Auffälligkeiten. Kollegen, die eine Vermutung haben, sollten das Ganze daher reflektiert betrachten und Anzeichen in jedem Fall ernst nehmen.

sgo/sis/reu/news.de