Von News.de-Redakteurin Claudia Arthen - Uhr

Depression: Den Schleier lüften

Sie ist überall und kann jeden treffen: Die Depression ist eine Volkskrankheit. Rund vier Millionen Deutsche leiden darunter – vielleicht sogar noch mehr. Denn viele Betroffene schweigen aus Scham.

Betroffene fühlen sich ausgebrannt. (Foto) Suche
Betroffene fühlen sich ausgebrannt. Bild: dpa

Es fängt mit einem Gefühl an, dass plötzlich alles anders ist. So als würde einem der Boden unter den Füßen weg gezogen. So spricht Elisabeth, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, über ihre Krankheit. «Angst kriecht den Rücken hoch, ich kann mich nicht mehr für irgendetwas entscheiden, kann mich schwer konzentrieren, habe Schlafstörungen, bin appetitlos, nichts macht mir mehr Freude, ich bin unfähig, Kleinigkeiten zu erledigen und kann mich nicht mehr selbst versorgen», zählt sie auf. Hinzu kommen körperliche Beschwerden wie Druck im Kopf und auf den Ohren, ein Engegefühl in der Brust und Schmerzen in der Magengegend.

Elisabeth leidet unter Depressionen. In den vergangenen 15 Jahren durchlebte sie immer wieder schwere depressive Phasen, die teilweise mehr als sechs Monate dauerten. Auslöser waren die Trennung von ihrem Mann und der Verlust ihres Arbeitsplatzes sowie Überforderung, als sie sich nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit in ein Studium stürzte. «Ich neige dazu, mich zu überfordern, will alles perfekt und gut machen», erklärt sie.

Depressionen betreffen nicht nur einzelne Menschen. Nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe leiden derzeit rund vier Millionen Deutsche an einer behandlungsbedürftigen Depression. Die Stiftung spricht von einer lebensbedrohlichen Volkskrankheit mit steigenden Kosten für die Wirtschaft. Immer mehr Arbeitnehmer gingen wegen Depressionen früher in Rente, was jährlich Kosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro verursache. An Arbeitsunfähigkeit kommen nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit im Jahr etwa elf Millionen Tage durch mehr als 300.000 depressive Erkrankungsfälle zusammen. Tendenz steigend.

Neben einer gedrückten Grundstimmung leiden die meisten Betroffenen an Antriebsstörungen, können keine Entscheidungen mehr treffen und Freude empfinden. Auch Konzentrationsschwierigkeiten, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle, Schlafstörungen und Appetitmangel verbunden mit Gewichtsverlust sind Symptome einer Depression.

Warum alles nur noch grau ist

Elisabeth kam es während ihrer Depressionen so vor, als würde sie die Welt durch eine graue Brille sehen. «Die wunderschönen Blumen im Garten habe ich nur als Belastung gesehen, das Unkraut schien mir über den Kopf zu wachsen», sagt sie. Klein und dumm kam sie sich vor. «Wenn mich jemand an meine guten Zeugnisse erinnerte, behauptete ich allen Ernstes, das sei ein Versehen.»

Eine Depression hat laut dem Kompetenznetz Depression, das die Stiftung Deutsche Depressionshilfe mit ins Leben gerufen hat, selten eine einzige Ursache. Meist führt ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren zur Erkrankung. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler ist der Stoffwechsel des Gehirns gestört: Die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin, die Impulse zwischen den Nervenzellen übertragen, sind aus der Balance geraten. Sie sind entweder in zu geringer Konzentration vorhanden oder die Übertragung funktioniert nicht richtig. Zu den auslösenden Faktoren gehört auch die genetische Veranlagung. Sie hat Einfluss darauf, ob ein bestimmter Mensch dazu neigt, unter Stress depressiv zu erkranken.

Für Elisabeth gleicht ihre Depression einer Krake. «Mir hat es geholfen, etwas vor Augen zu haben, mit dem ich mich auseinander setzen konnte. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so ausgeliefert, seit die Depression einen Namen hatte.» Elisabeth merkte auch, dass es nicht leicht war, mit anderen über ihre Krankheit zu sprechen. «Man kann über einen Herzinfarkt, über Krebs und sogar über Aids sprechen. Aber über der Depression liegt ein Schleier», sagt sie.

Für manche legt sich der Schleier so sehr über ihr Leben, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen als den Freitod. Immerhin 15 Prozent der Erkrankten nehmen sich das Leben. Elisabeth hat diese Gefühle auch erlebt: «Die Krankheit ist so schlimm, dass man glaubt, es wäre eine Erlösung, tot zu sein, nichts mehr zu spüren.» Aber diesen Sieg wollte sie der Krake nicht lassen. «Mein Leben nimmst du mir nicht», sprach sie zu dem Ungeheuer.

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe beklagt, dass nur eine Minderheit der depressiv Erkrankten eine optimale Behandlung erhalte. Die Gründe seien vielfältig: mangelnde Energie der Betroffenen, sich Hilfe zu holen, diagnostische und therapeutische Defizite auf Seiten der Ärzte sowie Unterschätzung der Schwere und Stigmatisierung der Erkrankung. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf.

Elisabeth hat ärztliche Hilfe gesucht, als sie erkannte, dass gegen die Depression «kein Kräutlein» gewachsen ist. Sie ging zu einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, der ihr Medikamente verordnete, die ihr jedoch nicht halfen. Als die Ängste und körperlichen Beschwerden unerträglich wurden, ließ sie sich in eine psychiatrische Klinik einweisen. «Ich fühlte mich angenommen, aufgehoben, geborgen, beschützt. Ärzte und Schwestern kannten meine Krankheit, niemand drängte», erinnert sich Elisabeth. Sport und Beschäftigungstherapie, Gespräche in Selbsthilfegruppen, Tagebuchschreiben und schließlich der Rückhalt guter Freunde halfen ihr aus der Krise.

Inzwischen weiß Elisabeth, dass jede Depression behandelbar ist und vorbei geht. Sie kann aufgrund ihrer Erfahrungen anderen Betroffenen Mut machen. Am liebsten würde sie den Schleier, der über der Depression liegt, lüften: «Ich möchte vermitteln, dass Depression eine normale Krankheit ist, so unnormal man sich dabei auch fühlen mag.»

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