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Psychoonkologie: Mut machen zum Überleben

Krebs ist eine Erkrankung, die nicht nur den Körper befällt, sondern auch die Seele zutiefst erschüttert. Sie weckt Ängste vor Schmerzen und Tod sowie die Sorge um die Angehörigen. Hier setzt die relativ neue Disziplin der Psychoonkologie an.

Die Diagnose einer Krebserkrankung löst bei vielen Betroffenen eine Sinn- oder Lebenskrise aus. Eine gezielte Betreuung ist das A und Oeiner Therapie. (Foto) Suche
Die Diagnose einer Krebserkrankung löst bei vielen Betroffenen eine Sinn- oder Lebenskrise aus. Eine gezielte Betreuung ist das A und O einer Therapie. Bild: dak

Die Diagnose trifft die meisten Menschen völlig unerwartet. Jährlich wird bei mehr als 400.000 Bundesbürgern Krebs festgestellt. 30 bis 40 Prozent von ihnen brauchen psychosoziale Hilfe bei der Bewältigung der Krankheit. «Eine Krebserkrankung hinterlässt Spuren in allen Lebensbereichen», sagt Hilde Schulte vom Verein Frauenselbsthilfe nach Krebs. «Dem muss Rechnung getragen werden.» Aber viele Patienten werden mit der Erkrankung allein gelassen.

Karin Meißler kann sich gut an jenen Tag im Jahr 2005 erinnern, der ihr Leben veränderte. «Es war ein Donnerstag am frühen Abend, ich war bei meiner Frauenärztin die letzte Patientin», erzählt die 56-jährige Frau. Bei der Mammografie entdeckte die Gynäkologin einen Brusttumor. «Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet», berichtet die verheiratete Mutter zweier Söhne. «Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte und wie viel Zeit mir noch blieb. Ich wusste nur, da wächst etwas Bösartiges, das schnell behandelt werden muss.» Als besonders schlimm erlebte sie jene fünf Tage zwischen der Diagnose und dem ersten Arztgespräch in der Klinik, bei dem der konkrete Therapieplan besprochen wurde.

Die Diagnose Krebs ist ein Schock, der die Welt von einem Moment zum anderen völlig verändert. «Die Nachricht haut die meisten Menschen einfach um», sagt der Psychologe Volker Tschuschke von der Universität Köln. «30 bis 40 aller Patienten werden durch Diagnose und Therapie so stark belastet, dass sie psychologische Unterstützung brauchen.»

«Ich wusste nicht, wo ich mich hinwenden sollte»

Auf eine Traumatisierung können viele Signale hindeuten. Manche Patienten schlafen schlecht, andere verlieren das Interesse an ihren Hobbys, manche werden von Panik verfolgt, andere verfallen in endloses Grübeln darüber, ob sie etwas im Leben falsch gemacht haben. Selbst nach erfolgreicher Behandlung werden viele Patienten jahrelang von der Angst gelähmt, die Krankheit könne zurückkehren.

Psychoonkologen sollen beim Umgang mit solchen seelischen Folgen helfen. «Wir können die Patienten bei der Bewältigung dieser Krankheit unterstützen», sagt der Psychoonkologe Peter Herschbach vom Klinikum rechts der Isar in München. Aber bislang finden nur wenige Patienten diese Hilfe. «Viele Menschen werden mit der Erkrankung allein gelassen», bemängelt Tschuschke.

Auch Karin Meißler erfuhr zunächst nichts über psychosoziale Unterstützung. «Ich wusste anfangs nicht, wo ich mich hinwenden sollte», sagt sie. Erst nach ihrer Operation las sie in der Zeitung von einer Kunsttherapie der Hamburger Krebsgesellschaft. In den Sitzungen sollten die Teilnehmer zu bestimmten Themen Bilder malen, die dann gemeinsam besprochen wurden. «Ich habe mich auf einer anderen Ebene mit der Krankheit auseinandergesetzt», erzählt Meißler. «Die Kommentare der anderen Patienten waren für mich sehr hilfreich, ich bin dadurch offener mit dem Thema Krebs umgegangen.»

Als Flop erwies sich dagegen der einmalige Besuch bei einem konventionellen Psychotherapeuten. «Das war nicht hilfreich», sagt Meißler. Fachleute überrascht das nicht. «Ein erfahrener Psychotherapeut ist nicht unbedingt ein guter Psychoonkologe», betont Herschbach. Bei Krebspatienten seien - im Gegensatz etwa zu Phobikern - Sorgen um das eigene Leben keineswegs irrational. «Die Angst vor dem Tod ist völlig begründet», sagt er.

«Man muss sich mit den Ängsten auseinandersetzen»

Tschuschke hält es für «einfach grauenhaft», wenn in dieser Situation ein Therapeut in der Kindheit eines Patienten nach traumatischen Erlebnissen stochert. «Manche Therapeuten verstehen die existenziellen Nöte nicht», erläutert der Psychologe. «Da fühlen sich die Menschen nicht verstanden, und damit haben sie auch Recht.»

Die Therapie soll erreichen, dass Patienten ihre Gefühle nicht verdrängen. «Man muss sich mit den Ängsten auseinandersetzen», sagt Tschuschke. «Es geht darum, die Möglichkeit des Sterbens zu entgiften und das Leben neu zu bewerten.»

Herschbach entwickelte das Konzept des «Zu Ende Denkens». Darin sollen Menschen ihre diffusen Ängste, etwa vor einem Rückfall, in konkrete Elemente herunterbrechen, deren jeweilige Bedeutung dann im Einzelnen detailliert erörtert wird. Studien zeigen, dass Patienten von dem Vorgehen profitieren.

Vor einem Jahr beschlossen Experten aus Medizin und Politik im Nationalen Krebsplan, die Psychoonkologie in der Tumortherapie zu verankern. «Allen Krebspatienten soll psychosoziale Unterstützung angeboten werden», sagt Herschbach.

Seitdem bilden sich zwar mehr Psychotherapeuten und Mediziner psychoonkologisch fort, aber das Angebot deckt die enorme Nachfrage bei weitem nicht. «Diese Kollegen werden dringend gesucht», sagt Herschbach. Gerade nach der Entlassung aus dem Krankenhaus suchen Patienten vergeblich nach fachkundiger Hilfe, weiß Tschuschke: «Niedergelassene Psychoonkologen muss man noch mit der Lupe suchen.»

Weitere Infos: Psychoonkologen im Netz: www.dapo-ev.de, www.pso-ag.de

car/iwi/news.de/ap

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