Von Kai Remmers - Uhr

Psyche: Die Macht der Farben

Wer hat sich nicht schon mal schwarz geärgert oder vor lauter Verliebtsein die Welt durch eine rosarote Brille gesehen? Farben sind ein Spiegel der Seele. Umgekehrt lassen sich Farben auch dazu nutzen, um bestimmte Stimmungen zu erzeugen.

Farben beeinflussen unser Leben mehr als uns bewusst ist. Sie sprechen unsere Gefühle an, bringen uns in Stimmung, heitern auf oder beruhigen, inspirieren oder machen aggressiv. (Foto) Suche
 Farben beeinflussen unser Leben mehr als uns bewusst ist. Sie sprechen unsere Gefühle an, bringen uns in Stimmung, heitern auf oder beruhigen, inspirieren oder machen aggressiv. Bild: ddp

Fast jeder Mensch kann Farbtöne oder Schattierungen nennen, die ihm mehr oder weniger zusagen. Psychologen sprechen von «visualisierten Gefühlen». «Farben sind Reizerscheinungen des Nervensystems», erläutert Professor Harald Braem vom Bundesverband Deutscher Psychologen. Er vergleicht die Wirkung mit Wellenfrequenzen wie bei einem Radiosender, die in unterschiedliche Bereiche des Gehirns gelangen und von dort Einfluss auf das Nervensystem ausüben.

Die Signalfarbe Rot etwa springe sofort ins Auge. Sie erinnere an Blut oder Feuer und werde daher gern für Warnzeichen verwendet. «Rot löst stressähnliche Gefühle aus», erläutert Braem, der früher als Creative Director internationale Werbekampagnen verantwortet hat und heute das Institut für Farbpsychologie in Rheinland-Pfalz leitet. «Das ist universell gültig, das funktioniert überall auf der Welt.»

Eine alte und doch junge Disziplin

Wissenschaftler nehmen sich der Farbforschung an den Universitäten erst seit dem 20. Jahrhundert offiziell an. Farben werden aber schon seit Jahrtausenden ganz bewusst und gezielt in Zusammenhang mit religiösen und kultischen Handlungen gesetzt, um beim «Zielpublikum» ganz bestimmte Empfindungen hervorzurufen oder zu verstärken.

Die ersten Farbpsychologen waren Priester, die mithilfe von Farben komplizierte Inhalte auf einfache Weise kommunizierten, Menschen damit manipulierten und lenkten. Später wurden Farben und ihre Wirkung auch von Königen, Kaisern und anderen Regenten vereinnahmt. Purpur wurde zur erhabenen Farbe der Herrschenden. Auch in der katholischen Kirche und anderen Religionen spielt die Farbe Rot eine wesentlich Rolle. Zur Farbe des Transzendenten und Übersinnlichen wurde indessen Violett, eine Farbe, die im Katholizismus das Feierlichste symbolisiert.

Auch Dichter Johann Wolfgang von Goethe teilte in seiner Farbenlehre den einzelnen Farben bestimmte Eigenschaften zu. Die hellen, warmen, aktiven Farben Gelb und Orange seien nach heutiger Terminologie als stimulierend, extensiv und expansiv zu bezeichnen, erläutert die in München tätige Heilpraktikerin Ingrid Kraaz von Rohr. Violett und Blau lösten dagegen eine ruhige, weiche, eher introvertierte Empfindung aus. Rot stehe zwischen beiden Bereichen und könne, je nach Färbung, dem einen oder anderen angehören. Grün sei die ausgleichende, ruhende Mitte aller Farben.

Farben gehören zum Leben - und zur Werbung

In der Welt der Werbung findet die Farbpsychologie ihren größten Anwendungsbereich. Eine Umfrage hat ergeben, dass Blau die Lieblingsfarbe der Deutschen ist. Für Farbpsychologen nicht verwunderlich, denn das hat zunächst einmal mit der Funktionsweise des menschlichen Auges zu tun: Bei Blau passiert physiologisch am wenigsten im Auge. Daher wird diese Farbe als die beruhigendste erfahren. Das Wissen nutzen die Werber: Papiertaschentüscher in blauer Verpackung lassen sich am besten verkaufen, haben sie festgestellt. Eine mittelbraune Verpackung spricht die Käufer dagegen kaum an.

Auch aus den Gebieten Betriebspsychologie, Arbeitsplatzgestaltung und Produktgestaltung ist der Nutzen der Farbpsychologie nicht mehr wegzudenken, sagt von Rohr. Immer bewusster würden Farben in der Ausstattung von Räumen eingesetzt.

«Farben gehören zum Leben dazu», ergänzt der Autor Wulfing von Rohr. Sie seien Ausdruck von Lebensfreude. «Wer meint, er müsse nur in Schwarz herumlaufen, will sich schützen und nichts von sich zeigen.» Und so wie Licht per se wichtig sei für das physische und psychische Wohlbefinden, werde die Stimmung froher und positiver, je heller eine Farbe ist. Das erkläre auch, warum sich viele Menschen in der dunklen Jahreszeit antriebslos und niedergeschlagen fühlen.

In die Sonne zu reisen oder auf die Sonnenbank zu gehen, sind zwei Gegenmittel gegen den Winter-Blues. Eine weniger aufwendige Empfehlung gibt Harald Braem: «Setzen Sie eine Brille mit orange-gelben Gläsern auf. Sie wirken als Restlichtverstärker und erhellen die Umgebung.» Wer geistige Arbeit leisten will, sollte am besten gleich eine ganze Wand in Spinellorange streichen - dieser Farbton beschwinge.

In einem blauen Raum gerät der Körper dagegen leicht ins Frösteln - und der Mensch friert dann auch emotional. Grundsätzlich wirke die Farbe aber beruhigend, sagt Braem. Diesen Effekt nutzten anthroposophisch orientierte Therapeuten daher zum Beispiel, um Patienten mit nervösen Störungen zu besänftigen. Manche Heilpraktiker setzen Blaulichtbestrahlungen auch als Zusatzanwendung bei Neurodermitis ein. Das Blau soll durch seine kühlende Wirkung den Juckreiz bei der Hauterkrankung lindern.

Ein paar Tupfer Rot steigern die Leistung

Rot regt dagegen meist an: Eine komplett rote Raumausstattung in einigen psychiatrischen Kliniken helfe, stark selbstmordgefährdete depressive Melancholiker «umzustimmen», erläutert Braem. In der eigenen Wohnung sollte Rot aber grundsätzlich vorsichtig dosiert werden, rät Ingrid Kraaz von Rohr. Als Farbtupfer lasse es sich zum Beispiel im Schlafzimmer gut einsetzen: Dort könne es sexuell stimulierend wirken. Abzuraten sei davon allerdings bei Schlafstörungen, leichter Erregbarkeit oder Neigung zu Hyperaktivität. Im Büro könnten einige Tupfer Rot leistungssteigernd wirken.

Auf diese Weise schreiben Farbpsychologen und Heilpraktiker jeder Farbe bestimmte Effekte zu. Schulmediziner sehen das etwas kritischer: «Farbtherapien sind sicherlich keine Methoden, die wissenschaftlich beziehungsweise evidenzbasiert brauchbar sind», sagt Professor Frank Schneider von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin. «Allerdings wissen wir, dass einzelne Menschen sehr empfänglich für die Ausgestaltung ihrer eigenen Umwelt sind und sich damit auch in bestimmten Farbräumen zu bestimmten Zeitpunkten wohler fühlen.» Mehr Effekte gibt es seiner Einschätzung nach nicht.

car/reu/news.de/dpa

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